Die Botschaft Barack Obamas an die französischen Wähler vor der Stichwahl am Sonntag war weniger eine Unterstützung, sondern mehr eine Salbung. Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron verkörpere „die Werte, an denen uns soviel liegt“, sagte Obama. Auf Macrons Twitter-Präsenz unterstrich der Slogan „L’espoir est en marche“ – grob übersetzt: „Die Hoffnung ist auf dem Weg“ – die Parallele. Jung, gut aussehend, liberal, populär – es ist leicht, den Vergleich zu verstehen. Aber in Wahrheit ist der neue französische Präsident nicht der neue Barack Obama. Er ist der neue Tony Blair.
Wie der frühere britische Premierminister ging auch Macron aus einer traditionsreichen linken Partei hervor, die Ideologie vor Wählbarkeit stellt. Wie Blair argumentiert er, dass die alte, links-rechts Unterteilung überholt sei. Wie Blair verspricht er eine neue Kombination von Marktwirtschaft und fortschrittlichen Werten. Und wie Blair bleibt er überraschend vage, wenn es darum geht, wie das funktionieren soll.
Es gibt natürlich auch Unterschiede. Blair versprach, die Steuern nicht zu erhöhen. Macron sagt, dass er sie genauso wie die staatlichen Ausgaben senken wird. Und Blair verpasste seiner Partei zwar den neuen Markennamen „New Labour“, er besaß jedoch nicht die Arroganz eine neue zu gründen und dabei seine Initialen zu verwenden.
Blair ist heute extrem unbeliebt
Aber „New Labour“ war genau wie Macrons „En Marche!“ weniger eine Partei als vielmehr ein Personenkult. Macrons Wahlkampftour weckt Erinnerungen an eine Wahlwerbung für Blair aus dem Jahr 1997, die den jungen Labour-Führer zeigt, der wie der Star einer Boy-Group von seinen Fans belagert wird, während er sich den Weg zur Wahlkabine bahnt. Das Problem ist, wir Briten, die wir diesen Film gesehen haben, kennen das Ende der Geschichte.
Im vergangenen Jahr hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov die Briten gefragt, was sie von ihrem früheren Premierminister halten. Sie empfinden nicht einfach Abneigung gegen Blair, sie verachten ihn. Nur zwei Prozent sehen ihn „sehr positiv“, während ihn 51 Prozent „sehr negativ“ beurteilen. Dieser Trend zieht sich durch alle Altersstufen, Geschlechter, Nationalitäten und politischen Vorlieben.
Zum Teil liegt das am Vermächtnis des Irak-Kriegs. Aber was die öffentliche Meinung wirklich gegen ihn aufbrachte, ist ein Gefühl, dass wir gehabt haben. Blair versprach ein besseres Britannien. Stattdessen benutzte er die Einnahmen eines durch die Banken getriebenen Booms, um Milliarden in nicht-reformierte öffentliche Dienste zu versenken. Er hinterließ das Land in einer traurigen Lage, als es 2008 von der Finanzkrise getroffen wurde.
Macron hat keine Hausmacht
Blair genoss Vorteile, die Macron nicht haben wird. Die Konservativen hinterließen ihm eine Volkswirtschaft, die schnurrte wie der Motor eines Rolls-Royce. Er verfügte über eine kolossale Mehrheit im Unterhaus. Das einzig große Hindernis war sein Schatzkanzler Gordon Brown, der Jahre damit zubrachte, Blairs Reformagenda zu blockieren.
Macron hat dagegen versprochen, eine Form des Blairismus in einem Land auszuprobieren, das nie Thatcherismus erlebt hat. Die öffentlichen Ausgaben Frankreichs verharren bei 57 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 24 Prozent. Die Wirtschaft schafft zwar gute Jobs, aber in keinem Bereich auch nur annähernd in ausreichender Zahl. Reformbemühungen, einschließlich einer von Nicolas Sarkozy eingesetzten Kommission, der auch der neue Präsident angehörte, verpufften, ohne viel zu bewegen. Macrons Deregulierungsvorschläge in der Regierungszeit Francois Hollandes ereilte das gleiche Schicksal.
Blair konnte sich, auch als sein Stern zu sinken begann, immer noch auf die institutionelle Stärke seiner Partei stützen. En Marche! hat so eine Basis nicht. Das bedeutet, dass Macron nach der Parlamentswahl im Juni, wenn es nicht zu außergewöhnlichen Verwerfungen kommt, auf eine zusammengeflickte Koalition angewiesen ist.
Mehr Europa, mehr Globalisierung, mehr Offenheit
Blair und Macron sind beide kosmopolitische Liberale, die Zuwanderung und die Europäische Integration entschieden unterstützen. Millionen widersprechen. Blair regierte in guten Zeiten, trotzdem löste die Öffnung der britischen Grenzen für Arbeitskräfte aus Osteuropa enormen Unmut und Ängste aus. Macron übernimmt die Macht zu einer Zeit, in der Sorgen über die Zuwanderung mit Sicherheitsdenken, islamischem Terrorismus und syrischen Flüchtlingen verwoben sind. Trotzdem will er auf Blairs Ansatz noch etwas draufsetzen: mehr Europa, mehr Globalisierung, mehr Offenheit.
Wenn Macron für Wachstum sorgt, spielt es keine Rolle, dass er den Anhängern von Marine Le Pens Nationaler Front, die den Euro, Zuwanderer oder die Globalisierung für ihre Probleme verantwortlich machen, nichts zu sagen hat. Aber wenn er das nicht schafft, werden Macrons Lächeln und seine Versprechungen bald so falsch wirken wie Blairs.
Der neue Präsident wird sich vielleicht als Retter Frankreichs erweisen – als der Mann, der das kratzbürstige Land dazu bringt, den Markt zu mögen, oder ihn zumindest zu tolerieren. Aber seine Versprechungen wirken von dieser Seite des Kanals wohl vertraut: alles zum Segen der Reformen, aber ohne die Schmerzen.
Robert Colvile ist stellvertretender Direktor des Centre for Policy Studies und Herausgeber von CapX, einer Webseite, die sich dem Kapitalismus widmet
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