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Gerwin Bell Produktionsverlagerungen haben die Abhängigkeit von China nicht verringert

China bleibt eine wichtige Größe im Welthandel
China bleibt eine wichtige Größe im Welthandel
© IMAGO / NurPhoto
Was hat die Entkopplungspolitik des Westens gegenüber China gebracht? Bisher ist es nicht gelungen, China vom Welthandel abzuschneiden. Und neue Produktionsstandorte in Vietnam oder Mexiko haben ihre eigenen Probleme. Zeit, die Erwartungen zurückzuschrauben
Gerwin Bell, Lead Economist, Asia, PGIM Fixed Income
Gerwin Bell, Lead Economist, Asia, PGIM Fixed Income
© PR

Experten der internationalen Diplomatie haben vielleicht bemerkt, dass die Biden-Regierung ihren Ansatz für den Handel mit China kürzlich umbenannt hat: von „Entkopplung“ (De-coupling) zu „Rückverlagerung“ (Re-shoring) und von „Friend-shoring“ zu „Risikominderung“ (De-risking). Man könnte versucht sein, dies als eine weitere Übung in geopolitischem Jargon abzutun, aber es könnte auch auf eine überfällige Einsicht hindeuten, dass frühere Versuche, China vom internationalen Handel auszuschließen, unrealistisch waren.

Der politische Grundgedanke hinter den Entkopplungsbemühungen mag simpel erscheinen. Nach den Pandemie-bedingten Lockdowns in China, die zu Engpässen bei der Versorgung mit wichtigen Gütern führten, und den zunehmenden Spannungen zwischen China und dem Westen, wollten die USA ihre Handelsabhängigkeit von China verringern und Lieferketten in andere Länder verlagern. In gewisser Weise ist diese Politik eine Folge der Zölle, die die Trump-Administration im Jahr 2018 verhängte und die seitdem aufrechterhalten wurden. Tatsächlich befinden sich die US-Importe aus China derzeit auf einem Zehnjahrestief, während das bilaterale Handelsdefizit mit China auf den niedrigsten Stand seit Ende 2019 gesunken ist.

Also, Fall abgeschlossen und Freigabe für eine breitere Umsetzung der Entkopplung durch die G7? Keineswegs, wie ein Blick auf die Daten offenbart. Erstens ist das Gesamtvolumen der chinesischen Exporte nicht von seinem Post-Lockdown Höchststand zurückgegangen. Mehr noch: Da das Volumen der weltweiten Importe im gleichen Zeitraum insgesamt gesunken ist, bedeutet dies, dass Chinas Anteil an den globalen Exporten sogar gestiegen ist.

Höhere Defizite mit China

Wie passt dies zu den Meldungen über die zunehmende Exportdurchdringung, d.h. die Verlagerung von Lieferketten in Länder wie Mexiko und Vietnam? Nun, diese Länder haben viel mehr aus China importiert – ihre höheren Handelsüberschüsse mit den USA wurden zu einem erheblichen Teil durch höhere Defizite mit China ausgeglichen. Im Falle Mexikos liegt das Wachstum des Defizits mit China sogar höher als der Anstieg des Handelsüberschusses mit den USA.

Natürlich sind derartige Umwege und Handelsverlagerungen mit Effizienzkosten verbunden – die gleichen Waren, die direkt aus China gekommen wären, nehmen nun einen teuren und zeitraubenden Umweg. Ökonomen werden nicht überrascht sein. Schon lange betonen sie den Unterschied zwischen Handelsschöpfung und Handelsumlenkung und die damit einhergehenden höheren Effizienzgewinne durch multilaterale Handelsliberalisierungen (d.h. alle Handelspartner werden gleich behandelt) im Vergleich zu engeren Freihandelszonen, die Nicht-Mitgliedsländer ausschließen. Trotz des verringerten Risikos bleibt China also die „Fabrik der Welt“ und das Logistikzentrum mit reichlich freien Kapazitäten, während Vietnam und Mexiko an Kapazitätsgrenzen stoßen.

Darüber hinaus birgt De-risking neue Risiken. Die „Freunde“, an die die Lieferketten verlagert wurden, bringen ihre eigenen sozialen und geopolitischen Risiken mit sich. Ohne die Widerstandsfähigkeit der in diese Länder verlagerten Lieferketten beurteilen zu wollen, sei darauf hingewiesen, dass die vietnamesische Wirtschaft der chinesischen Wirtschaft vor 2012 ähnelt, während Investoren in Mexiko häufig auf Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit verweisen. In jedem Fall hat die Bedeutung chinesischer Investitionen auch in diesen Ländern zugenommen, wodurch sich die Abhängigkeit von China auf mehr Länder verlagert hat.

Vor diesem Hintergrund könnte die Umbenennung von Entkopplung in De-risking durchaus einen wahren Kern haben – eine Einsicht in die exorbitanten Kosten, die entstehen würden, wenn die Entkopplung ernsthaft versucht würde.

Während jedoch die Entkopplung von China weniger ein Ziel zu sein scheint, gewinnt die Abkopplung der Wirtschaftspolitik von der bisherigen Praxis an Fahrt, wie z.B. die weit verbreitete Übernahme von Industriepolitik und staatlich gelenkten Investitionen in den USA und Europa. Ähnlich wie beim De-risking gibt es genügend Belege für damit verbundenen Kosten. Denn bei Handelsbeschränkungen geht die Kapitalzuteilung durch Regierungen an jene Bereiche, die sie als Gewinner ausgewählt haben, in der Regel nicht gut aus. Die Belege reichen von den gescheiterten deutschen Investitionen in Magnetschwebebahnen über chinesische Überinvestitionen in den Immobiliensektor bis hin zu Nordirlands Versuch, eine Hauptstadt der Automobilindustrie zu werden (obwohl wir ihnen den DeLorean zu verdanken haben).

Erwartungen im Zaum halten

Während die derzeitige Zuversicht der Anleger, dass die Wirtschaft nach einer Phase hoher Inflation und Zinserhöhungen durch die Zentralbank eine weiche Landung erleben wird, solche Bedenken zerstreuen könnte, stellt sich die Frage, ob dieser neue Konsens in der Handels- und Industriepolitik die nächste Rezession überstehen wird.

Werden die politischen Entscheidungsträger dann die Chance ergreifen, die zugrunde liegende Effizienz und das Wachstum wieder zu steigern, indem sie zum offenen Handel zurückkehren und die restriktive Politik aufgeben? Oder werden sie noch größere Anstrengungen unternehmen, um Arbeitsplätze vor ausländischer Konkurrenz zu schützen? Die Antwort auf diese Frage wird entscheidend dazu beitragen, ob die Welt in einem Umfeld mit geringerem Wachstum und höherer Inflation enden wird, wie es zwischen 1990 und 2020 der Fall war.

Was bedeutet all dies für die Verbündeten der USA, die offensichtlich in die Kategorie „Freunde“ fallen? Optimisten sehen vielleicht Spielraum für eine willkommene Diversifizierung der Industrie und des Exports, aber die Realität erlaubt wahrscheinlich weniger Zuversicht. Vor allem wird jede ausgelagerte Produktion wahrscheinlich weniger effizient sein und unter dem Strich die Situation auf den Arbeits- und Immobilienmärkten weiter verschärfen (wie es in Mexiko der Fall ist). Darüber hinaus wird jede Umlenkung der Rohstoffexporte wahrscheinlich auf Kosten geringerer Exporte nach China gehen und weiterhin von der (derzeit sinkenden) globalen Gesamtnachfrage nach Gütern abhängig sein. Es ist also besser, die Erwartungen im Zaum zu halten.

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