Ein Dauerbrenner an allen Fußball-Stammtischen: Schießt Geld Tore? Die Analogie für unsere Tech-Meetups: Braucht ein Startup bereits im Seed-Bereich mehrere Millionen, in Series A und B möglichst das x-Fache, um ein Global Champion zu werden? Um in der Fußball-Metapher zu bleiben: Berlin ist eher Atletico als Real Madrid. Verglichen mit dem Silicon Valley haben wir in der Stadt in Sachen Entrepreneurship in den vergangenen fünf Jahren dennoch einen Quantensprung erlebt - und zwar zu einem Bruchteil der Summen, die in den führenden Ökosystemen wie SF/Valley, NYC, London oder Tel Aviv geflossen sind. Wenn man Berlin mit den oben genannten Ökosystemen vergleicht, fällt einem schnell auf, dass die anderen Städte und Regionen gute Ausgangspositionen hatten. Tel Aviv oder das Silicon Valley wurden Jahrzehntelang mit Milliarden aus Militär-Budgets hochgepeppelt. London oder New York sind führende Finanz-Metropolen, die auch reife Medien- und Werbe-Industrien vorweisen können. Berlin hingegen war vor 15 Jahren wirtschaftlich eher Kreisliga - und nun haben internationale Medien Berlin zum “nächsten Silicon Valley” erkoren.
Berlin als Vorbild
Es ist also kein Wunder, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch international wachsendes Interesse besteht, zu erlernen, wie ein solches digitales Ökosystem so schnell entstehen kann. Aufstrebende Städte wie Los Angeles oder Kapstadt können die Geschichte Berlins eher für sich als Vorbild gewinnen als die von New York oder San Francisco. Denn wenn Berlin das geschafft hat, dann können das auch andere. 2012 haben wir das erste Tech Open Air in Berlin mit Crowdfunding finanziert - mit gerade mal 30.000 Euro. Fünf Jahre später erwarten wir 20.000 Besucher. Besucher wie Sergey Brin (Google-Gründer) oder Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner kamen zu uns, ebenso wie Dirigent Daniel Barenboim oder Paola Antonelli aus dem MOMA. Medien wie der Branchen-Dienst TNW nennen das TOA sogar die coolste Tech-Konferenz Europas. Es ist ein typisches Beispiel dafür, wie wir in Berlin mit minimalen finanziellen Ressourcen das Maximum rausholen. Nur damit wir alle auf dem gleichen Nenner sind: Während 2015 in Berlin 2,15 Milliarden Euro Risikokapital flossen, waren es im Silicon Valley 34 Milliarden Euro. Schon heute beschäftigen Berliner Startups 13.200 Arbeitnehmer, bald schon, so eine aktuelle Studie, werden sie der wichtigste Arbeitgeber sein. Grundlage für diesen angesichts des vergleichsweise marginalen Kapitals außergewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolgs ist ein funktionierendes Ökosystem. Wenn es ein prädestiniertes Beispiel gibt, um zu illustrieren, was sich hinter diesem zugegeben etwas abstrakten und teils auch inflationär benutzten Begriff, verbirgt, dann Berlin: Interdisziplinär haben sich Kreative, Startups, Geldgeber und Experten vernetzt. Erst Synergien, die durch diese häufig informellen Netzwerke entstehen, ermöglichen Innovation zu einem Bruchteil der üblichen Kosten. Grundlage für Innovation ist schließlich nicht nur Zugang zu Kapital, sondern auch zu Informationen, Expertise und Talenten. Außerdem entstehen neue Ideen und Lösungsansätze, die am Anfang disruptiver Technologieentwicklung stehen, in einem kreativen Prozess, geprägt durch offene Kommunikation und regen Austausch.
Disruptionswelle gewinnt an Geschwindigkeit
Für das Berliner Ökosystem ist die derzeitige Phase besonders spannend: Unser Beispiel macht Mode. Während Netzwerke bis dato vor allem regional gefruchtet haben, vernetzen sich die Szenen in Berlin, im Silicon Valley, in Tokio und Tel Aviv immer stärker global - auf ganz ähnliche Weise, wie wir es hier erlebt haben. Führende Co-Working-Spaces und Hubs eröffnen in den Tech-Metropolen neue Standorte, Events wie das Tech-Open-Air dehnen ihr Konzept weltweit aus. Die innovative Tech-Community trifft sich in Tokio, Berlin oder wie zuletzt in Texas auf dem South by Southwest. Gründer schielen nicht mehr auf ihre Heimat, wenn es um den Markteintritt geht, sondern gehen ganz pragmatisch dorthin, wo der Bedarf am größten ist. Beflügelt wird dieses die Welt umgebende Netzwerk durch Kommunikationstools, die das lokal völlig unabhängige Management einer Firma ermöglichen. Während der eine Gründer in Berlin sitzt, sitzt sein Co-Funder in Los Angeles und das Entwicklerteam in Ost-Europa. Die Folge einer solchen globalen Innovatoren-Gemeinschaft: Die Disruptionswelle gewinnt nochmal an Geschwindigkeit: Neue Technologien erschließen sich rascher internationale Märkte, innovative Ideen zirkulieren schneller rund um die Welt und Talente werden dort gefunden, wo die spezifischen “Skills” für die jeweilige Technologie verfügbar sind. Für Berlin bedeutet dies aber auch: Es verbleibt keine Zeit, sich auszuruhen. Schließlich wird internationale Konkurrenz in noch höherem Tempo um Kapital und Talente buhlen. Ein abschließender und klischeebehafteter Ausflug in den Fußball-Jargon sei erlaubt: Wir spielen jetzt nicht mehr nur Bundesliga, sondern in einer globalen Champions League. Dafür muss auch trainiert werden!
Nikolas Woischnik ist Gründer des seit 2012 stattfindenden Tech Open Air in Berlin.