"Zu zögerlich, zu knapp dosiert" – mit diesem Befund haben sieben deutsche Volkswirte die Politik zur Eile getrieben. Und das in seltener Einmütigkeit. „Es ist sehr wichtig, dass die Politik jetzt schnell gegensteuert“, sagte Clemens Fuest, Chef des Münchner ifo-Instituts, auch wenn die Datenlage noch nicht eindeutig sei. Sonst könne sich aus den Erwartungen eine Abwärtsspirale zu entwickeln. Zu Maßnahmen, die „timely, targeted und temporary“ sind, rät ihr jüngst veröffentlichtes gemeinsames Papier . Die zentrale Botschaft: Besser den temporären Schock schnell, zielgenau und vorübergehend abfedern, als langfristig einen höheren Preis zu zahlen.
Staatliche Investitionsprogramme ab 2021, wie vom Koalitionsausschuss angesagt, halten die Ökonomen dabei für derzeit wenig zielführend. „Sie scheiden von vornherein aus, da sie die von der Krise betroffenen Sektoren nicht erreichen“, sagt Peter Bofinger von der Universität Würzburg mit Blick auf besonders notleidende Branchen wie den Luftverkehrs- und Touristik-Bereich, Dienstleister oder industrielle Produktion. „Es ist wichtig zu erkennen, dass Forderungen nach einem Konjunkturpaket den Besonderheiten dieser Krise nicht gerecht werden.“ Es hilft kein genereller Stimulus, und schon gar nicht zeitverzögert.
Schwarze Null kein guter Ratgeber
Um pessimistischen Erwartungen von deutlich höheren Geschäftsrisiken zu begegnen, empfehlen die Topökonomen vielmehr neben Kurzarbeitergeld temporäre steuerliche Hilfen. Auf kurze wie auf mittlere Sicht wird der deutschen Finanzpolitik ein großes Potenzial zur Stabilisierung der Wirtschaft bescheinigt: „Die Fiskalpolitik ist uneingeschränkt handlungsfähig“, sagt Professor Bofinger.
Sowohl das Grundgesetz wie der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt sähen explizit Ausnahmen für Naturkatastrophen, Notsituationen oder außergewöhnliche Ereignisse vor, welche die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigten. „Die schwarze Null ist in der Krise erst recht kein Ratgeber“, sagt Professor Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
Beim Versuch, den unmittelbaren Schock der Krise aufzufangen, raten die Ökonomen der Politik daher, auf Einnahmen zu verzichten: Den Solidaritätszuschlag schon zum 1. Juli größtenteils abzuschaffen, könne eine vertrauensbildende Maßnahme sein, weil sie die verfügbaren Einkommen von weiten Teilen der Bevölkerung erhöhe. Unternehmen sollten generell Voraus- und Nachzahlungen bei Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer zinsfrei gestundet werden. Verlustrücktrag, Investitionsabzüge oder Abschreibungsbedingungen ließen sich alle großzügiger gestalten – für KMU wie für Konzerne.
Wie stark und wann die Corona-Epidemie die Realwirtschaft in die Rezession treibt, das ist unter Ökonomen noch nicht ausgemacht. Einbrechende Industrieproduktion, sinkender Konsum, Umsatzverluste aus dem zunehmenden Stillstand des öffentlichen Lebens: Noch ist es ein Ausnahmezustand, der zu korrigierten Prognosen führt. Das Kieler Wirtschaftsinstitut erwartet statt einem Wachstum von 1,2 Prozent für 2020 nun eine Rezession der deutschen Wirtschaft „mit Sicherheit im ersten Halbjahr“ – und knapp am Nullpunkt bis negativ für das Gesamtjahr. Ähnliches wird für die Euro-Zone erwartet. Der Weltwirtschaft sagt die OECD ein um 0,5 Prozentpunkte langsameres Wachstum voraus; im schlimmsten Fall könnte es sich halbieren auf 1,5 Prozent.
Staatliches Notfallpaket: kein Impfstoff, höchstens Aspirin
In einem ersten Notfallpaket konzentriert sich die Bundesregierung darauf, kurzfristig dagegen zu halten, um Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit einzudämmen. Kurzarbeitergeld soll es niedrigschwellig schon ab April geben, damit trotz Produktionsrückgang Stammbelegschaften gehalten und Kündigungen vermieden werden können. Die Kasse der Bundesagentur für Arbeit ist prall gefüllt, sie übernimmt 60 Prozent des ausfallenden Nettolohns und soll Arbeitgebern auch die Sozialbeiträge erstatten, in voller Höhe.
Unternehmen, die in Turbulenzen geraten, soll mit Finanzspritzen geholfen werden. Bund und Länder stellen über die KfW, die Landesförderbanken und die Bürgschaftsbanken Liquidität zur Verfügung, wenn Lieferengpässe und Nachfrageeinbrüche eine Überbrückung erfordern. Diese Instrumente könnten rasch ausgeweitet, flexibilisiert und aufgestockt werden, stellt die Politik in Aussicht, wenn der Bedarf steigen sollte.
Corona soll auch den Investitionsstau des Bundes auflösen: In den Jahren 2021 bis 2024 wird ein Spielraum von jeweils 3,1 Mrd. Euro ausgemacht, zusammen 12,4 Mrd. Euro für neue Verkehrswege oder Wohnungsbau. Das ist zunächst eine Beruhigungspille für mittelfristig ernsthaftere Lagen. Überhaupt hält sich die Politik mit einer zweiten Stufe – erhöhte Bürgschaften und Kredite sowie eventuell steuerliche Erleichterungen – noch zurück. Erst als dritte Stufe wäre ein Konjunkturprogramm denkbar.
Welche Kosten kommen auf Bund und Länder zu?
Zu möglichen Kosten wirtschaftspolitischer Hilfspakete wagt angesichts der großen Ungewissheit über den Verlauf der Epidemie niemand handfeste Schätzungen. „Wenn wir jetzt beherzt eingreifen, wird es billiger“, mahnt Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), „weil wir später weniger Steuerausfälle haben werden.“ Mehrwertsteuersenkungen gelten im Konsens der Ökonomen in der aktuellen Lage als nicht sinnvoll.
Gewiss ist, dass der Höhepunkt der Belastung der Lieferketten aus China mit voller Wucht noch bevorsteht. Deshalb heißt es aus Sicht der Ökonomen, schnell die richtigen Signale auszusenden, damit sich keine negative Stimmung verstetigt. Entscheidend sei das Machen, so Bofinger, was es kostet, sei sekundär.
Was machen die anderen?
Wenn Italien sich für Rettungspakete in der Krise wieder stärker verschuldet, könnte die nächste Währungskrise lauern. Es mehren sich jedoch die Signale, dass die EU-Partner Rom zur Seite springen würden, wenn Kredite ausfallen und die Stabilität der Banken ins Wanken geriete. Italiens Ministerpräsident Conte strebt ein Krisenpaket von 16 Mrd. Euro an, mit dem Unternehmen und Familien des in Europa am schlimmsten betroffenen Landes geholfen werden soll. Das Signal an Brüssel: Die Haushaltsdisziplin hat jetzt keinen Vorrang.
Großbritanniens Finanzminister Rishi Sunak überraschte bei der Vorlage des neuen Haushalts mit einem Stimulus-Paket von 30 Mrd. Pfund, das Menschen und Unternehmen durch die potenziell katastrophalen Folgen der Krise begleiten soll. 5 Mrd. Pfund sind davon als Direktspritze für das Gesundheitssystem reserviert, ein weiterer Teil soll mittelständische Unternehmen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall entlasten.
Frankreich hat gemeinsam mit Italien Vorstöße unternommen für ein EU-weites koordiniertes Krisenpaket für die Wirtschaft – bislang allerdings vergeblich. Paris geht bis jetzt einen Weg ähnlich dem deutschen: Unternehmen wird etwa Aufschub für die Zahlung ihrer Sozialabgaben und von Steuern gegeben, und sie sollen staatlich gesicherte Überbrückungskredite bekommen.
EU-Investitionsfonds für Gesundheit und Wirtschaft
Brüssel will Europas Unternehmen mit einem neuen Investitionsfonds unter die Arme greifen, der mit 7,5 bis zu 25 Mrd. Euro gefüllt werde, verkündete die EU am Mittwoch. Die Mittel sollen schon „in den nächsten Wochen“ sowohl die Gesundheitssysteme stützen, wo notwendig, als auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen, den Sturm zu überstehen, sowie im Arbeitsmarkt eingesetzt werden.
Präsident Donald Trump unterschrieb ein Eilgesetz für Ausgaben von 8,3 Mrd. Dollar. Die Mittel zielen auf die Eindämmung der Epidemie und die Entwicklung von Impfstoffen ab. Details und konkrete Maßnahmen zu den von ihm angekündigten „dramatischen“ Erleichterungen für die US-Wirtschaft blieben allerdings bislang aus.