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Parlamentswahl Schweden im Bann der Rechtspopulisten

Anhänger der Rechtspopulisten mit einem Plakat auf dem der Parteichef Jimmie Akesson abgebildet ist
Anhänger der Rechtspopulisten mit einem Plakat auf dem der Parteichef Jimmie Akesson abgebildet ist
© dpa
In vielen Ländern Europas sind Rechtspopulisten im Aufwind - auch im wohlhabenden Schweden. Die Flüchtlingsdebatte könnte ihnen bei der Wahl am Sonntag ein historisches Hoch einbringen. Das ist ein Problem für die anderen Parteien - aber auch für sie selbst

In Hässleholm, einer kleinen, tristen Stadt in Südschweden, kam es im vergangenen Frühjahr zu einem kleinen politischen Erdbeben. Die Schwedendemokraten, eine einwanderungsfeindliche, rechtspopulistische Partei mit Wurzeln in der Neonazi-Szene, werden seit langem von anderen politischen Gruppen geächtet. Aber dann nutzten drei Parteien rechts der Mitte die Populisten, um das Mitte-Links-Bündnis aus dem Stadtrat zu drängen.

Dafür bekam die Rechtsaußenpartei ihren ersten Stellvertreterposten in einem Stadtrat. Eine Weile waren sie sogar für die Haushaltsplanung 2018 verantwortlich, bevor dann doch die etablierten Konservativen wieder das Ruder übernahmen. „Lange habe ich davon geträumt, an die Macht zu kommen“, sagt Patrik Jonsson, Parteichef in der Provinz Skane. „Es stärkt unsere Legitimität, wenn wir zeigen, dass wir eine Kommune oder ein Land führen können. Das ist der erste Schritt.“

Von der Parlamentswahl an diesem Sonntag erhofft sich die Partei ein noch viel größeres politisches Beben. In den Umfragen der vergangenen Wochen rangiert sie zwischen 16,8 und 25,5 Prozent, zwischen dem dritten und dem ersten Platz. Zumindest werden sie zum Zünglein an der Waage und dürften die jahrzehntelang regierenden Blöcke links und rechts der Mitte herausfordern. Die Sozialdemokraten sind seit mehr als einem Jahrhundert die stärkste politische Kraft des skandinavischen Landes.

Schaffen die Schwedendemokraten ein starkes Ergebnis, wird sie das aber selbst unter Druck setzen: Sie müssten sich entscheiden, ob sie eine bloße Protestpartei oder eine Partei, die Einfluss nimmt, sein wollen. Bei den nordischen Nachbarn traten Rechtspopulisten in Norwegen und Finnland in die Regierung ein, oder sie erlangten – wie in Dänemark – beträchtlichen Einfluss im Parlament.

Für das Konsens orientierte Schweden wäre das auf jeden Fall eine Zäsur. Lange war man stolz darauf, das vielleicht offenste europäische Land für Einwanderer und gleichzeitig ein großzügiger Wohlfahrtsstaat zu sein. Nun wird sowohl das traditionelle politische System auf die Probe gestellt wie auch der „Cordon Sanitaire“, den die Volksparteien versucht haben, um die populistische Partei zu legen. Ein Erfolg der Schwedendemokraten würde auch ihre Einwanderungspolitik und die Forderung nach einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft in den Fokus der politischen Debatte rücken.

Anfällig für populistische Botschaften

Aus all diesen Gründen wird das übrige Europa die Wahlen genau verfolgen. Hat der politische Mainstream 2017 noch eine Reihe von Herausforderungen von Rechtsaußen überstanden, so zeigen die Ergebnisse in Italien und möglicherweise jetzt auch in Schweden, wie anfällig Europa für populistische Botschaften weiter ist – nicht zuletzt wegen Fragen der Migration.

Die Sozialdemokraten stellen sich auf einen historischen Tiefstand in der Wählergunst ein. Hier Premierminister Stefan Lofwen auf Tour.
Die Sozialdemokraten stellen sich auf einen historischen Tiefstand in der Wählergunst ein. Hier Premierminister Stefan Lofwen auf Tour.
© Fredrik Sandberg / Getty Images

Bislang fuhren die schwedischen Volksparteien den Kurs der Ausgrenzung. Als der sozialdemokratische Premierminister Stefan Lövfen alle Parlamentsfraktionen einlud, die Zuwanderung auf dem Höhepunkt der Migrationskrise 2015 zu erörtern, ließ man die Schwedendemokraten bewusst außen vor. „Die gemäßigten Parteien haben viel in die Isolierung investiert“, sagt Ann-Cathrine Jungar, eine Expertin für die radikale Rechte an der Sodertorn Universität.

In vielerlei Hinsicht haben die Schwedendemokraten allerdings davon profitiert. Die etablierten Parteien hatten lange eine positive Einstellung zur Zuwanderung. Als Schweden 2015 rund 163.000 Asylbewerber aufnahm – gemessen an seiner Bevölkerung mehr als andere europäische Länder –, waren die Schwedendemokraten zunächst die einzigen, die vor den Folgen warnten. „Die anderen Parteien verschränkten die Hände auf dem Rücken“, sagt Anders Sannerstedt von der Universität Lund.

Die Botschaft der Rechtspopulisten war über die Jahrzehnte bemerkenswert konsistent: Die Zuwanderung bedrohe die großzügigen Sozialleistungen Schwedens für Ältere und Arbeitslose. Eine Parteiwerbung von 2010 zeigt einen Rentner, der sich langsam auf den Staatshaushalt zubewegt, nur um von einer Gruppe Burka tragender Frauen mit Kinderwägen überholt zu werden. „Einwanderung ist teuer: Sie nimmt Lehrern, Ärzten und Sozialarbeitern Ressourcen weg“, sagt Regionalchef Jonsson. „Sie betrifft alle. Wir können nicht einfach wegsehen.“

In den Umfragen zwischen Platz eins und drei

Eine Verschärfung der Zuwanderungsgesetze unter den Sozialdemokraten 2016 und 2017 bremste den Aufstieg der Rechtspartei vorübergehend aus. 2018 legten sie wieder zu, schoben sich in mehreren Meinungsumfragen an die Spitze, und versetzten die etablierten Parteien in panikartige Zustände. Zunehmende Sorgen der Bürger über gewalttätige Straftaten spielen ihnen in die Hände. Allein in dieser Woche steckten Jugendliche bei scheinbar organisierten Übergriffen hundert Autos im Westen von Göteborg in Brand.

Ausgebrannte Autos in Götheborg
Ausgebrannte Autos in Götheborg (Foto: dpa)
© dpa

Als Parteichef Jimmie Akesson vorschlug, Soldaten gegen Bandenschießereien und Granatenangriffe in den Vororten einzusetzen, zeigte sich Premier Stefan Löfven zunächst offen für die Idee, ruderte dann aber zurück. „Es ist schwierig, sich von ihnen zu distanzieren, wenn man selbst eine Migrationspolitik betreibt, die davon nicht weit entfernt ist“, sagt Jungar.

Nach Ansicht der sozialdemokratischen Zuwanderungsexpertin Paula Bieler sind viele Wähler von den widersprüchlichen Positionen der anderen Parteien zur Migration enttäuscht. „Wenn wir 20 Prozent vertreten, und die anderen Parteien nicht einmal verhandeln oder kooperieren wollen, dann beeinträchtigt dieser Kleingeist das Vertrauen der Bürger in die anderen Parteien“, ist sie überzeugt. Aber nicht nur die Einwanderungsfrage macht die Populisten attraktiv: Einer Umfrage des Instituts Kantar Sifo zufolge, sind Anhänger der Schwedendemokraten der Meinung, dass Politiker nicht zuhören und ihre Lebensweise nicht respektieren.

Für die anderen Parteien liegt der Grund der Ausgrenzung einfach in der Nähe zur neonazistischen Bewegung. Die Schwedendemokraten entstammen mehreren faschistischen Gruppen, darunter „Schweden den Schweden“, einem frühen Slogan auch ihrer Partei. Premier Löfven nennt sie „Neofaschisten“. Die Linke begegnet ihnen mit instinktiver Abneigung.

Seit ihrer Gründung 1988 üben sie sich verstärkt in Mäßigung. Wegen offen rassistischer Ansichten wurden in einer Säuberungsaktion unter Parteichef Akesson Dutzende Mitglieder ausgeschlossen. Im vergangenen Jahr gründete sich mit der Alternative für Schweden eine neue Partei, zu der einige der extremsten Prominenten überliefen. Dennoch bezeichnet Steve Bannon, der ehemalige Präsidentenberater von Donald Trump, die Schwedendemokraten als „die perfekte Besetzung“ für die Bewegung „rechtsgerichteter, populistischer Nationalisten“, die er in Europa fördern wolle. Anstoß zu Kontroversen gibt es immer wieder – zuletzt als einer der Abgeordneten behauptete, Juden und Samen seien keine Schweden.

In welchem Dilemma sich die etablierten Parteien im Umgang mit den Schwedendemokraten befinden, und welche Chancen und Herausforderungen sich für die Populisten ergeben – das alles ist in Hässleholm zu beobachten.

Der Stadtrat besteht aus drei Fraktionen ­– Mitte-Links hat knapp die Hälfte der Sitze, Mitte-Rechts und Rechtspopulisten je ein Viertel. Jede Fraktion stimmte zunächst für ihren eigenen Haushalt, Mitte-Links blieb an der Macht. 2017 taten sich jedoch Mitte-Rechts und Schwedendemokraten zusammen, um die Machtverhältnisse zu kippen.

Aber dann liefen die Dinge schief. Als Ulf Erlandsson als erster Schwedendemokrat den stellvertretenden Vorsitz im Stadtrat übernahm, verstrickte er sich rasch in verschiedene Skandale, unter anderem wegen der Verbreitung rassistischer Artikel über soziale Medien. Er musste zurücktreten. Die Glaubwürdigkeit der Partei war beschädigt. Der oberste Stadtrat Douglas Roth nennt die Populisten nun „unseriös“, weil sie immer wieder alles mit Einwanderung verknüpften. „Das Problem ist: Selbst wenn wir eine Straße asphaltieren wollen, sagen sie, das geht nicht, weil es hier Immigranten gibt.“

Erlandssons Nachfolger Jonsson zeigt sich aufgeschlossen über das Experiment in der Stadt. „Hässleholm ist ein Beispiel dafür, was wir sein könnten – und auch dafür, was schiefgehen kann, wenn man mit den Schwedendemokraten kooperiert“, sagt er.

Moderate wollen nicht kooperieren

Die Parteien rechts der Mitte sind sich uneins, wie sie mit den Rechtspopulisten umgehen sollen. Hier die Vorsitzende der Christemokraten, Ebba Busch Thor, im Wahlkampf in Stockholm
Die Parteien rechts der Mitte sind sich uneins, wie sie mit den Rechtspopulisten umgehen sollen. Hier die Vorsitzende der Christemokraten, Ebba Busch Thor, im Wahlkampf in Stockholm
© Jonathan Nackstrand / Getty Images

Spiegelbildlich manifestieren sich die Probleme auf nationaler Ebene. Ulf Kristersson, Chef der Moderaten und Mitte-Rechts-Favorit für das Amt des Premierministers, will erklärtermaßen nicht mit den Rechtspopulisten verhandeln oder kooperieren. Aber eine Regierungsbildung wird dann sehr schwierig sein. Die vier Parteien rechts der Mitte werden voraussichtlich etwa 40 Prozent erzielen, die Mitte-Links-Partei ebenfalls 40 Prozent und die Schwedendemokraten 20 Prozent. Jede Regierung wäre auf Unterstützung entweder vom gegnerischen Block oder von Rechtsaußen angewiesen.

Unter den Konservativen herrschen unterschiedliche Auffassungen. Die einen meinen, das Verhältnis zur Rechtspartei müsse normalisiert werden und sie solle Einfluss im Parlament erhalten. Die anderen sind weiterhin für ihre Ächtung. Einige Beobachter halten eine Ein-Parteien-Minderheitsregierung der Moderaten für das wahrscheinlichste Ergebnis. Die radikalere Alternative wäre eine Art Große Koalition wie in Deutschland. „Niemand weiß so richtig, was nach den Wahlen passieren wird“, sagt Sannerstedt.

Das Dilemma ist nicht geringer für die Populisten. Wenn die anderen Parteien sich verweigern, sollten sie dann destruktiv agieren oder konstruktiv? Es ist eine große innerparteiliche Debatte. „Viele unserer Wähler sind zufrieden damit, dass wir unsere Macht gegenüber den anderen Parteien zur Schau stellen. Also „Tut dies, oder wir tun das", sagt Jonsson. Er plädiert stattdessen für die Alternative. „Es ist am besten, wir zeigen uns als zuverlässige Partei. Selbst wenn das Budget der (Mitte-Rechts-)Allianz für uns nicht perfekt ist, müssen wir uns auf eine Zusammenarbeit verständigen.“

Die Sozialdemokratin Bieler hält eine Minderheitsregierung für wahrscheinlich. Der Preis der Schwedendemokraten für die Unterstützung einer solchen Regierung wäre Einfluss auf die „Migrationspolitik und die Bereitschaft, uns zuzuhören“. Oft liefen populistischen Parteien Gefahr, zu viele Kompromisse einzugehen. So seien die Wahren Finnen nach ihrem Eintritt 2015 in die Regierung in den Umfragen eingebrochen und nach ihrer Zustimmung zum dritten Rettungspaket für Griechenland habe sich die Anti-EU-Partei dann gespalten.

Mitregieren: ja oder nein?

Parteikader der Rechtspopulisten schielen lieber über den Öresund nach Dänemark, wo die Dänische Volkspartei sich nie an der Regierung beteiligt hat, aber seit mehr als einem Jahrzehnt aus dem Parlament heraus an Einfluss gewinnt – insbesondere was die Zuwanderungspolitik anbelangt. „Die Frage für die Schwedendemokraten ist, ob sie allmählich mehr Akzeptanz gewinnen, ohne dabei auseinanderzufallen“, sagt der Direktor des Reforminstituts, Stefan Fölster.

Bislang diktieren die Schwedendemokraten die Themen des Wahlkampfs. Die Wirtschaft hat sich seit der globalen Finanzkrise relativ gut entwickelt. Darüber wird wenig diskutiert. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf Zuwanderung, Integration und Kriminalität – ebenso wie auf dem Klimawandel nach den Waldbränden des Sommers. Zu den Positionen gehören eine eingeschränkte Familienzusammenführung für Einwanderer, beschleunigte Abschiebungen, verbesserte Altenpflege und die Bekämpfung krimineller Banden.

Die Sozialdemokraten scheinen sich mit dem schlechtesten Ergebnis seit über 100 Jahren abgefunden zu haben, was den Rechtspopulisten aus Sicht ihrer Sprecherin in die Hände spiele und Auftrieb gebe. „So oder so wird die nächste Regierung mit allen Parteien sprechen müssen“, sagt sie. „Wenn sie es mit uns nicht tun, wirst du das Ergebnis im Jahr 2022 sehen.“

Swexit: Populisten wollen über EU abstimmen

Von allen Streitpunkten steht allerdings nicht die Zuwanderung ganz oben auf der Liste. Es ist der Plan der Schwedendemokraten, über einen Austritt aus der EU abstimmen zu lassen. Der Swexit, wie er schnell getauft war, sei nötig, weil die EU ein „einziges Netz der Korruption“ sei, sagte Parteichef Akesson im Juni. Schweden zahle ungeheure Summen und bekomme unglaublich wenig zurück. „Aber der Hauptgrund ist ideologisch: Wir wollen nicht Teil einer supranationalen Union sein.“

Schon seit längerem versucht die Partei, das Thema zu setzen, ohne jedoch richtig Zugkraft zu gewinnen. Fast alle anderen Parteien stehen fest zur EU-Mitgliedschaft. Nur die ex-kommunistische Linkspartei will ebenfalls gehen, halten eine Volksbefragung aber für verfrüht, da es keine ausreichende Unterstützung gebe. Lediglich 27 Prozent der Schweden meinen, dass ihr Land außerhalb der EU besser aufgehoben wäre, 67 Prozent glauben das laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage nicht.

Die gemäßigten Parteien versuchen, das Brexit-Chaos in Großbritannien zu nutzen, um die Gegner damit zu kritisieren. Die Moderaten, die als Favoriten für die Regierungsverantwortung gelten, haben Swexit-Kosten von 280 Mrd. Kronen (31 Mrd. Dollar) oder 40.000 Kronen pro Haushalt errechnet. Liberalenchef Jan Björklund stellte einen Swexit in den Mittelpunkt seiner großen Sommerrede und warnte vor dem drohenden Verlust von bis zu 150.000 Arbeitsplätzen. „Es wäre verheerend für Schweden. Die Preise würden steigen, der Lebensstandard sinken. Es ist wichtig, dass die Menschen dies wissen, wenn wir wählen gehen.“

Carl Bildt, der frühere Premierminister, ging noch weiter. Er bezeichnete das vorgeschlagene Referendum als „die größte Gefahr für den zukünftigen Wohlstand Schwedens“.

Copyright The Financial Times Limited 2018

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