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Fischereikonflikt Wie sich Frankreich und Großbritannien im Fischereistreit verhaken

Fischerboote sind diesmal der Zankapfel zwischen Großbritannien und Frankreich.
Fischerboote sind diesmal der Zankapfel zwischen Großbritannien und Frankreich.
© Le Pictorium / IMAGO
Der Ärmelkanal ist Schauplatz eines bizarren Fischereistreits. Briten und Franzosen werfen sich gegenseitig vor, die Interessen der Gegenseite nicht zu respektieren. Ob der Streit um Fischerreichrechte weiter eskaliert, entscheidet sich am Dienstag

Fische haben eine Eigenschaft, die Menschen mächtig auf den Zeiger geht: Sie halten sich nicht an Grenzen. Menschen hingegen haben eine Eigenschaft, die ihnen immer wieder selbst auf den Zeiger geht: Sie suchen Streit. Vor der britischen Ärmelkanalküste kann man derzeit beides beobachten: Fische, die sich nicht an Grenzen halten und Menschen – genauer gesagt zwei Nationen –, die sich genau darüber streiten.

Schon seit Wochen schwelt der britisch-französische Streit um Fischereilizenzen für französische Fischer in britischen Gewässern. Ginge es nach den Franzosen, dann dürften sie nahe an der britischen Ärmelkanalküste weit mehr Fisch angeln, als das bisher der Fall ist. Paris beklagt nämlich, dass die Briten den Franzosen nicht ausreichend Fischereilizenzen für den Ärmelkanal ausstellen würden.

Die Briten weisen das von sich. Es hätten lediglich ein Dutzend französische Schiffe keine Lizenzen erhalten, die die dafür nötigen Dokumente nicht nachweisen konnten. Zwar hatten sich Brüssel und London während der zähen Brexit-Verhandlungen darauf geeinigt, dass die Briten die Lizenzen vergeben. Doch müssen französischen Fischer nachweisen, dass sie auch schon vor dem Austritt Großbritanniens in den anvisierten Gewässern tätig waren.

Gespanntes Verhältnis: Boris Johnson begrüßte Emmanuel Macron zum Weltklimagipfel in Glasgow
Gespanntes Verhältnis: Boris Johnson begrüßte Emmanuel Macron zum Weltklimagipfel in Glasgow (Foto: IMAGO / ZUMA Press)
© IMAGO / ZUMA Wire

Mittlerweile sind die Fronten zwischen beiden Staaten so verhärtet, dass London und Paris unlängst ein Ultimaten stellen. Großbritannien gibt Frankreich bis zum 2. November Zeit, um in dem Streit nachzugeben. Frankreich hat bereits angekündigt, dass es ohne Einigung einige Häfen für britische Fischer sperren werde. Außerdem sollen Lkw und Schiffe aus dem Vereinigten Königreich stärker kontrolliert werden.

Sanktionen werden jedoch vorerst nicht verhängt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte an, die Strafmaßnahmen um einen Tag zu verschieben. „Wir werden keine Sanktionen verhängen, während wir verhandeln“, sagte er am Rande der Weltklimakonferenz in Glasgow. Er erwarte nun neue Vorschläge der Briten.

Enge Partner und Verbündete, trotz Fischereistreit

Im Kern ist der Fischereistreit eine derjenigen Post-Brexit-Geschichten, von denen beide Seiten im Vorfeld behauptet hatten, dass es dazu nicht kommen werde. Schließlich seien das Vereinigte Königreich und die EU ja nach wie vor enge Partner und Verbündete, so die vielbemühte Formulierung.

Ein Blick in die Geschichte zeigt allerdings: Konflikte, wie diesen, gibt es immer wieder – auch um Fisch. So hatte Großbritannien sich schon einmal zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren erbittert mit Island gestritten – und zwar um Kabeljau.

Auch im jüngsten Streit hat sich die Lage mittlerweile zugespitzt. Die britische Außenministerin Liz Truss hat die französische Botschafterin in London, Catherine Colonna, einbestellt. Sie sollte die „enttäuschenden und unverhältnismäßigen Drohungen gegen die Kanalinseln erklären“. Frankreich seinerseits hatte zuvor erklärt, dass das Land die Rechte der französischen Fischer verteidigen wolle. Dem Radiosender RTL sagte Fischerministerin Annick Girardin, man habe Fangrechte: „Die müssen wir verteidigen und wir verteidigen sie“.

Bereits in der vergangenen Woche hatten die Franzosen ein britisches Fischerboot in der Nähe der Stadt Le Havre festgesetzt. Ein zweites sei verwarnt worden. Sie sollen ohne die nötigen Lizenzen in den Gewässern unterwegs gewesen sein. Die französische Ministerin sagte dazu, dass es sich bei dem Fischereistreit zwar nicht um einen Krieg, wohl aber um einen Kampf handle. Zudem kündigte der Europa-Sekretär Clément Beaune an, dass britische Boote künftig noch schärferen Zoll- und Sicherheitskontrollen unterzogen werden könnten, sollten die Briten nicht mehr Boote aus Frankreich das Fischen in ihren Hoheitsgewässern erlauben.

Das Brexit-Abkommen sorgt für Ärger

Zudem kündigte Frankreich an, Fischerboote aus Großbritannien nicht mehr die Häfen des Landes anlaufen zu lassen. Eine Drohung, die auf der Insel als ein Bruch des Völkerrechts verstanden wird, die nicht mit dem Brexit-Abkommen vereinbar ist.

Das Hin und Her geht auch auf der obersten staatlichen Ebene weiter. Mal bekräftigen beide Seiten, dass sie an einer Deeskalation arbeiten wollen. Dann heißt es wieder, dass sie auf ihrem Standpunkt beharren. Großbritannien hat in seinem 48-Stunden-Ultimatum bereits in Aussicht gestellt, dass das Land ohne Einigung den Streitschlichtungsmechanismus im Brexit-Vertrag auslösen werde. Frankreichs Präsident Macron ließ hingegen am Rande des G20-Gipfels am Wochenende in Rom verlauten, dass der Ball auf Seiten der Briten liege.

Der Fischereistreit zwischen Frankreich und Großbritannien ist nicht der einzige Grenzstreit, der zwischen der EU und dem Land gerade schwelt . Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat unlängst schon wieder mit der teilweisen Aussetzung des Brexit-Vertrages gedroht. „Wir werden die Schritte unternehmen müssen, die notwendig sind, um die territoriale Integrität Großbritanniens und den britischen Binnenmarkt zu schützen“, sagte Johnson am Freitag auf dem Weg zum G20-Gipfel in Rom.

Nordirland gehört zu Großbritannien, ist aber nach dem Austritt des Landes Teil des EU-Binnenmarktes geblieben. In der Regelung geht es darum, die Grenze zwischen Irland und Nordirland offenzuhalten – ganz so, wie es im Karfreitagsabkommen von 1998 geregelt ist. Dabei ist aber eine Zollgrenze zwischen dem britischen Mutterland und der kleinen Enklave auf der irischen Insel entstanden. Zwischen der Brüssel und London hatte das beim Aushandeln des Brexit-Abkommens schon für Probleme gesorgt.

Mit dem EU-Austritt Großbritanniens hat sich die Lage kaum verbessert – insbesondere das Königreich leidet erheblich unter den Folgen der Entscheidung. Das Land befindet sich in einer der stärksten Versorgungskrisen seiner Geschichte. Wegen fehlender Lkw-Fahrer kommt es zu Lieferengpässen – Gas, Benzin, Lebensmittel sind knapp. Die Fischereilizenzen sind nun das nächste Thema, an dem sich Londons Ärger entzündet.

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