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Analyse Inside IS: Das schmutzige Ölgeschäft

Die Terrororganisation Islamischer Staat finanziert ihren Kampf mit Geld aus dem Ölhandel. Dabei tritt der IS wie ein Ölkonzern auf
Brennende Ölfelder in Nahost
Brennende Ölfelder in Nahost
© Getty Images

Kampfjets dröhnen am Himmel über dem Ölfeld al-Omar im Osten Syriens, fliegen über die sechs Kilometer lange Schlange aus Lastwagen, die sich außerhalb der Förderanlage staut. Einige Fahrer warten bis zu einem Monat, ehe sie ihren Tanklastzug befüllen können. Entlang der Warteschlange haben kleine Falafel-Imbisse und Tee-Cafés eröffnet und buhlen um die neue Kundschaft. Manche Fahrer verlassen ihre Lkw für einige Wochen, lassen sie unbewacht zurück, kehren erst zurück, wenn sie an der Reihe sind.

Al-Omar liegt im IS-Land. Hier hat die Dschihadisten-Organisation, die sich Islamischer Staat nennt, die Kontrolle, wie in weiten Teilen von Syrien und Irak. Die Zerstörung des Ölhandels ist vorrangiges Ziel der internationalen Koalition, die den IS bekämpft. Doch bislang ist wenig geschehen. Der Handel geht ungestört weiter.

Öl ist das schwarze Gold, das die Kassen des IS füllt. Mit dem Geld ölen die selbst ernannten Gotteskrieger ihre Kriegsmaschinerie, versorgen ihre Gebiete mit Elektrizität und setzen so die Bevölkerung in Abhängigkeit zu den fanatischen Kriegern.

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seitdem US-Präsident Barack Obama die internationale Koalition gegen den IS in den Kampf geschickt hat. Der lebhafte Handel bei al-Omar und mindestens acht anderen Ölfeldern zeigt aber das ganze Dilemma derLage: Wie soll das „Kalifat“ wirkungsvoll bekämpft werden, ohne die Region mit etwa zehn Millionen Zivilisten in Mitleidenschaft zu ziehen?

Rebellen kaufen bei IS

Trotz aller Versuche den Ölhandel zu unterbunden - das wurde in Dutzenden Interviews mit syrischen Händlern, Ingenieuren, westlichen Nachrichtendiensten und Ölexperten bestätigt – hat der IS das Geschäft mit dem Öl professionalisiert, ausgedehnt und wie einen Staatsbetrieb aufgebaut.

Wie ein Konzern führt der IS die Geschäfte, rekrutiert erfahrene Arbeiter, Ingenieure und Manager. Nach Schätzungen von Experten vor Ort fördert der IS etwa 34.000 bis 40.000 Barrel pro Tag. Ein Barrel entspricht 159 Litern. Das Öl wird für Preise zwischen 20 und 45 Dollar pro Barrel verkauft. Das heißt: Die Terrormiliz verdient im Schnitt 1,5 Mio. Dollar – am Tag.

„Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre“, sagt ein syrischer Rebellenkommandeur in Aleppo. Er kauft den Diesel für die Fahrzeuge seiner Truppe im Feindesland, beim Islamischen Staat. „Wir haben keine andere Wahl“, sagt er. „Unsere Revolution ist eine von armen Leuten. Und sonst versorgt uns niemand mit Treibstoff.“

Die Öl-Strategie ist von langer Hand geplant. Schon als die Terrorgruppe erstmals 2013 in Syrien in Erscheinung trat, also lange bevor sie Städte wie Mossul im Irak eroberte, hatten die Dschihadisten die bedeutende Rolle des Öls für ihre Vision vom Kalifat erkannt. Der Schura-Rat, das Führungsgremium des IS, hatte die Erdölförderung als elementaren Teil ihres Feldzugs identifiziert.

Experten für alles

Der IS kontrolliert die Felder im ölreichen Osten Syriens. 2013 hielt der Islamische Staat dort nur kleine Stützpunkte, dann zog er all seine Kräfte aus dem Nordwesten zusammen, um sich im Osten auszudehnen. Zwar war der Nordwesten strategisch wichtiger. Aber die Gegend ist arm an Öl.

Nachdem der IS die irakische Millionenstadt Mossul im Jahr 2014 erobert hatte, besetzte die Terrorgruppe umgehend die Ölfelder bei Ajil und Allas in der Provinz Kirkuk im Nordosten des Irak. Noch am selben Tag, so sagen einheimische Quellen, hätte der IS Ingenieure in die Anlagen gebracht, die sofort die Produktion übernommen und die Märkte beliefert hätten.

„Sie waren extrem gut vorbereitet“, sagt ein Scheich aus der Stadt Hawija in der Umgebung von Kirkuk. „Für alles hatten sie Experten. Für die Finanzen, für die Technik, für das Fördern und Lagern.“ Hunderte Tanklastzüge aus Kirkuk und Mossul hätten sie mitgebracht, die das Öl abtransportierten. Im Durchschnitt sollen 150 Trucks pro Tag befüllt worden sein, jeder mit Öl im Wert von 10.000 Dollar. Im April 2015 hat die irakische Armee die Ölfelder zurückerobert. Aber bis dahin, so der Scheich, habe der IS etliche Millionen Dollar gemacht.

Während das Terrornetzwerk al-Kaida von den Geldern wohlhabender Spender abhängig ist, hat der IS seine ganz eigene Wirtschaft mit den Ressourcen der eroberten Gebiete aufgebaut. Auch wenn der IS das Öl nicht auf dem Weltmarkt anbieten kann, floriert der Handel im Irak und in Syrien.

Headhunter suchen Ingenieure

Vor den Ölfeldern bilden sich lange Schlangen mit Tanklastzügen
Vor den Ölfeldern bilden sich lange Schlangen mit Tanklastzügen
© dpa

Diesel und Benzin vom IS werden nicht nur in den von ihnen eroberten Gebieten benutzt, sondern auch in Gebieten, die mit dem IS im Krieg liegen. Wie dem Norden Syriens, der von den Rebellen verteidigt wird. Das IS-Öl ist oft der einzige Rohstoff, der dort zu bekommen ist. Und damit ist er überlebensnotwendig. Krankenhäuser, Geschäfte, Traktoren und Maschinen werden mit Generatoren betrieben, die wiederum das Öl des Feindes benötigen – und ihn immer reicher, und damit schlagkräftiger machen.

Und dann ist da diese furchtbare Gewissheit. „Jeden Moment kann der Dieselnachschub gekappt werden. Ohne Diesel, das weiß auch der IS, sind wird tot“, sagt ein Ölhändler aus Aleppo, der mit der Financial Times über Telefon gesprochen hat. Jede Woche fährt er ins IS-Gebiet, um Diesel zu kaufen.

Der IS tritt auf wie eine Ölgesellschaft. Headhunter bemühen sich um Ingenieure und Manager, bieten gute Gehälter. Arbeiter sollen sich bei der Personalabteilung der Ölfirmen bewerben. Es gibt Experten, die die Ölfelder kontrollieren, die Produktion begleiten und sich um Angestellte kümmern. Besonders angesprochen werden Arbeiter, die bereits für Ölfirmen in Saudi-Arabien oder anderen Ländern des Nahen Ostens gearbeitet haben. Ihnen werden gut dotierte Jobs angeboten. Das berichten Händler, die beim IS kaufen, oder Ingenieure, die in deren Anlagen arbeiteten.

Öl ist Chefsache

Techniker werden aktiv angesprochen. Wie Rami (Name von der Redaktion geändert), der in Syrien bei einer Ölfirma gearbeitet hat, bevor er sich den Rebellen anschloss. Über Whatsapp wurde er von einem IS-Headhunter im Irak angeschrieben. „Ich könnte mir eine Position aussuchen, lautete das Angebot“, sagt Rami. Auch das Gehalt. Er hätte einfach eine Zahl sagen sollen. Rami war skeptisch. Und verängstigt. Er schlug das Angebot aus und flüchtete in die Türkei.

Der IS rekrutiert nicht nur in den eroberten Gebieten. In einer Rede nach dem Fall von Mossul rief IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi auch Sympathisanten aus dem Ausland auf, den IS zu unterstützen. Er warb nicht nur um Kämpfer, sondern auch um Ingenieure, Ärzte und Fachkräfte. Erst kürzlich ernannte der IS einen ägyptischen Ingenieur, der in Schweden lebte, zum neuen Manager einer Raffinerie im Nordirak.

Welch zentrale Rolle das Öl in der Strategie des IS spielt, wird auch deutlich, wenn man einen Blick auf die Strukturen des „Kalifats“ wirft. Grundsätzlich ist der IS dezentral organisiert. Regionale Gouverneure beherrschen die Territorien. Aber die Ölgeschäfte sind direkt der Führungsriege unterstellt.

Geheimpolizei kontrolliert

Bis zu seinem Tod im Mai leitete Abu Sayyaf, ein Tunesier, der laut Pentagon mit richtigem Namen Fathi Ben Awn Ben Jildi Murad al-Tunisi hieß, die Ölgeschäfte des IS. Im Mai wurde er durch eine US-Spezialeinheit getötet. Nach Geheimdienstinformationen wurden bei ihm Dokumente gefunden, in denen akribisch die Geschäfte geschildert waren. Es gab Aufstellungen mit Ölquellen, Kosten und Preisgestaltung.

Die Aufsicht über die Ölfelder hat die Geheimpolizei des IS, die sogenannte Amniyat. In den Anlagen regelt sie, wer sich wo aufzuhalten hat. Wer gegen Vorschriften verstößt, wird drakonisch bestraft. Händler und Tanklastwagenfahrer werden vor jedem Betreten der Anlagen akribisch durchsucht.

Das größte Ölfeld unter der Kontrolle des IS ist al-Omar, wo die Schlange der wartenden Tanklastzüge nicht selten eine Länge von sechs Kilometern erreicht. Das System sei langsam, sagt ein Händler. Aber daran hätte man sich gewöhnt. Die Fahrer müssten ein Dokument vorweisen, in dem Name, Nummernschild und Füllmenge vermerkt seien. Die IS-Offiziellen erfassen die Daten und verteilen Wartenummern. Einige der Fahrer kehrten in ihr Dorf zurück und schauten alle paar Tage an der Anlage vorbei, um zu sehen, ob sie bereits an der Reihe seien. Andere campierten in Zelten neben ihren Trucks.

Letzte Hoffnung: versiegene Quellen

Wenn sie ihren Lastzug beladen haben, beliefern sie entweder Raffinerien oder sie laden die Fracht in kleinere Wagen um, die dann in die Rebellenhochburgen fahren.

Wie lange der IS das Geschäft mit dem Öl noch betreiben kann, ist fraglich. Die internationale Koalition verschärft das Bombardement, jetzt mischen auch die Russen mit und der niedrige Ölpreis lässt den Gewinn schrumpfen. Die größte Gefahr für den IS ist aber das Versiegen der Quellen auf den in die Jahre gekommenen Ölfeldern. Und der IS ist selbst sein größter Kunde. Je größer das Territorium, je mehr Fronten, um so mehr Öl benötigt der IS für seinen Kampf. Und um so weniger Öl bleibt für den Verkauf.

Copyright The Financial Times Limited 2015

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