Die CDU-Mitglieder auf dem Leipziger Parteitag im Jahr 2003 jubelten ihrer Parteichefin zu. Angela Merkel hatte soeben eine radikale Neuausrichtung ihrer Partei verkündet. Sie sprach vom „geistigen Führungsanspruch“ der CDU und attackierte die Bundesregierung unter Kanzler Schröder massiv. „Rot-Grün macht Fehler am Fließband“, Kanzler Schröder sei gar „regierungsunfähig“ und Schuld an der schwersten Wirtschaftskrise seit 1949. Merkel forderte eine Kopfpauschale bei der Krankenversicherung, eine radikale Vereinfachung des Steuersystems und die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67, um „mehr Wachstum und eine höhere Beschäftigung“ zu erzielen.
2005 verfehlte Merkel ihr Wahlziel, die rot-grüne Bundesregierung durch eine schwarz-gelbe Koalition abzulösen. Kanzlerin wurde sie aber doch: Mit den Sozialdemokraten bildete sie eine Große Koalition. An wirtschaftsliberale Reformen war in dieser Konstellation nicht mehr zu denken.
14 Jahre später: Deutschlands wirtschaftliche Lage hat sich in der Zwischenzeit verbessert. Die Wirtschaft produziert unter Volllast und auf dem Arbeitsmarkt herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Aber wie groß ist Merkels Verdienst daran? Für viele Ökonomen sind die derzeitige Stärke und Krisenfestigkeit der deutschen Wirtschaft nicht auf Merkels Politik zurückzuführen. Es seien vielmehr die Folgen der Agenda-2010-Reformen, von denen die Kanzlerin profitiere. Capital zeigt die wichtigsten Wirtschaftsmomente von Angela Merkel.
Merkels größte Wirtschaftsmomente
2007 beschloss der Bundestag die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering verteidigte die Maßnahme mit dem späteren Berufseinstieg und dem demografischen Wandel: „Während 1960 noch acht Beschäftigte auf einen Rentner gekommen seien, stünden derzeit 3,2 Beschäftigte einem Rentner gegenüber. 2030 kämen 1,9 Beschäftigte auf einen Rentner. „Man kann das ignorieren - vernünftig wäre das nicht.“ In der zweiten Großen Koalition wurden die Reformen teilweise wieder zurückgedreht.
Nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers musste Merkel ihre erste große Bewährungsprobe bestehen, denn auch hierzulande gerieten Kreditinstitute in Schieflage. Die Hypo Real Estate wurde verstaatlicht, um sie vor dem Kollaps zu bewahren. Und auch an der Commerzbank beteiligte sich der Staat. Gemeinsam mit dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück gab die Kanzlerin eine Garantie für sämtliche Spareinlagen ab, um einen Ansturm auf die Banken zu vermeiden. Das gelang.
Die Rettung der Währungsunion machte Merkel zu einem ihrer Kernziele. Deutschland würde alles tun, um die Eurozone zu schützen, sagte sie. Mit mehreren finanziellen Hilfspaketen versuchte die EU den Crash zu verhindern. Diese waren an Auflagen gebunden, die dafür sorgen sollten, dass Griechenland die verlangten Reformen umsetzt. Rückblickend wird Merkel vorgeworfen, dass man in Griechenland so viel diplomatische Bemühungen und Geld gesteckt hat, während der Ausstieg Großbritanniens aus der EU mit etwas stärkeren Bemühungen Deutschlands hätte verhindert werden können. Hier sieht man sie im Gespräch mit dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras.
Die Atomkatastrophe von Fukushima war Auslöser von Merkels Energiewende – weg von Atom- und Kohlekraftwerken und hin zu erneuerbaren Energien. Bis 2050 soll der Anteil von Ökoenergien am Stromverbrauch 80 Prozent betragen. Nur drei Monate nach der Fukushima-Katastrophe beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“, das den schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie regelt. Zuvor hatte Merkel noch in einem Geheimvertrag noch die die Laufzeit der alten Atom-Meiler verlängert. Die große Euphorie um das Projekt ist inzwischen verflogen, weil es mit der Umsetzung hapert und die Kosten der Energiewende immer deutlicher werden.
Mehr Eigenkapital, mehr Kontrolle, mehr Corporate Governance und Meldepflichten – das sind die Ziele der Bankenregulierung, mit der eine Wiederholung der Finanzkrise verhindert werden soll. Deutschland hat diese unter der Großen Koalition maßgeblich vorangetrieben. Merkel warb bei Auslandsauftritten immer wieder für eine einheitliche Finanzregulierung und eine Transaktionssteuer.
Den Klimawandel erklärte Merkel zur „Schicksalsfrage“ der Menschheit. Doch inzwischen hat die zunächst als „Klimakanzlerin“ gefeierte deutsche Regierungschefin die ambitionierten Ziele ihrer Regierung wieder zurückgeschraubt. Das Klimaschutzziel 2020, die Treibhausgas-Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 1990, hat die Große Koalition einkassiert. Im Wahlkampf 2017 hatte Merkel noch die Einhaltung dieser Ziele versprochen. Auf dem Foto sieht man die Kanzlerin 2007 bei einem Besuch Grönlands, wo sie sich über die Folgen des Klimawandels informierte. An ihrer Seite: der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel.
Zum 1. Januar 2015 trat der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde in Kraft. Inzwischen beträgt er 8,84 Euro. Auch hinter diesem Vorhaben war die SPD die treibende Kraft. Teile der Union und auch die Wirtschaft waren gegen die Einführung einer Lohnuntergrenze. Sie argumentierten, dass ein Mindestlohn Arbeitsplätze vernichte. Dazu ist es im großem Stil aber nicht gekommen.
Die steigenden Mietpreise vor allem in den Städten sind in den letzten Jahren zu einem Problem für Geringverdiener geworden. Der Ruf nach bezahlbarem Wohnraum wurde immer lauter. Die Regelung „zur Dämpfung des Mietanstieges auf angespannten Wohnungsmärkten“ wurde im März 2015 auf Druck der SPD verabschiedet. Die Bestimmung besagt, dass in angespannten Wohnungsmärkten, wie etwa Berlin, die Miete nicht mehr als 10 Prozent über der örtlichen Vergleichsmiete liegen darf. Das Gesetz weist Schwachstellen auf, die Bremse funktioniert nicht. Und auch Merkel meint, dass die Mietpreisbremse das „Problem Wohnungsknappheit nicht löst“.
Mit Angela Merkel als Kanzlerin erzielte Deutschland in den letzten Jahren einen Haushaltsüberschuss. Finanzminister Wolfgang Schäuble profitierte dabei vor allem von den niedrigen Zinsen, die den Schuldendienst entlasteten. Geht es nach der Europäischen Kommission dürfte Deutschland wieder mehr Geld ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln.