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Pannenserie Wie sicher sind Boeing-Maschinen noch?

Eine Boeing 737 Max steht am Flughafen Le Bourget in Paris
Eine Boeing 737 Max steht am Flughafen Le Bourget in Paris: Eine Reihe von Pannen und Abstürzen belasten den Ruf des Flugzeugbauers
© ABACAPRESS / IMAGO
Der Flugzeugbauer Boeing hat mit einer Pannenserie seinen guten Ruf ruiniert. Sollten Passagiere ihre Flüge jetzt stornieren oder umbuchen? Der Luftfahrtexperte Gerald Wissel über Konsequenzen aus den Pannen und die Fehler des Herstellers

Es ist eine fatale Pannenbilanz, die der Flugzeugbauer Boeing in diesem Jahr abliefert: Im Januar ein Tür-großes Stück, das aus einer Kabinenwand bei einem Alaska-Airlines-Flug fliegt. Im Mai vier Bruchlandungen. Anfang der Woche verlor eine Maschine ein Rad – es ist das zweite, das eine Boeing innerhalb weniger Monate verliert. Und jetzt verdächtige Sauerstoffmasken. Passagiere könnten mit ihnen im Notfall möglicherweise nicht überleben, heißt es. Die US-Flugaufsichtsbehörde FAA hat Inspektionen in mehr als 2600 Boeing-737-Maschinen angeordnet. Wenigstens musste keine der Maschinen notlanden, und die Reisenden blieben unverletzt.

Was ist los bei Boeing? Wieso reißt die Pannenserie nicht ab? Ist der Konzern trotz seiner dramatischen Vorgeschichte immer noch zu nachlässig bei Konstruktion, Produktion und Überprüfung seiner Maschinen? Sollten Reisende ihre Flüge stornieren oder umbuchen? Boeing hatte sich gerade erst für die Abstürze zweier Maschinen des Typs 737 Max in Indonesien und Äthiopien 2018 und 2019 schuldig bekannt. Innerhalb von fünf Monaten kamen 346 Menschen ums Leben. Reisende machen sich zunehmend Sorgen.

Gerald Wissel
Gerald Wissel ist Luftfahrt-, Mobilitäts- und Tourismusexperte, Buchautor und Unternehmer.

Der Luftfahrtexperte Gerald Wissel hat Verständnis für die Angst Flugreisender, beschwichtigt aber. Man müsse differenzieren: „Es gibt einerseits ‘Konstruktions- und Herstellungsprobleme’ und andererseits ‘Wartungsprobleme’.“ Das Problem mit den Sauerstoffmasken sei während einer routinemäßigen Überprüfung aufgefallen. Betroffen sind ältere und neue Varianten des Modells Boeing 737. Ob es sich um einen Konstruktions-, Produktions- oder Wartungsfehler handelt, ist bislang unklar. Die FAA kann deshalb auch nicht einschätzen, bei wie vielen Maschinen der Defekt auftritt und Nacharbeiten notwendig macht. Dass bei Flugzeugen im Rahmen einer Wartung Probleme festgestellt würden, die alle Flugzeuge des gleichen Typs betreffen und entsprechend bei allen behoben werden müssen, sei grundsätzlich nicht unüblich, so Wissel. Sorgen müsste sich deshalb erst einmal niemand machen. Die Luftfahrtbehörde verlange im Falle der Sauerstoffmasken eine Beseitigung des Problems innerhalb von 120 bis 130 Tagen. „Es gibt also keinen Grund, sich nicht mehr sicher zu fühlen. Wäre es eine kritische Situation, hätten die Behörden ein Startverbot verhängt.“

Auch zur Ursache für die abgerissenen Räder lässt sich noch nichts Genaueres sagen. „Fahrwerke sind hohen Belastungen ausgesetzt. Handelt es sich um einen Konstruktions- oder Produktionsfehler, dann sind auch hier alle Flugzeuge des gleichen Typs betroffen.“ In dem Fall sei aber von Schlamperei bei der Produktion auszugehen. Nach heutigem Stand sieht Wissel zu dieser Annahme aber keinen Anlass. Auch nicht der, dass die jüngsten Vorkommnisse ein Indikator dafür sind, dass sich die Pannenserie bei Boeing fortsetzt.

„Boeing hat die Quittung bekommen“

„Hochgradig kritisch“ und als Warnschuss sieht der Luftfahrtexperte allerdings das im Januar herausgebrochene Rumpfteil einer Boeing 707 Max. Der Vorfall habe gezeigt, dass wegen Personalmangels sowie Zeit- und Kostendrucks, „der bei Boeing immens ist“, nicht immer streng nach Vorgabe gearbeitet worden sei. Auf ein Vier-Augenprinzip und gründliche Nachprüfungen sei aus Rentabilitätsgründen deshalb offenbar verzichtet worden. Schuld daran trage die Führungskultur bei Boeing. „Wenn die Führungskräfte aufgrund von Einsparungen und nicht Qualität ihre Boni bekommen, zieht Schludrigkeit ein, weil Zeitvorgaben eingehalten werden müssen.“ Die Zulieferer arbeiteten übrigens unter einem ähnlichen Druck. Damit vervielfachten sich die möglichen Fehlerquellen.

Deshalb nicht mit einer Boeing-Maschine zu fliegen, hält Wissel jedoch für übertrieben. Was passiert ist, sei nicht schönzureden. „Das Management hat in der Vergangenheit Mist gebaut. Die Quittung für ihr Renditedenken hat Boeing bekommen. Das Image ist erst mal ein Stück weit ruiniert. „Deshalb Angst zu haben oder zu schüren, sei jedoch nicht angebracht. „Die Maschinen sind sicher.“ Fluggesellschaften, die jetzt bei den beiden Herstellern Flugzeuge bestellten, würden jetzt noch genauer hinsehen. „Das heißt, wir haben eine zusätzliche Sicherheitsprüfung.“

Nicht ausschließen will Wissel, dass Dinge dennoch aus heiterem Himmel passieren. Trotz doppelter und dreifacher Kontrollen könnten Elektronik und Computer „plötzlich verrücktspielen“. „Ich kann verstehen, wenn jemand sagt, da steige ich nicht ein. Ich bleibe trotzdem dabei: Alle Flugzeuge sind doppelt und dreifach mit Backupsystemen ausgestattet. Und die Piloten von Fluggesellschaften sind so gut geschult, dass sie durchaus kompensieren können. Boeing muss jetzt schnellstmöglich das Vertrauen wiederherstellen, dass sie wirklich zu 100 Prozent sichere Flugzeuge bauen können.“

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zur RTL Deutschland.

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