Hunderte chinesische Lieferanten des Billig-Onlineshops Temu haben am Montag gegen neue Sanktionen protestiert, mit denen das Unternehmen seine Qualitätsstandards verbessern will. Laut verschiedenen Medienberichten versammelten sich zwischen 200 und 500 Demonstranten vor einer Niederlassung des Temu-Mutterkonzerns Pinduoduo im südchinesischen Guangzhou. Einige der aufgebrachten Händler seien auch in das Gebäude gelangt, um die Führungsriege zur Rede zu stellen, berichtete Bloomberg unter Berufung auf Augenzeugen. Nach Ankunft der Polizei seien sie aber unverrichteter Dinge wieder abgezogen.
Im Internet kursieren Videos der Protestaktion, deren Echtheit allerdings schwer zu verifizieren ist. Sie zeigen eine friedlich demonstrierende Menschenmasse vor der silbernen Drehtür eines Bürogebäudes. Auf anderen Aufnahmen stehen Menschen auf den Fluren und in einem Großraumbüro.
Streit über Bußgelder
Temu bringt auf seinem Online-Marktplatz Millionen von chinesischen Billigprodukte-Herstellern mit Käufern aus aller Welt zusammen. Allein in der EU gibt es rund 45 Millionen monatliche Nutzer. Zuletzt war Temu hier jedoch wegen mangelnder Produktqualität und falschen Werbeversprechen unter Druck geraten. Die Lieferanten bekommen das nun offenbar in Form von zurückgehaltenen Zahlungen und Bußgeldern zu spüren.
Ein Bekleidungshändler aus Guangzhou sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Temu habe im April neue Strafen eingeführt, die das Fünffache des Verkaufswerts betragen können. Er habe grundsätzlich kein Problem damit, bei Reklamationen das Geld an den Kunden zurückzuerstatten. „Was wir Verkäufer wollen, ist, dass Temu aufhört, uns ohne Grund mit Geldstrafen zu belegen“, sagte er gegenüber Reuters. Offenbar halten viele Händler die Bußgelder für willkürlich.
Temu räumt Probleme ein
Eine Temu-Sprecherin bestätigte die Proteste in Guangzhou. Bei den Demonstranten, die in das Büro gelangt seien, handele es sich um "etwa ein Dutzend Verkäufer", von denen die meisten auch als Bekleidungshändler auf der Konkurrenzplattform Shein tätig seien.
"Sie waren unzufrieden mit der Art und Weise, wie Temu Kundendienstfragen im Zusammenhang mit der Qualität und der Einhaltung der Vorschriften für ihre Produkte behandelte, und stritt über einen Betrag von mehreren Millionen Yuan", teilte Temu in einer E-Mail an Capital mit. Die Situation sei inzwischen wieder stabil und man arbeite aktiv mit den Händlern zusammen, um eine Lösung zu finden.
Unklar bleibt, wie Temu höhere Qualitätsstandards mit Dumpingpreisen von 13 Euro für ein Paar Turnschuhe oder 10 Euro für eine Smartwatch vereinbaren will.
Verbraucherschützer machen Druck
Die neuen Regeln sind womöglich auch eine Reaktion auf drohende Verbote in Europa, wo Temu seit dem Frühjahr 2023 seine Expansion vorantreibt. Unter Politikern, Verbraucherschützern und der heimischen Handelslobby häufte sich zuletzt die Kritik an den chinesischen Billigshops. Im März mahnte zunächst die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Temu wegen irreführender Werbung und intransparenten Produktangaben ab, im Mai zog dann auch die europäische Verbraucherorganisation BEUC mit einer Beschwerde nach.
Im Juni beschäftigte sich zudem der Digitalausschuss des Bundestages mit den Praktiken von Temu und dessen Konkurrenten Shein. Thema dort: Verstöße gegen Umwelt- und Produktstandards, mutmaßliche Tricksereien beim Zoll, mutmaßliche Hinterziehung der Mehrwertsteuer und Wettbewerbsverzerrung durch Preisdumping.
Bundesregierung prüft Aktionsplan
„Uns treibt dieses Problem um“, beteuerte Anna Christmann, Grünen-Abgeordnete und Beauftragte für die digitale Wirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium, in der Sitzung. Erste Gespräche mit Vertretern von Temu und Shein hätten bereits stattgefunden. Dem Vernehmen nach prüft das Bundeswirtschaftsministerium aktuell einen Aktionsplan gegen die Praktiken der chinesischen Billig-Marktplätze.
Auch auf EU-Ebene steigt der regulatorische Druck: Die Kommission hat Temu und Shein im Mai als „sehr große Online-Plattform“ eingestuft, was mit strengeren Vorschriften etwa bei Jugendschutz und im Umgang mit Fälschungen einhergeht. Die Unternehmen haben nun bis September 2024 Zeit, die Auflagen des „Digital Service Acts“ zu erfüllen. Falls sie das nicht tun, drohen empfindliche Strafen in Höhe von bis zu sechs Prozent des globalen Umsatzes.
Transparenzhinweis: Wir haben den Artikel nachträglich um ein Statement von Temu ergänzt.