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Bernd Ziesemer Macht und Ohnmacht der IG Metall

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Ob bei VW, Thyssenkrupp oder dem Mittelständler Putzmeister gibt sich die IG Metall radikaler denn je. Aber kann sie Werke wirklich retten?

Jahr für Jahr sinken die Mitgliederzahlen bei der IG Metall langsam, aber sicher. Gab es vor 20 Jahren noch 2,4 Millionen Gewerkschafter in ihren Reihen, so sind es jetzt nur noch rund 2,1 Millionen. Und doch scheint die IG Metall in diesen Wochen mächtiger denn je. Bei VW kämpft sie mit klassenkämpferischen Parolen gegen die Schließung eines Werks in Deutschland, bei Thyssenkrupp fordert sie im Streit um die Stahlsparte lauthals den Kopf des Vorstandschefs Mario López. Ähnliche Auseinandersetzen gibt es gegenwärtig bei vielen Mittelständlern, nur interessieren sich die überregionalen Medien und die Berliner Politik nicht für diese Konflikte. Zum Beispiel bei Putzmeister in Aichtal, dem weltweit führenden Hersteller von Betonpumpen, wo die IG Metall gegen Verlagerungen ins Ausland kämpft.

Vor Ort geben sich die Betriebsräte und Funktionäre radikaler denn je. Wilde Streiks, Störaktionen und rhetorische Ausfälle gegen Manager gehören zum Alltag. Arbeiter schwenken rote Fahnen und stören Betriebsversammlungen mit Trillerpfeifen, wie vorige Woche bei VW. Alles wirkt ein wenig wie in den 70er- oder 80er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts. Und doch dient das alles in der Regel nur dazu, „Dampf abzulassen“ in den Belegschaften. Denn die heutige Generation der Spitzenfunktionäre, meist Leute mit Hochschulabschluss, wissen genau: Sie können unternehmerische Entscheidungen zwar bremsen, aber am Ende nicht verhindern. Am Schluss geht es immer nur um möglichst hohe Sozialpläne.

Die IG Metall ist auf die Politik angewiesen

Am meisten holt die IG Metall heraus, wenn sich Politiker einmischen. Bei VW regiert das Land Niedersachsen als Aktionär kräftig mit. Bei Thyssenkrupp sind es die Subventionen für grünen Stahl, die NRW-Landespolitikern einen Hebel in die Hand geben, um den Streit zu politisieren. Bei einem Mittelständler wie Putzmeister mischen sich vor allem Lokalpolitiker ein. In ihren Sonntagsreden beschwören alle Seiten gern die Tarifautonomie und die alleinige Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Doch in der Praxis kann davon keine Rede sein, sobald es hart auf hart geht in einem Konflikt. Nur im Bündnis mit der Politik kann die IG Metall ihre Macht richtig entfalten.

Es ist gut, wenn sich die Politik nicht zu tief in die Auseinandersetzungen hineinziehen lässt. Man muss die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen loben, dass sie der IG Metall bei Thyssenkrupp nicht auf den Leim gegangen ist. Die Gewerkschaft wollte unbedingt Landesvertreter in den Aufsichtsrat der Stahlsparte holen, um dort die Kampffront gegen den Mutterkonzern zu stärken. Doch CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst macht nicht mit. Anders dagegen in Niedersachsen, wo SPD-Regierungschef Stephan Weil bei VW bereits mit weitreichenden Erklärungen an die Seite der IG Metall gesprungen ist.

Wo sich Politiker in Kampfgenossen der Gewerkschaft verwandeln, leiden die Unternehmen weitaus mehr als in normalen Arbeitskämpfen. Die Idee bei VW, Werksschließungen durch die Einführung einer Vier-Tage-Woche zu verhindern, gehört zu den irrsinnigsten Ideen der Unternehmensgeschichte. Der VW-Konzern muss mehr Wettbewerbskraft gewinnen, wenn er überleben will. Die Verkürzung der Arbeitszeit hilft dabei ganz gewiss nicht.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.

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