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Gastkommentar Industrie 4.0 - Deutschlands Chance

Deutschland hat bei der Digitalisierung der Industrie die beste Ausgangsposition. Aber das Rennen beginnt erst. Von Reinhard Clemens
Die digitale Fabrik: Das Siemens-Werk in Amberg verdient diesen Titel
Die digitale Fabrik: Das Siemens-Werk in Amberg verdient diesen Titel
© Marek Vogel
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Reinhard Clemens ist Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom und CEO der Telekom-Tochter T-Systems

Wir kennen sie alle die Stars der digitalen Wirtschaft: Apple, Google, Amazon. Sie verstehen es meisterhaft, Konsumenten ein besonderes Einkaufserlebnis zu bereiten. Und so ist der Zug der Internetwirtschaft bisher fast völlig an Europa vorbeigerauscht. Durch die Digitalisierung der Fertigung bekommen wir eine zweite Chance.

Gerade Deutschland könnte glänzen, denn kaum einer anderen Nation wird mehr Kompetenz rund um Produktion und Industrie zugeschrieben. Das Ingenieurswissen der vielen traditionsreichen Konzerne und vor allem die Innovationskraft des Mittelstands haben weltweit einen hervorragenden Ruf.

Internetgiganten gegen Industrietitane

Unsere zweite Chance liegt im Maschinenraum und heißt Industrie 4.0. Die traditionelle Fertigung steht vor einem gewaltigen Umbruch. Die produzierenden Unternehmen müssen das Qualitätsversprechen „made in Germany“ in digitale Geschäftsmodelle umwandeln. Bald wird sich zeigen, wer die künftigen Player dieser vierten industriellen Revolution sind – Internetgiganten oder Industrietitane? Schafft Europa hier den Weg zur Weltklasse oder liegen wir am Ende doch wieder hinten dran?

Einiges spricht dafür, dass die zweite Halbzeit der Digitalisierung anders läuft. Zwei Drittel der eingebetteten Systeme kommen heute schon aus Europa, und wir sind federführend in der Steuerungstechnik. Damit nicht genug: Bis 2020 will die deutsche Industrie 40 Milliarden Euro pro Jahr in Anwendungen von Industrie 4.0 investieren, prophezeit eine PwC-Studie. Zwei Drittel der befragten Unternehmen würden bereits aktiv an der Digitalisierung und Vernetzung ihrer Wertschöpfungskette arbeiten. Auch die Bundesregierung hat diese Entwicklung erkannt und Industrie 4.0 in ihre Hightech-Strategie aufgenommen.

IT, Telekommunikation und Fertigung verschmelzen

Die Startvoraussetzungen sind also gut. Aber es braucht mehr, damit Industrie 4.0 eine Erfolgsgeschichte und keine Nullnummer wird. Wir brauchen erstens branchenübergreifende Geschäftsmodelle, Kooperationen und Partnerschaften. Denn Industrie 4.0 meint nicht einfach nur eine automatisierte Fertigungsstraße, sondern die vollständige Digitalisierung der Produktion – mit allem drum und dran.

Bestimmte früher noch das Roboterprogramm, was aus einem Werkstoff wird, so sagt das Blech demnächst dem Roboter, was daraus werden soll. Die Waschmaschine wird melden, dass ein Teil durch Verschleiß bald kaputt geht. Und so haben die Herstellen die Möglichkeit, den Kunden ein ganz neues Service-Erlebnis zu bieten. Lange bevor ein Konsument im Internet nach Ersatz sucht und die Amazons dieser Welt ins Spiel kommen. Hersteller und Kunden rücken viel näher zusammen – via IT.

Wenn jedes Gerät künftig Daten sendet, braucht es zweitens Plattformen, die diese Daten verarbeiten, um Muster zu erkennen, neue Angebote für Kunden zu erstellen. Es muss einfach und bequem sein für den Endverbraucher, so wie beim Online-Einkaufen. Die besten Erkenntnisse bieten offene Systeme für ganze Branchen statt für einzelne Firmen. Wenn jedes Unternehmen eine solche Plattform baut, wird es teuer, viel zu teuer im weltweiten Wettbewerb. Viel wirtschaftlicher ist eine gemeinsame, europäische Lösung. Aufbauend auf unseren Netzen und Rechenzentren arbeitet die Telekom an solchen Plattformen – etwa für die Automobilindustrie.

Mit Datenschutz und Datensicherheit punkten

Doch wo Licht, da auch Schatten: Die Geheimdienstaffären sowie der rasante Anstieg von Cyberangriffen schaden dem Vertrauen der Verbraucher in digitale Geschäftsmodelle. Das Killer-Kriterium ist deshalb die Sicherheit der Daten und der kommerzielle Umgang damit. Von den Unternehmen und Verbrauchern über Jahre eher vernachlässigt, haben sich Datenschutz und Datensicherheit inzwischen zu wichtigen Grundpfeilern im fairen Miteinander entwickelt.

US-Anbieter wie Google und Amazon bauen ihre Geschäftsmodelle auf dem Sammeln und Auswerten der Daten von Konsumenten auf – und dies basierend auf einem uns fremden US-amerikanischem Datenschutzverständnis. Es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Bei uns gilt die Umkehrung dieser Formel. Hier muss Europa dringend für Chancengleichheit sorgen. Damit ist nicht die US-Lösung auch in unserem Fall gemeint.

Der Endverbraucher sollte entscheiden, was mit seinen Daten geschieht. Und wer Daten europäischer Kunden nutzt, sollte auch dem europäischen Datenschutz unterliegen, ohne Wenn und Aber. Heute schützen Lösungen „made in Germany“ Daten in besonders hohem Maß, aber hier reicht ein deutscher Weg nicht. Nur Regeln eines europäischen Markts haben die Chancen, sich gegen die großen Wirtschaftsmächte in Nordamerika und China zu behaupten.

Noch braucht es einige Jahre bis Industrie 4.0 wirklich flächendeckend in der Produktion Einzug hält, bis komplette Produktlebenszyklen vernetzt sind. Darin liegt unsere Chance. Mit Cloud- und Machine-to-Machine-Technologie sind die technischen Grundlagen gelegt. Europa hat als Faustpfand das Wissen aus dem Maschinenraum, steht auf der Pole-Position. Aber wir alle wissen, wer von ganz vorne startet, ist der Gejagte und nicht immer der Sieger. Wir müssen uns also ranhalten.

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