Die Olympischen Spiele in Tokio haben kaum begonnen, da scheinen sie bereits abgeschrieben zu sein. Viele Spitzensportler bleiben den Wettkämpfen fern. Die deutsche Fußball-Olympiamannschaft etwa fand nicht mal genug Spieler, um in Maximalstärke nach Tokio zu reisen. Dort herrscht wegen wieder steigender Covid-19-Fallzahlen der Notstand. Die Olympischen Spiele finden deshalb in den Stadien weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Viele Japaner fürchten, dass Olympia – eigentlich ein Symbol der Völkerverständigung – auf ihren Inseln zu einem Superspreader-Event der Sonderklasse werden könnte.
Unterdessen scheint das Internationale Olympische Komitee (IOC) wenig unversucht zu lassen, um Zweifel an seiner Aufrichtigkeit und Kompetenz zu schüren. IOC-Präsident Thomas Bach brachte es fertig, beim ersten Pressetermin nach der Ankunft in Tokio das Gastland mit China zu verwechseln. Der deutsche Sportfunktionär hatte eigentlich um Vertrauen werben wollen. „Unser gemeinsames Ziel sind sichere Spiele für jedermann”, versicherte Bach und präzisierte: „für die Athleten, für alle Delegationen und – am wichtigsten – für das chinesische Volk”. Schnell schob er „japanische Volk“ hinterher.
Olympia 2020 wird teuer
Der womöglich Freudsche Versprecher hätte in Japan und weltweit vermutlich nicht so hohe Wellen geschlagen, wenn Bach nicht bereits in der Kritik gestanden hätte. Er war nicht das erste Mal, dass der Deutsche unangemessen flapsig mit den Ängsten im Gastland umgegangen ist.
Er hatte einige Wochen zuvor für Empörung gesorgt, als er das japanische Volk als besonders „widerstandsfähig“ bezeichnet hatte und meinte, für Olympia müssten „einige Opfer“ gebracht werden. Dann warb das IOC in einem Imagefilmchen auch noch mit den Nazi-Spielen 1936 und verwendete dafür auch Aufnahmen von Adolf Hitlers Propagandafilmerin Leni Riefenstahl, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete.
Aber die Spiele müssen weitergehen. Denn sie sind ein billionenschweres Geschäft und für die Organisatoren steht viel auf dem Spiel. „Das IOC lässt die Athleten nicht im Stich“, wollte Bach das Festhalten an den Spielen 2021 gedeutet wissen. Für das IOC wäre es am einfachsten gewesen, die Spiele abzusagen und die Versicherungssumme zu kassieren, sagte er laut „Tagesspiegel“ Mitte Juli vor Journalisten. Aber das hätte den wahren finanziellen Schaden vermutlich kaum gedeckt.
Doch Tokio 2020 wird Spuren hinterlassen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Top-Sponsoren distanzieren sich, Fernsehgelder müssen zurückgezahlt werden – einige Finanzdaten zu den Olympischen Spielen in Tokio.
So viel kostet die Olympischen Spiele
Die Olympischen Spiele sind eine gigantische Marketing-Maschine. Firmen zahlen Höchstbeträge, um als offizielle Partner mit den Wettkämpfen assoziiert zu werden. Sie fallen dabei in zwei Gruppen. Weltweite Partner sind dem IOC auf lange Sicht verbunden. Der japanische Reifenhersteller Bridgestone hat zum Beispiel einen Vertrag von 2014 bis 2024 abgeschlossen (2013 wurden die Sommerspiele 2020 nach Tokio vergeben). Laut der Nachrichtenagentur AP sorgen allein die 14 größten Sponsoren für 18 Prozent der Einnahmen des IOC. Daneben gibt es eine Vielzahl von Firmen, die sich nur für eine spezielle Ausgabe der Spiele (meist in ihrem Heimatland) eingekauft haben. Allein diese Gruppe nationaler Sponsoren hat laut der Nachrichtenagentur Reuters in Japan die Rekordsumme von mehr als drei Mrd. US-Dollar für Olympia-Marketingrechte bezahlt. Weitere 200 Mio. US-Dollar seien hinzugekommen, um die Verträge nach der Verschiebung der Wettkämpfe um ein Jahr zu verlängern. Aber die Sponsoren sind nicht zufrieden mit dem, was sie für ihr Geld bekommen.
Die Werbung mit den Olympischen Spielen droht während der Pandemie für viele Firmen zum Image-Boomerang zu werden. Angesichts der massiven Kritik an dem möglichen „Superspreader-Event“ in der Inselrepublik distanzieren sich auch Großsponsoren von Tokio 2020. Am Montag vor Beginn der Spiele gab Toyota bekannt, dass es seine Olympia-Werbespots nicht im japanischen Fernsehen ausstrahlen wird. Einen ähnlichen Rückzieher hat der weltweite Olympia-Sponsor Bridgestone angekündigt. Toyota-CEO Akio Toyoda wird zudem nicht wie geplant der Eröffnungszeremonie beiwohnen. Ein Unternehmenssprecher begründete den Schritt mit der mangelnden Akzeptanz für die Wettkämpfe in der heimischen Bevölkerung. Laut „Forbes“ haben auch die Chefs anderer Sponsoren wie der Elektronikhersteller NEC oder Nippon Life Insurance und die Asahi Group Holdings beschlossen, der Eröffnungszeremonie fernzubleiben. Das Risiko sei einfach zu groß, von einer Fernsehkamera in Großaufnahme auf der Ehrentribüne eingefangen zu werden, sagte ein führender Angestellter eines Sponsors Reuters.
Die Coronapandemie hat den Unsicherheitsfaktor bei den Olympischen Spiele in bis dato unbekannte Höhen geschraubt. Der wahre Preis der Verschiebung um ein Jahr dürften unkalkulierbar sein. Allein in Japan schätzten Organisatoren ihre zusätzlichen Kosten auf 2,8 Mrd. US-Dollar, wie Reuters im Dezember 2020 berichtete. Das entsprach fast einem Fünftel des gesamten Budgets für die Spiele in Tokio, das ein Jahr zuvor veröffentlicht worden war. Die lokalen Organisatoren planten laut dem Bericht, die Extrakosten unter anderem durch Versicherungspolicen und zusätzliche Sponsorenverträge zu decken. Das IOC habe hier auf zusätzliche Beteiligungen an diesen neuen Sponsorengeldern verzichtet und zusätzlich 650 Mio. US-Dollar versprochen, um die Verzögerung zu finanzieren.
Dass sich das IOC solche Sonderausgaben leisten kann, liegt auch an den Übertragungsrechten. Laut AP sind sie für 73 Prozent der Einnahmen des IOC verantwortlich. Der am höchsten dotierte TV-Vertrag wurde laut Deutschlandfunk vom IOC mit dem US-Sender NBC abgeschlossen: „Für die Spiele von 2014 bis 2020 garantiert er 3,7 Mrd. Euro, der Anschlussvertrag bis 2032 ist 6,6 Mrd. Euro wert.“ ARD und ZDF waren zum Schrecken der Verantwortlichen Ende 2016 bei den Verhandlungen um die Direktübertragungsrechte zunächst gescheitert. Der US-Konkurrent Discovery (zu dem Eurosport gehört) sicherte sich die europäischen TV-Rechte für die Olympischen Spiele bis 2024 beim IOC für 1,3 Mrd. Euro. Später konnten sich die öffentlich-rechtlichen Sender doch noch mit Discovery auf eine „komplementäre“ Berichterstattung einigen, bei der man sich also nicht in die Quere kommen soll, wie der Deutschlandfunk 2017 berichtete. Was ARD und ZDF dafür gezahlt haben, sei nicht publik geworden.
Allerdings wird Tokio 2020 auch bei den Übertragungsrechten beim IOC für Einbußen sorgen. Laut Deutschlandfunk erhält NBC wegen der Verschiebung der Spiele einen Rabatt auf die teuer bezahlten Übertragungsrechte. Demnach wurde vertraglich festgehalten, „dass NBC und IOC in gutem Glauben eine gerechte Reduzierung der anwendbaren Zahlungen für die Übertragungsrechte aushandeln werden“. Dieser Rabatt werde nach Abschluss der Spiele in Tokio festgelegt. Die Sommerspiele 2021 könnten aber auch künftig die TV-Einnahmen des IOC drücken. Wettkämpfe müssen in Japan vor leeren Rängen stattfinden, etliche Spitzenathleten sind gar nicht erst angereist. Da kommt bei den Übertragungen vermutlich wenig Stimmung auf, was die Bereitschaft für immer neue Rekordbeträge bei den TV-Rechten künftig dämpfen dürfte.
Dass diese Sommerspiele nahezu ganz ohne Zuschauer stattfinden müssen, wird für die Organisatoren ebenfalls teuer. Nach der Verschiebung der Spiele musste zunächst jene Kunden entschädigt werden, die ihre Eintrittskarten zurückgeben wollten. Im März 2021 wurden dann ausländische Besucher ausgeschlossen, ehe die steigenden Covid-19-Zahlen in Japan auch für einheimische Zuschauer das Aus bedeuteten. Weltweit wurden 7,8 Millionen Tickets für Tokio 2020 verkauft, wie AP im Oktober 2020 berichtete. Die „New York Times“ schrieb, dass rund 600.000 Tickets an Besucher im Ausland gegangen seien. Für die wurde es besonders kompliziert und kostspielig, ihr Geld zurückzubekommen. Fans, die die Tickets im Ausland über autorisierte Reseller erworben haben, klagten über Verzögerungen bei den Rückzahlungen. Außerdem blieben sie häufig auf Servicegebühren in Höhe von 20 Prozent sitzen. Manche Olympia-Fans hatten Rundreisen durch Japan geplant und Tausende von Euro in den Besuch von Wettkämpfen investiert. Ob sie in Zukunft solche Investitionen erneut wagen werden, bleibt abzuwarten.
Olympische Spiele ohne Zuschauer sind auch deshalb so verheerend, weil sich dadurch der Kreis der Bewerberstädte weiter verkleinern dürfte. Olympia verspricht normalerweise einen Tourismusboom sondergleichen. Vom Image als Austragungsstätte kann eine Region noch Jahrzehnte später zehren. Fällt das aber weg, bleiben vor allem die immensen Kosten, die Olympische Spiele verursachen. Das beginnt bei der Bewerbung. Berlin und Hamburg hatten 2015 die Kosten für eine mögliche Bewerbung um die Spiele 2024 auf jeweils rund 50 Mio. Euro taxiert, wie die „taz“ damals berichtete. Später bemühte sich die Region Rhein-Ruhr um die Spiele 2032. Das IOC entschied sich jetzt jedoch in Tokio für das australische Brisbane. Es war im Rahmen eines neuen Vergabeverfahrens zum „bevorzugten Bewerber“ erklärt worden und war damit der einzige Kandidat. „Die Kosten für die Spiele in Brisbane berechneten die Organisatoren mit knapp drei Mrd. Euro. Die Hälfte davon trägt der australische Staat“, berichtete „Tagesschau.de“.