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Kommentar Philippinen - der neue asiatische Tiger

Die Präsidentschaft von Benigno Aquino III. ist eine Erfolgsgeschichte. Er führt die Philippinen zu neuer Blüte. Von Yuriko Koike
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Yuriko Koike ist ehemalige japanische Verteidigungsministerin und nationale Sicherheitsberaterin sowie frühere Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei Japans. Derzeit ist sie Abgeordnete des japanischen Parlaments

Als die Guerillabewegung der Islamischen Befreiungsfront der Moros (MILF) in den 1960er Jahren auf den Philippinen zu den Waffen griff, war Ferdinand Marcos noch nicht einmal Präsident, und erst recht nicht Diktator. Doch trotz aller politischen Veränderungen im Lande während des letzten halben Jahrhunderts blieb die Kampagne der MILF, die die Unabhängigkeit des Volkes der Bangsamoro anstrebt und die Inseln Sulu, Mindanao, Palawan und Sabah als deren Gebiet beansprucht, eine Konstante – bis Präsident Benigno Aquino III. sich entschloss, das zu ändern.

Die MILF ließ sich durch den Sturz von Marcos’ 20 Jahre währender Diktatur durch das Volk 1986 und die Ermordung von Oppositionsführers Benigno Aquino Jr. nicht abschrecken. Auch die Einrichtung einer – inzwischen fest verwurzelten – Demokratie bewegte die Führer der Gruppe nicht zu einer Neubewertung ihrer Strategie. Die MILF verfolgte weiterhin eine brutale Kampagne der Enthauptungen, Mordanschläge, Entführungen und wahlloser blutiger Gewalt.

Aquino wäre ein würdiger Nobelpreisträger

Dann, im vergangenen Januar, gelang es Aquino, eine bahnbrechende Übereinkunft zu erreichen, die das Leid auf Mindanao endlich beendete. Dies ist eine der bemerkenswertesten Friedensleistungen in Asien seit dem Zweiten Weltkrieg und verdient mindestens so viel internationale Anerkennung wie die Rolle des ehemaligen finnischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers des Jahres 2008, Marti Ahtissari, bei der Vermittlung des Friedensschlusses von Aceh (Indonesien) im Jahre 2005. Tatsächlich könnte Aquino angesichts der von ihm der Friedensvereinbarung mit der MILF eingegangenen unzähligen Sicherheits- und politischen Risiken ein sogar noch würdigerer Nobelpreisträger sein.

Aquinos Verhandlungsansatz spiegelte seine Erkenntnis wider, dass die MILF bereits zweimal Friedensgespräche – einmal unter der Vermittlung von Libyens früherem Diktator Muammar al-Gaddafi – als zynischen Trick genutzt hatte, um sich Zeit zur Neuorganisation zu erkaufen und Geld einzuwerben (darunter von al-Kaida). Mit frisch gefüllten Arsenalen nahm sie anschließend ihre Kampagne zur gewaltsamen Einnahme von Mindanao wieder auf.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass das philippinische Volk 2012, als Aquino die festgefahrenen Friedensgespräche wieder aufnahm, hochgradig skeptisch war. Doch im Laufe der Zeit gewannen seine Anstrengungen an Glaubwürdigkeit. Obwohl Fragen über die Dauerhaftigkeit des Friedensvertrages bleiben und eine vollständige Entwaffnung noch aussteht, scheint die den muslimischen Gegenden des Landes gewährte politische Autonomie die meisten MILF-Kämpfer überzeugt zu haben, dass es Zeit ist, das Gemetzel zu beenden.

Kreativität und Zähigkeit

Für die Menschen auf Mindanao ist das eine umwälzende Entwicklung. In den wenigen Monaten seit dem Friedensschluss hat sich ein Strom philippinischer und ausländischer Investitionen über die Insel ergossen. Angesichts der Tatsache, dass fast die Hälfte der Bevölkerung Mindanaos unterhalb der Armutsgrenze lebt, kann das nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Doch profitiert nicht nur Mindanao von Aquinos Erfolg. Seine gesamte Präsidentschaft, die 2010 begann, ist von derselben Kreativität und Zähigkeit geprägt, die den Friedensschluss mit der MILF möglich machte.

Während andere philippinische Führer – einschließlich von Aquinos Mutter, Corazon Aquino, die nach dem Sturz Marcos’ zur Präsidentin gewählt wurde – die Korruption mit Worten verurteilten, hat Aquino sie an ihren Wurzeln angepackt. Er hat nicht nur die kleinen Rechtsbrecher – oder „Fliegen“, wie sie der chinesische Präsident Xi Jinping nennt – ihrer gerechten Strafe zugeführt, sondern auch „Tiger“ wie Senator Juan Ponce Enrile, der vor zwei Jahrzehnten mitgeholfen hatte, Marcos zu stürzen und Corazon Aquino an die Macht zu bringen. Deshalb haben sich die Philippinen auf dem Korruptionsindex von Transparency International drastisch vom 134. Platz (gemeinsam mit Nigeria) im Jahr 2010 auf den 94. Platz (neben Indien) im letzten Jahr verbessert.

Aquinos Bemühungen zur Bekämpfung der Korruption und zum Wiederaufbau der wirtschaftlichen Grundlagen seines Landes haben es die Philippinen endlich geschafft, mit einem jährlichen BIP-Wachstum von 7,2 Prozent im vergangenen Jahr Südostasiens am schnellsten wachsende Wirtschaft zu werden. Und obwohl das Wachstum in diesem Jahr leicht auf 6,5 Prozent zurückgehen dürfte, kann man die Philippinen nun zu den „Tigerstaaten“ Asiens zählen.

China etwas zurechtstutzen

Natürlich hat das Land noch einen weiten Weg vor sich. Etwa zehn Millionen Philippinos – ein Viertel der Erwerbsbevölkerung – sind aufgrund geringer Chancen im eigenen Lande gezwungen, sich im Ausland um Arbeit zu bemühen. Wenn die Philippinen ausreichende Investitionen anlocken wollen, um einen mit Malaysia und Thailand vergleichbaren Lebensstandard zu erreichen, muss Aquino die Wirtschaft öffnen und die Korruption bekämpfen. Zum Glück scheint er hierzu entschlossen.

Aquinos Außenpolitik ist von derselben Entschlossenheit gekennzeichnet. Das wird besonders deutlich, weil er sich gegen Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zur Wehr setzt. Tatsächlich bestreiten die Philippinen Chinas Ansprüche unter Berufung auf Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof.

Seine scharfe Kritik an der expansionistischen Politik Chinas hat Aquino in China sicher nicht beliebt gemacht. Doch Regionalmächte wie die USA und Japan unterstützen seine Position, und Japan hat versprochen, der philippinischen Küstenwache bessere Ausrüstung zu liefern. Und das philippinische Volk weiß seine Beharrlichkeit beim Schutz philippinischer Interessen eindeutig zu schätzen.

Aquinos Erfolg dabei, die Jahrzehnte alte Rebellion der MILF zu einem friedlichen Ende zu bringen, zeigt einen Mut und eine Beharrlichkeit, die ihn in die Lage versetzen werden, eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung der regionalen Ambitionen Chinas zu spielen. Genau wie Davids Scharfsinn diesen in die Lage versetzte, Goliath gegen alle Wahrscheinlichkeit zu bezwingen, kann Aquinos kühne und kalkulierte Führung erfolgreich sein, China etwas zurechtzustutzen und damit die Stabilität und Sicherheit innerhalb Gesamtasiens zu stärken.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2014.
 www.project-syndicate.org

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