Am Ende einer Woche voller Einigungen, Durchbrüche und sogar mit einem „sehr historischen Moment“ bleibt eigentlich nur eine Frage offen: Warum? Warum nur hat das, was diese Woche alles endlich vereinbart wurde, so lange gedauert? Die Antwort darauf, um das vorwegzunehmen, führt weit hinaus über die Sachthemen, um die es jeweils ging – sie beleuchtet den Zustand der Ampelkoalition und das Verhältnis des Kanzlers zur Union. Aber der Reihe nach.
Endlich gibt es Klarheit und eine gewisse Planungssicherheit für Unternehmen, die unter den hohen Stromkosten hierzulande leiden. Der Kompromiss, den SPD, FDP und Grüne am Donnerstag vorstellten, ist zwar nicht der von der Großindustrie ersehnte Industriestrompreis, den ausgerechnet der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit großen Teilen der SPD und der Gewerkschaften gegen die FDP und das Kanzleramt verfochten hatte. Das Paket ist zudem so kompliziert, dass einem als Außenstehender der Kopf schwirrt – aber das ist auch nicht weiter wichtig: Hauptsache die Eingeweihten, für die die Entlastungen gedacht sind, blicken noch durch zwischen Stromsteuer, Spitzenlastausgleich, Strompreiskompensation, Sockelbeträgen und „Super-Cap“.
Gut ist, dass alle Unternehmen nun bei den Stromkosten entlastet werden. Damit ist eine Bevorzugung für einzelne Branchen, die immer neue Konflikte bringt, ausgeschlossen. Und noch wichtiger ist: Die Industrie kann nun kalkulieren – auch wenn diese Kalkulationen mit Sicherheit nicht immer zugunsten des hiesigen Standorts ausgehen werden. Denn eines hat die Diskussion über das Für und Wider eines Industriestrompreises gezeigt: Eine goldene Zukunft haben energieintensive Unternehmen aus der Chemie-, Glas-, Keramik- und Papierindustrie in Deutschland nicht mehr. Energie ist und wird hier auf sehr lange Zeit deutlich teurer bleiben als etwa in den USA oder auch in den Golfstaaten. Chemische Grundstoffe werden wir künftig zunehmend importieren müssen.
Scholz und Lindner bremsen Habeck aus
So gesehen ist das Paket ein Sieg der Ordnungspolitik über die Industriepolitik und ein indirektes Plädoyer für den Strukturwandel. Es ist auch ein Sieg der Haushaltsdisziplin über die Ausgabenpolitik. All jene aber, denen gleiche Regeln für alle stets wichtiger sind als teure Privilegien für einige wenige, sollten sich künftig zurückhalten, wenn mal wieder der Exodus der deutschen Industrie beklagt wird. Denn mit den Prinzipien der Ordnungspolitik lässt sich der harte globale Wettbewerb um Jobs und Industrie-Know-how nicht gewinnen. Bei allen Differenzen, eines eint Chinesen und Amerikaner: Um hehre Prinzipien des fairen Wettbewerbs scheren sich beide nicht groß.
Die Konstruktion des Pakets sagt auch etwas über die Kräfteverhältnisse in der Koalition: Mit viel Finesse haben Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner Robert Habeck einmal mehr gekonnt ausgebremst. Die Entlastungen bleiben weit hinter dem zurück, was der Wirtschaftsminister bis zuletzt immer wieder in Aussicht gestellt hatte. Besonders klug und geschickt hat er sich nicht angestellt: Entweder sah er seine Niederlage bereits kommen, wollte aber wenigstens öffentlichkeitswirksam möglichst lange kämpfen, oder er überschätzte einfach seine Möglichkeiten – beides wäre nicht wirklich vorteilhaft für ihn.
Unterm Strich ist dieses Paket besser als nichts, angesichts des monatelangen Gezerres war es sogar überfällig. Aber der Kompromiss zeigt einmal mehr die Sollbruchstelle in dieser Koalition – im Zweifelsfall sucht Scholz die Nähe der FDP. Auf die Grünen als Koalitionspartner legt der Kanzler keinen gesteigerten Wert mehr.
Kleines Karo und Taktiererei
Dies war auch erkennbar beim zweiten großen Kompromiss dieser Woche: der Einigung zur Asyl- und Migrationspolitik zwischen Bund und Ländern. Demonstrativ hatte Scholz im Vorfeld die Nähe der Union gesucht, um auch hier den monatelangen Stillstand endlich zu überwinden. Herauskam ein Paket an eher technischen Maßnahmen, dessen Sinn oder Unsinn man frühestens im kommenden Jahr wird beurteilen können: Klare finanzielle Zusagen für die Kommunen, schnellere Entscheidungen in den Asylverfahren, mehr Abschiebungen – klingt alles richtig, aber was davon wie wirkt, bleibt vorerst offen.
Ein „sehr historischer Moment“, den darin der Kanzler in der für ihn typischen Mischung aus Großspurigkeit und Hölzernheit erkannte, war es allerdings sicher nicht. Eher ein typischer Scholz eben – viel Taktik, viel Verpackung. Angesichts der gereizten Stimmung im Lager von CDU und CSU war die Bezeichnung sogar töricht – zumindest, wenn man unterstellt, dass Scholz tatsächlich einmal Interesse an einem großen parteiübergreifenden Kompromiss in der Asylpolitik hatte. Der scheint nun erst mal vom Tisch: Statt parallel ein Signal an den CDU-Vorsitzenden zu senden, nutzten Scholz und seine Leute die nächtlichen Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten lieber für ein paar Sticheleien gegen den bekanntlich impulsiven CDU-Chef. Dass der Scholz’ Initiative eines „Deutschlandpakts“ anschließend für „erledigt“ erklärte, kann den Kanzler nicht mehr überrascht haben.
Bei allen Vereinbarungen in der Sache, die sinnvoll und überfällig waren, setzte sich damit in dieser Woche immer wieder das kleine Karo und die Taktiererei durch – in der Energiepolitik ebenso wie in der Asyl- und Migrationspolitik. Man kann so regieren, vielleicht kann man so sogar einiges bewegen. Aber ein Gefühl des Aufbruchs und der Wende zum Besseren erzeugt der Kanzler so leider nicht.