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Skiort Ischgls nächster Albtraum

Das Restaurant Kitzloch gilt als Ausgangspunkt für die Verbreitung des Coronavirus. Hier arbeitete ein infizierter Kellner
Das Restaurant Kitzloch gilt als Ausgangspunkt für die Verbreitung des Coronavirus. Hier arbeitete ein infizierter Kellner
© Eibner Europa / IMAGO
Er gilt als einer der größten Verteiler des Coronavirus in Europa – der österreichische Skiort Ischgl. Nun beginnt die juristische Aufarbeitung der Katastrophe in den Alpen

40 Tage lang galt für den Skiort Ischgl im österreichischen Bundesland Tirol Quarantäne. Nun ist er wieder zugänglich. Innerhalb weniger Wochen hatte der kleine Ort weltweit traurige Berühmtheit erlangt, als eine Art europaweite Verteilstation für das Coronavirus. Nicht nur in Österreich selbst können Hunderte von Infektionen direkt auf Ischgl zurückgeführt werden, auch Deutschland, Dänemark, Island und Norwegen verdanken große Teile ihrer ursrprünglichen Welle an Covid 19-Erkrankungen dem Hotspot in Tirol. Ischgl wurde zum Brandherd der Epidemie, die sich von hier auf ganz Europa ausbreitete.

Landeck, der Bezirk, in dem Ischgl liegt, ist auf der Karte des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit dunkelrot eingefärbt. Die Karte zeigt die Corona-Fallzahlen pro Bezirk an, 974 Fälle stehen neben dem Bezirksnamen Landeck. Und das bei 44.000 Einwohnern. Nirgends in Österreich liegt die Fallzahl pro 10.000 Einwohnern höher, Landeck ist der dunkelste Punkt der Karte.

Wie es dazu kommen konnte, gilt inzwischen als geklärt: Ein infizierter Barkeeper der Aprés-Ski Bar „Kitzloch“ dürfte in Ischgl Anfang März Gäste aus halb Europa angesteckt haben. Doch auch als Island angesichts der Zahl der zurückverfolgbaren Fälle eine Reisewarnung für Ischgl aussprach, wurde noch tagelang gefeiert. Erst am 9. März sperrten die Behörden das „Kitzloch“, das Saisonende wurde auf den 13. März vorverlegt.

Sammelklage wird vorbereitet

Der Grund für die langsame Reaktion ist wohl vor allem kommerzieller Natur. Eigentlich kann man im Gebiet noch bis Anfang Mai Skifahren, da es besonders hoch liegt. Sommertourismus gibt es keinen, also sollten wohl aus den letzten Skitagen noch möglichst viele Einnahmen herausgeholt werden. Bei der Abschlussparty am 2. Mai sollte sogar Eros Ramazzotti auftreten.

Doch nicht nur diese Party ist jetzt endgültig abgesagt. Der laxe Umgang mit der Epidemie wird auch ein juristisches Nachspiel haben. In Innsbruck prüft die Staatsanwaltschaft, ob die Behörden absichtlich langsam gehandelt hätten, um die letzten Euros herauszuschlagen. Mehr als 4500 Tirol-Urlauber beteiligen sich an einer Sammelklage, die derzeit vom österreichischen Verbraucherschutzverein vorbereitet wird, etwa drei Viertel davon kommen aus Deutschland. „Es gibt auch ein Delikt, das da lautet Verbreiten einer meldepflichtigen Krankheit. Das würde passen und letztlich auch Amtsmissbrauch durch Nichthandeln“, sagte Peter Kolba, Gründer und Obmann des Verbraucherschutzes Österreich in einem Gespräch mit der Passauer Neuen Presse. „Dass man das dann auch noch abstreitet, das ist wirklich empörend. Die Leute würden sich eine Entschuldigung erwarten. Und in den schwereren Fällen natürlich auch einen Schadenersatz in Geld.“

In Ischgl wehrt man sich gegen den Vorwurf, zu spät gehandelt zu haben. „Ich möchte daran erinnern, dass wir am Abend des 10. März den Betrieb der Aprés-Ski Lokale eingestellt haben – das war jener Tag, als Italien zum Risikogebiet erklärt wurde“, sagte Bürgermeister Werner Kurz in einer Pressemitteilung. „Dieses Virus hat uns alle überrollt. Was an einem Tag noch undenkbar war, ist am nächsten Tag schon eingetreten.“

Auf ischgl.com stößt man auf weitere Versuche der Rechtfertigung. Bürgermeister Kurz antwortet dort unter anderem auf die Frage, wieso es nach dem positiven Testergebnis des Barkeepers am 7. März noch zwei Tage gedauert habe, bis das „Kitzloch“ geschlossen wurde. „Die Behörden haben entschieden und zum damaligen Zeitraum darauf vertraut, dass eine gründliche Desinfektion des Lokales und ein Austausch des Personals ausreichend seien.“ Auf die Warnungen der isländischen Behörden antwortete man am 5. März mit dem Statement, dass sich die Gäste beim Rückflug angesteckt haben dürften. Eine Vermutung, die sich als falsch erwies.

Ballermann in den Alpen

Mit Ischgl traf es eine Art Ballermann in den Alpen. Bis zur Corona-Krise kamen auf die 1617 Einwohner des Dorfes pro Jahr etwa 1,4 Millionen Übernachtungen von Touristen. Das Konzept des Ortes: Eventtourismus. Der Hype begann mit großen Konzerten auf der „Idalp“. Auf 3700 Metern Höhe traten Stars wie Elton John, Tina Turner, Robbie Williams, Mariah Carey, Rihanna, Katy Perry und Alicia Keys auf. Auch deutsche Künstler wie die Fantastischen Vier, Nena oder Sportfreunde Stiller kamen vorbei. In Ischgl nennt man das „Event-Skifahren“.

Deutsche Urlauber zog das Konzept in Scharen an. Mit über 650.000 Besuchern waren sie im Winter 2017/2018 die am stärksten vertretene Nationalität in Ischgl. Das dürfte sich nun nach dem Corona-Desaster rapide ändern. Bürgermeister Kurz präsentierte unlängst eine neue Strategie, um dem Imageschaden entgegenzuwirken. „Mehr Qualität und weniger Party“ soll es in Zukunft heißen. Man wolle weg vom Ballermann-Tourismus und Ischgl so zeigen, wie es wirklich ist.

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