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Gastkommentar Produkt-Bubble bedroht Wohlstand

Der deutsche Hang zur Perfektion wird zur Falle. Er verstellt den Blick auf das, was die Kunden wirklich wollen. Von Jürgen Schmid

Wenn deutsche Ingenieure etwas können, dann ist es an der Perfektionsschraube zu drehen. Darin sind sie wahre Weltmeister. Ein Können, das andere Nationen immer wieder mit Staunen erfüllt. Doch gerade dieses Denken kann den Wohlstand Deutschlands gefährden. Denn der Fokus darauf, wie sich beispielsweise das letzte Quäntchen an Präzision oder Geschwindigkeit aus der Maschine herausholen lässt, verstellt häufig den Blick darauf, ob der Kunde das eigentlich will und damit auch bezahlt.

Deutschland exportiert seit Jahren mehr Güter als es importiert. Insbesondere unsere Fertigungsmaschinen sind weltweit gefragt. Doch was uns in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat, wird zunehmend brandgefährlich. Die ingenieursgetriebene Strategie, mit der Produkte technologisch immer weiter ausgereizt werden, fällt den Unternehmen immer öfter auf die Füße. Das technische Niveau ist erstklassig und international kaum zu überbieten. Doch die Verkaufspreise explodieren. Das macht es den Firmen immer schwieriger, mit der globalen Konkurrenz mitzuhalten.

Dieses Dilemma wird in nächster Zukunft noch dramatisch größer. Warum? Weil die Produkte für den Kunden sofort verfügbar sein müssen und dadurch nicht nur an die Produktion, sondern auch an die Entwicklung höchste Effizienzanforderungen gestellt werden. Lösungen im Eiltempo zu entwickeln und kurzfristig verfügbar zu machen, ist ein Erfolgsfaktor.

Technischer Fortschritt ist kein Selbstzweck

Anstatt also immer weiter an der Perfektionsschraube zu drehen, sollten Maschinenbauer ihre Produkt-Bubble verlassen. Sie sollten ihre Produkte „entzaubern“. Dabei geht es nicht darum, Mittelmaß zu produzieren. Vielmehr sollten Manager und Ingenieure begreifen, dass technischer Fortschritt kein Selbstzweck ist. Ihre professionelle Daseinsberechtigung verdanken sie ausschließlich ihren Kunden!

Das mag sich für viele Unternehmen aus dem Consumer-Bereich wie eine Binsenweisheit anhören. Aber viele Maschinenbauer verkennen das. Sie glauben felsenfest daran, dass sie durch pure Optimierung und Spezialisierung zum Weltmarktführer aufsteigen und sich ihre Maschinen mehr oder weniger von allein verkaufen, wenn sie technisch perfekt sind. Doch das ist ein Trugschluss mit Folgen.

Denn das physische Produkt verliert an Bedeutung. Der Anteil der Daten, Beratungen, Services und Interaktionen an der Wertschöpfung nimmt zu. Die Produktzentrierung bremst sogar diejenigen Unternehmen aus, die längst über das digitale Wissen für neue Geschäftsmodelle verfügen. Solange sie ihre Maschinen und Komponenten im Mittelpunkt belassen, werden sie von der digitalen Transformation nicht profitieren. Es reicht nicht, auf den Kunden zu hören. Ein zukunftsfähiges Produkt kann nur entwickelt werden, wenn das Geschäft des Kunden intensiv erforscht und bis ins kleinste Detail verstanden wird. Die Märkte fordern, dem Kunden eine Lösung zu liefern, von der er heute noch nicht weiß, dass er sie morgen braucht.

Auswege aus der Bubble

Wie können Unternehmen ihre Produkt-Bubble verlassen?

Erstens bringt es sie weiter, wenn sie der Verlockung widerstehen, es allen recht machen zu wollen. Die Entscheidungsträger sind gut beraten, wenn sie daher die Zielgruppe bewusst eingrenzen.

Zweitens fragen sich zukunftsorientierte Entwickler immer und immer wieder: „Was hilft dem Kunden bei der Wertschöpfung und wie trägt das eigene Produkt dazu bei?“ Das hört sich einfach an, setzt aber voraus, dass sie die Herausforderungen der Kunden genau kennen.

Und drittens ist es die Aufgabe von Entwicklern und Produktmanagern, gedanklich in die Zukunft ihrer Zielgruppen einzutauchen. Dabei hilft es, sich nicht vom technisch Machbaren begrenzen zu lassen, sondern sich auszumalen, was für den Kunden ideal wäre. Nur mit dieser Vision im Kopf entwickeln Ingenieure ein Produkt plus Systemumgebung mit höchstem Nutzen. Das wäre dann eine neue Art der Ingenieurskunst „Made in Germany“.

Jürgen Schmid

Jürgen Schmid ist Inhaber des Designunternehmens Design Tech. Die Firma sitzt in Ammerbuch bei Tübingen und designt ausschließlich Maschinen. Mehr von Jürgen Schmid in seinem Blog

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