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Kolumne Italienische Firmen werden unterschätzt

Unser Bild von Italien ist einseitig. Bei allen Problemen – wir neigen dazu, das Land zu unterschätzen. Die Industrie hat mehr Potenzial als viele glauben. Von Martin Kaelble

Woran denken Sie als erstes bei Italien? Pizza, Sonne, Toskana? Oder sind es eher negative Assoziationen - Mafia, Bungabunga-Berlusconi oder das EM-Halbfinale 2012? Folgt man diesem Bild von Italien, passt es perfekt in das weit verbreitete Erklärungsmuster der Eurokrise: Die Südländer haben über ihre Verhältnisse gelebt und sind zu faul. Kein Wunder, dass Italien also noch mittendrin steckt.

Doch unser Bild von Italien ist einseitig und unvollständig. Genauso wenig wie es ein allgemeingültiges Erklärungsmuster für die Krise gibt, das auf alle Problemländer zutrifft, genauso wenig lässt sich Italien einfach in die Ecke des Südländer-Clichés stellen.

Ohne Frage: Die Staatsschulden sind zu hoch. Und das Land hat ein Wachstumsproblem. In den letzten 15 Jahren lagen die durchschnittlichen Wachstumsraten am unteren Ende in Europa. Bei den Strukturreformen ist seit Krisenbeginn in Italien noch zu wenig passiert, deutlich weniger als in Spanien, Portugal oder Irland.

Viele Vorurteile

Jenseits dieser Probleme, jenseits Berlusconis stehen jedoch Fakten, die sich schwer mit dem in Deutschland verbreiteten Italien-Bild vereinbaren lassen. Das Budgetsaldo hatte die Regierung jahrelang fest im Griff, erzielte Überschüsse im Primärsaldo – der Bilanz unter Herausrechnung der Zinslast. Das ist auch jetzt - trotz Rezession - wieder der Fall. Mit 2,1 Prozent vom BIP dürfte Italien den zweithöchsten Primärüberschuss der EU erzielen, direkt nach Deutschland.

Was die längerfristige Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen angeht, so schneidet Italien in vielen Prognosen besser ab, als die meisten anderen EU-Staaten - trotz des hohen Schuldenstands. In kaum einem anderen EU-Land dürften die öffentlichen Ausgaben für Rente, Gesundheit und Pflege in Zukunft so wenig zunehmen wie in Italien. Unter anderem weil das Land bereits mehrere effektive Rentenreformen durchgeführt hat.

Halten Sie Deutschland für den Sparweltmeister und die italienischen Bürger für Schluderer? Weit gefehlt. Italiens Privathaushalte haben mit Abstand die geringste Verschuldungsquote unter den großen Industrieländern. Die Italiener sind sparsamer als die Deutschen.

Produktive Industrieregion im Norden

Italiens Wirtschaft hat zwar auf Makroebene ein Wettbewerbsproblem. Doch das Land ist zweigeteilt. Der Süden ist strukturell schwach. Doch geht man nach Regionen, so zählt Norditalien zu den produktivsten Industrieclustern Europas gemeinsam mit Süddeutschland, der Schweiz und Teilen Frankreichs und Benelux. Dort finden sich zahlreiche „Hidden Champions“, Nischen-Weltmarktführer, in einer Industriestruktur, die in Teilen dem deutschen Mittelstand ähnelt. Namen wie Prysmian, Tenaris, Interpump oder SAES Getters zählen zu diesen Firmen.

Im Piemont konzentrieren sich hoch spezialisierte Automobilzulieferer, in der Marche-Region Hersteller von Weißwaren und Küchenteilen, in Vicenza Textilfirmen, die die Abwanderung in die Schwellenländer überlebt haben. Und dann ist da noch die verhältnismäßig krisenfeste Luxusindustrie – von Gucci bis Ferrari. Italien Industrie bietet absolute Hochtechnologie. Italien hat insofern nichts, aber auch gar nichts mit Griechenland in einem Topf zu suchen.

Einige dieser Firmen haben derzeit natürlich auch unter der Rezession auf dem Heimatmarkt und erschwertem Kreditzugang zu leiden. Vor allem aber werden sie in Sippenhaft genommen für die Eurokrise und das gängige falsche Clichés von Italien.

Darin liegt natürlich auch eine Chance. Denn ihr Potenzial ist größer als derzeit scheint. Kommt die Erholung, dürften diese Firmen ihr Potenzial wieder voll entfalten.

E-Mail: Kaelble.Martin@capital.de

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