Michael Heise ist Allianz-Chefvolkswirt
Nach Einschätzung führender Wirtschaftsforschungsinstitute steht der deutschen Wirtschaft ein goldener Herbst bevor – mit einem deutlichen Wachstum von 1,9 Prozent im Gesamtjahr 2016. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kommt in seinem jüngsten Gutachten zu dieser Prognose. Hinter diesen guten Zahlen verbergen sich allerdings einige Entwicklungen, bei denen Handlungsbedarf besteht.
Bereits seit mehreren Jahren wird die deutsche Konjunktur fast ausschließlich durch den privaten und öffentlichen Konsum angetrieben – nicht durch das Auslandsgeschäft und schon gar nicht durch die Investitionen. 2016 wird die Gesamtleistung der deutschen Wirtschaft (basierend auf dem absehbaren Jahresergebnis) um acht Prozent höher ausfallen als im Vorfeld der Krise 2008. Etwa 90 Prozent dieses Wachstums sind dem privaten und öffentlichen Konsum zuzuschreiben. Die Netto-Exporte leisten dagegen lediglich einen Beitrag von einem Prozentpunkt, und von den Bruttoinvestitionen kam überhaupt kein Wachstumsimpuls. Wie ist es dann zu erklären, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss mit neun Prozent des BIP bzw. 280 Mrd. EUR der höchste weltweit ist?
Schwache Investitionsquote
Bei der Entstehung dieses enormen Überschusses spielten mehrere Faktoren eine wesentliche Rolle. In den Jahren von 2000 bis 2007 konnte Deutschland seine internationale Wettbewerbsposition verbessern. Die Lohnstückkosten stiegen nur moderat an und Deutschland konnte im Preiswettbewerb wieder aufholen. In diesen ersten sieben Jahren des Jahrhunderts trug der Außenbeitrag etwa acht Prozentpunkte zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bei. In den letzten Jahren hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit aber nicht weiter verbessert.
Für den Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses in den letzten Jahren spielen andere Faktoren eine Rolle. Zum einen die Rohstoffpreise. Ihr Rückgang hat in den letzten vier Jahren wesentlich zum Anstieg des Überschusses beigetragen. Das Austauschverhältnis von Export- und Importgütern hat sich erheblich verbessert. Lägen die Rohstoffpreise nach wie vor auf dem Niveau von 2012, fiele der Außenhandelsüberschuss gegenwärtig um rund 75 Mrd. Euro geringer aus.
Neben den sinkenden Rohstoff- und Importpreisen spielt auch die Investitionsschwäche in Deutschland eine Rolle. Sie wirkt sich dämpfend auf die Importe von Kapitalgütern und deren Vorprodukten aus und lässt damit den Überschuss steigen. Effektiv sind die Ausgaben für Maschinen, Anlagen und Bauten im laufenden Jahr nach wie vor geringer als im Jahr 2008. Läge die aktuelle deutsche Investitionsquote noch auf dem Niveau von 2000, wäre die inländische Nachfrage hingegen um mehr als 120 Mrd. Euro höher, als es tatsächlich der Fall ist. Dies hätte die Importtätigkeit erhöht und den Außenhandelsüberschuss gemindert.
Reichlich Reformbedarf
Um einem Gleichgewicht im Außenhandel wieder näher zu kommen, sind die Investitionen also der richtige Ansatzpunkt. Dagegen wäre es wenig sinnvoll, den bereits regen privaten und öffentlichen Konsum weiter anzukurbeln. Die Spartätigkeit der Deutschen ist angesichts der demografischen Herausforderungen und extrem niedriger Zinsen keineswegs zu hoch.
Wie lassen sich die Investitionen erhöhen? Klar ist, dass Unternehmen ihre Anlagetätigkeit auf der Basis ihrer betriebswirtschaftlichen Ziele optimieren. Wenn sie sich entschließen, einen erheblichen Anteil ihrer Investitionen im Ausland zu tätigen – was bei deutschen Unternehmen unverändert der Fall ist –, sehen sie dort offensichtlich günstigere Gewinnperspektiven als im Inland. Der Umfang der Inlandsinvestitionen hängt daher vor allem von den Rahmenbedingungen ab, die vom Staat beeinflusst werden. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Höhe der Lohnnebenkosten, der steuerliche Rahmen und die Beschaffenheit der öffentlichen Infrastruktur. Dass die deutsche Infrastruktur in vielen Bereichen, beispielsweise bei Verkehrswegen, Schulen oder digitalen Netzwerken, dringend neues Geld benötigt, sollte Konsens sein.
Auch im Steuersystem gibt es Verbesserungsmöglichkeiten und -erfordernisse, unter anderem eine Reduzierung der hohen Abgabenlast auf niedrigen und mittleren Einkommen und eine gerechtere Behandlung unterschiedlicher Formen der Unternehmensfinanzierung. Bei der Kostenentwicklung steht ebenfalls nicht alles zum Besten. Aufgrund neuer Ausgabenentscheidungen machen die Sozialversicherungsbeiträge trotz des recht kräftigen Wirtschaftswachstums mittlerweile 40 Prozent der Bruttolöhne aus. Wie der wissenschaftliche Beirat des deutschen Wirtschaftsministers feststellt, könnten die Beiträge in Anbetracht der alternden Bevölkerung bis 2030 auf rund 50 Prozent klettern. Allesamt keine guten Argumente für höhere Investitionen in Deutschland.
Höhere Lohnabschlüsse helfen nicht
Mit Blick auf den deutschen Außenhandelsüberschuss sind pauschale Vorwürfe einer überzogenen Sparpolitik der Regierung oder einer exzessiven Sparmentalität der Bevölkerung wenig hilfreich und daraus abgeleitete Empfehlungen gehen häufig in die falsche Richtung. Deutlich höhere Lohnabschlüsse – eine häufig geäußerte Empfehlung –, werden die Unternehmen sicher nicht dazu veranlassen, ihre Investitionsausgaben im Inland aufzustocken. Eine Herabsetzung des Renteneintrittsalters ist gleichermaßen kontraproduktiv, da sie die Lohnnebenkosten erhöht und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften verringert. Das gleiche gilt für restriktive Bestimmungen für befristete Arbeitsverträge oder Zeitarbeit.
Wir sollten nicht dem Glauben verfallen, dass die deutsche Wirtschaft ohnehin wohlauf ist und Strukturreformen etwas für andere Länder sind. Die Schwäche der Investitionstätigkeit und damit auch der Arbeitsproduktivität sind deutliche Warnsignale für den künftigen Wohlstand. Deutschland hat es mehrfach erlebt, wie schnell einem Aufstieg auch der Abstieg folgen kann.
Newsletter: „Capital- Die Woche“
Jeden Freitag lassen wir in unserem Newsletter „Capital – Die Woche“ für Sie die letzten sieben Tage aus Capital-Sicht Revue passieren. Sie finden in unserem Newsletter ausgewählte Kolumnen, Geldanlagetipps und Artikel von unserer Webseite, die wir für Sie zusammenstellen. „Capital – Die Woche“ können Sie hier bestellen: