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Debatte vor Finanzausschuss Der große Ökonomenstreit bleibt aus

Im Berliner Paul-Löbe-Haus diskutierten elf Top-Ökonomen über sinnvolle Entlastungen in Zeiten der hohen Inflation
Im Berliner Paul-Löbe-Haus diskutierten elf Top-Ökonomen über sinnvolle Entlastungen in Zeiten der hohen Inflation
© IMAGO/Richard Wareham
Der Finanzausschuss des Bundestags hat elf Top-Ökonomen zu Auswegen aus der Inflationsfalle befragt. Im Vorfeld war viel Streit erwartet worden – doch der blieb aus. Teilweise herrschte sogar Konsens

Wer zwei Ökonomen befragt, bekommt drei Meinungen. So soll es einst Winston Churchill gesagt haben. Was passiert also, wenn der Finanzausschuss des Bundestags elf Top-Ökonomen zur grassierenden Inflation befragt? Erstaunliches, denn so unterschiedlich waren die von den Fachleuten aufgezeigten Lösungswege gar nicht – bei den Ursachen herrschte unter Deutschlands Spitzenökonomen sogar Konsens. Nur in den Details zeigten sich deutliche Unterschiede und Präferenzen. 

Geladen hatte der Finanzausschuss, um einen Antrag der Unionsfraktion zu beraten. Diese sprach sich unter anderem dafür aus, die Schuldenbremse einzuhalten, die kalte Progression zu neutralisieren und die Europäische Zentralbank an ihren Stabilitätsauftrag zu erinnern – kurz gesagt: Sie verlangte einen Spagat zwischen soliden Staatsfinanzen und Entlastungen für den Bürger. Wie dieser Balanceakt gelingen kann, darüber sollten Ökonomen wie Veronika Grimm (Uni Nürnberg-Erlangen), Jens Südekum (HHU Düsseldorf) oder Achim Truger (Uni Duisburg-Essen) informieren. 

Die Sitzung war unter Ökonomen mit Spannung erwartet worden. Einige der Teilnehmer streiten sich seit Monaten wortstark auf Twitter unter dem Hashtag #Ökonomenstreit über die richtigen Antworten auf die aktuellen Krisen. Gemessen daran verlief die Veranstaltung im Berliner Paul-Löbe-Haus aber bemerkenswert zivilisiert und sachorientiert. 

Konsens beim Auslöser

Inhaltlich waren sich die Wirtschaftswissenschaftler vor allem in einem Punkt einig: Die aktuelle Inflation werde getrieben von einem massiven Angebotsschock auf dem Energiemarkt – und nicht etwa durch eine ultralockere Geldpolitik der EZB, wie der CDU-Antrag zumindest insinuierte. Zwar trage auch die zumindest eine Teilschuld, doch sei diese im Vergleich zu den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs deutlich nachrangig.  

Die volkswirtschaftliche Medizin für einen klassischen Angebotsschock ist in der Regel einfach, sie lautet: Zeit. Irgendwann werden sich die Betriebe schon an die gestiegene Nachfrage angepasst haben, so die Theorie. Das wird allerdings dann zum Problem, wenn die Kapazitäten limitiert sind, wie es aktuell der Fall ist. Gestörte Lieferketten, Mangel an Arbeitskräften oder auch die Zero-Covid-Strategie in China sind nur drei Gründe, warum Zeit kein Allheilmittel für das aktuelle Angebotsproblem ist. Deshalb sind spezifischere Eingriffe nötig. Doch wann, wo und wie diese erfolgen sollten, ist keineswegs einfach zu beantworten. Das zeigte auch die Diskussion am Mittwoch. 

Eine Denkschule rund um Achim Truger und Gunther Schnabl (Uni Leipzig) sprach sich beispielsweise dezidiert gegen eine expansive Fiskalpolitik aus, sprich: gegen höhere Staatsausgaben. „In diese Phase expansive Impulse zu setzen, würde aufgrund von Kapazitätsengpässen nicht funktionieren“, sagte Truger. Kurz gesagt: Der Staat würde das Geld gar nicht unter die Bevölkerung bekommen. „Die expansive Fiskalpolitik der vergangenen Jahre hat zu einem leeren Arbeitsmarkt geführt und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften erhöht. Wir werden in Zukunft weiteren Inflationsdruck vom Arbeitsmarkt spüren, und das kann nur gedämpft werden, wenn wir den laufenden Effekt umkehren. Das heißt, wir müssen eine fiskalische Konsolidierung anstreben – die Schuldenbremse sollte eingehalten werden“, erklärte Schnabl.  

Bedenken gegen höhere Staatsausgaben

Auch die meisten anderen Ökonomen äußerten zumindest Bedenken gegen höhere Staatsausgaben. Ziemlich allein stand daher Heiner Flassbeck dar, der sich als einziger klar für höhere Staatsausgaben aussprach. „Wir erwarten einen Tsunami, der massive Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Schon eine restriktive Geldpolitik der EZB ist falsch, blickt man in die Schweiz und nach Japan. Aber wenn man davon ausgeht, dass die EZB unabhängig ist, und wir nichts ändern können, dann ist eine zusätzlich restriktive Fiskalpolitik maximal falsch.“ Dem widersprachen Vertreter von CDU und AfD allerdings deutlich, und auch Fritz Söllner von der TU Ilmenau hielt gar nichts vom Vergleich mit der Schweiz. 

Was die Geldpolitik betraf, war die Schnittmenge dann schon deutlich geringer. Letztlich seien die Zinsschritte der EZB wohl notwendig gewesen, erklärten die Ökonomen unisono – vor allem, um die Inflationserwartungen zu dämpfen. Ob weitere Schritte folgen und wie hoch diese ausfallen sollten, wurde aber lebhaft diskutiert. Klar wurde: Einen Automatismus für weitere Zinsanhebungen leiteten die Ökonomen aus der aktuellen Lage eher nicht ab.  

Wichtiger seien zwei Dinge: Das Energieangebot radikal zu erhöhen, und gleichzeitig gezielte Entlastungen zu erreichen. Achim Truger sprach sich hier für weniger Eitelkeiten aus. „Man muss sich an Bedarfen orientieren und nicht an magischen Zahlen. Dafür sind die Zeiten zu ernst.“ Er würde notfalls also auch die Schuldenbremse außer Kraft setzen. Dass Entlastungen notwendig seien, befürworteten alle Teilnehmer. Allerdings erklärten Ökonomen wie Jens Ulbrich von der Bundesbank, dass diese auch innerhalb des Budgets möglich seien. „Es bestehen genügend fiskalische Rücklagen.“  

Die Union wünscht sich daher etwa eine Kopplung der kalten Progression (also der Umstand, dass höhere Löhne durch höhere Steuersätze de facto aufgefressen werden) an die Inflationsrate – von den versammelten Fachleuten bekam sie dafür allerdings gemischtes Feedback. Das sei zwar grundsätzlich sinnvoll, doch eigentlich Augenwischerei. S  erklärte Tobias Hentze vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln: „Mit der Neutralisierung der kalten Progression verzichtet der Staat letztlich nur auf eine Steuererhöhung. Warum das aber eine Entlastung sein soll, erschließt sich mir nicht.“ Die Einkommenssteuersätze sollten daher grundsätzlicher angefasst werden, forderte etwa Katja Rietzler von der Hans-Böckler-Stiftung.  

Lob für Strompreisdeckel

Lob gab es abschließend im großen und ganzen für den geplanten Strompreisdeckel der Ampel, mit dem ein Teil des Verbrauchs preislich fixiert wird. Nur für einen Restanteil müssen Verbraucherinnen und Verbraucher den vollen Marktpreis zahlen. So würden Preissignale aufrecht erhalten und trotzdem gebe es einen Sparanreiz. „Damit entlasten wir die Menschen dort, wo sie kaum Spielraum haben – beim Grundverbrauch“, sagte Isabella Weber von der University of Massachusetts Amherst. Gegenrede gab es hier kaum – wie so oft an diesem Tag. 

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