Auf den ersten Blick schien die jährliche Atomwaffen-Bilanz des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI positiv auszufallen. Die Beobachter schätzten, dass es zum Jahresbeginn 2021 weltweit rund 13.080 Atomwaffen gab. Anfang 2020 war SIPRI noch von 13.400 Nuklearwaffen ausgegangen. Allerdings hatten die Forscher den Verdacht, dass die neun Atommächte in erster Linie alte Sprengköpfe ausgemustert haben. Denn sie zählten mehr einsatzbereite Atomsprengköpfe als im Jahr zuvor.
Die Zahl der auf Raketen montierten oder an Militärbasen mit einsatzbereiten Kampftruppen stationierten Nuklearwaffen stieg demnach von 3720 auf 3825. Mehr als die Hälfte davon – 2000 Sprengköpfe – könnten laut SIPRI sofort für einen atomaren Angriff eingesetzt werden.
Atommächte rüsten auf
SIPRI-Experte Hans Kristensen sprach in der Mitteilung zum Jahresbericht von einem besorgniserregenden Zeichen. Der Abwärtstrend beim atomaren Bestand seit Ende des Kalten Kriegs sei zum Stillstand gekommen: „Die Gesamtzahl von Sprengköpfen in den globalen Militärarsenalen scheint sich jetzt zu erhöhen.“ Das spiegelt sich laut den Friedensforschern in den Strategien der Regierungen der neun Atommächte wider. Alle entwickeln demnach neue Waffensysteme, setzen diese bereits ein oder haben entsprechende Pläne.
Im Februar 2021 war die Verlängerung des New-START-Vertrags zur Reduktion von Nuklearwaffen zwischen den USA und Russland in Kraft getreten. Kristensen sprach von einem Schritt in letzter Minute und begrüßte das Abkommen. Allerdings hatte der Abrüstungsexperte wenig Hoffnung, dass es künftig stärkere Kontrollen zwischen den beiden atomaren Supermächten geben wird.
„New START schreibt beiden Vertragspartnern vor, die Zahl ihrer nuklearen Sprengköpfe auf maximal 1550 und die Zahl nuklearer Trägersysteme auf 800 zu reduzieren - von letzteren dürfen maximal 700 im Einsatz sein“, hatte die „Tagesschau“ berichtet. „Kontrolliert werden soll die Einhaltung per Satelliten- und Fernüberwachung sowie durch 18 Vor-Ort-Inspektionen pro Jahr.“
Die 13.080 Atomwaffen weltweit verteilen sich auf neun Staaten. So hat sich der Bestand 2020 entwickelt.
So haben die Atommächte 2020 aufgerüstet
So haben die Atommächte 2020 aufgerüstet

#9 Nordkorea
SIPRI unterscheidet im Atomwaffen-Report zwischen einsatzbereiten Sprengköpfen und „anderen Sprengköpfen“. Bei Letzteren handelt es sich um Waffen, die eingelagert oder ausgemustert sind. Die vier führenden der neun Atommächte verfügen laut SIPRI aktuell über einsatzbereite nukleare Sprengköpfe. Die Experten schätzten die Zahl der übrigen Atomwaffen in Nordkorea auf 40 bis 50. Anfang 2020 waren sie von 30 bis 40 ausgegangen. Das Land belegte damit den letzten Platz. Die Lage in der Diktatur ist allerdings derart undurchsichtig, dass das Stockholmer Institut Nordkorea in der Gesamtzahl der Atomwaffen weltweit nicht einberechnet hat.

#8 Israel
Israel verfügte laut SIPRI Anfang 2021 über 90 Atomsprengköpfe, die eingelagert waren oder ausgemustert wurden. Das entsprach dem Ergebnis ein Jahr zuvor. Israel war damit eines von zwei Ländern, in denen das Atomarsenal 2020 gleichgeblieben ist.

#7 Indien
In Indien zeigte der Trend hingegen nach oben. SIPRI ging im Jahresbericht 2021 davon aus, dass der Subkontinent 156 Atomsprengköpfe in Reserve hatte. Das waren sechs mehr als im Vorjahr.

#6 Pakistan
Pakistan hat den verfeindeten Nachbarn Indien beim Atomwaffenarsenal erneut leicht übertroffen. SIPRI zählte 165 nukleare Sprengköpfe (eingelagert oder ausgemustert). 2020 waren es noch 160 gewesen.

#5 China
China hat sein Arsenal laut SIPRI binnen eines Jahres fast um ein Zehntel vergrößert. Die Zahl der eingelagerten oder ausgemusterten Sprengköpfe stieg demnach von 320 auf 350. „China befindet sich mitten in einer signifikanten Modernisierung und Erweiterung seines nuklearen Bestands“, urteilten die Experten.

#4 Großbritannien
Das Vereinigte Königreich verfügte zwar über weit weniger Atomwaffen als China. Es ist jedoch das erste Land im SIPRI-Jahresbericht, das seine nuklearen Sprengköpfe einsatzbereit hält und kommt deshalb in dieser Rangliste auf Platz vier. Die Beobachter zählten 120 einsatzbereite und 105 weitere Atomwaffen. Das waren in Summe zehn mehr als 2020. Das Vereinigte Königreich hatte sich dem Bericht zufolge Anfang 2021 von der bisherigen Leitlinie verabschiedet, das Nukleararsenal zu reduzieren. Stattdessen sollte die Höchstzahl atomarer Sprengköpfe von 180 auf 260 angehoben werden.

#3 Frankreich
Frankreich fällt im SIPRI-Bericht vor allen durch einen Umstand auf: Nahezu alle seiner Atomwaffen sind den Angaben zufolge einsatzbereit. Das Stockholmer Institut ging von 280 einsatzbereiten und zehn weiteren Atomsprengköpfen aus. Die Gesamtzahl lag wie in Israel auf dem Niveau des Vorjahres.

#2 USA
Russland und die USA besitzen laut SIPRI über 90 Prozent der Atomwaffen weltweit. In beiden Nationen laufen laut den Friedensforschern umfangreiche und kostspielige Programme, um das Arsenal an Sprengköpfen sowie die Abschusssysteme via Rakete oder Flugzeug zu modernisieren. Geht man nach der Gesamtzahl der Atomwaffen, kamen die USA laut SIRPI Anfang 2021 mit 5500 Sprengköpfen (2020: 5800) auf Platz zwei. Gemessen an der Zahl der einsatzbereiten Nuklearwaffen (1800) lagen die Vereinigten Staaten aber weltweit an der Spitze.

#1 Russland
Russland war Anfang 2021 mit deutlichem Abstand das Land mit den meisten Atomwaffen der Welt. SIPRI ging von insgesamt 6255 nuklearen Sprengköpfen aus. Damit lag Russland wie die USA unter dem Ergebnis des Vorjahres (6375) – laut den Forschern war das aber in erster Linie die Folge der andauernden Modernisierung des Arsenals. Mit 1625 einsatzbereiten Sprengköpfen blieb Russland dem Bericht zufolge leicht hinter den USA zurück. Bei der Zahl der eingelagerten oder ausgemusterten Atomwaffen führte Russland hingegen deutlich (4630 versus 3750).