Weil er sich weigert, von einer Forschungsreise nach Deutschland zurückzufliegen, droht ihm sein Arbeitgeber mit Kündigung. Das sagt der Ökonom Dr. Gianluca Grimalda. Der Forscher am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) reist selbst nur so klimafreundlich wie möglich, sagt er. Gerade hat er eine sechsmonatige Feldforschung in Papua-Neuguinea beendet, bei der er die Zusammenhänge zwischen Globalisierung, Klimawandel und sozialem Zusammenhalt untersucht hat.
Jetzt will er zurück nach Deutschland. Doch statt ins Flugzeug zu steigen, wie es wohl die meisten tun würden, will sich der Wissenschaftler und Klimaaktivist von „Scientist Rebellion“ auf eine mehrwöchige Odyssee mit Schiff, Bahn und Bus begeben. Das würde den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 deutlich reduzieren, schreibt Grimalda in einer Pressemitteilung.
Forscher zeigt Unverständnis: „Kann auch von unterwegs effektiv arbeiten“
„Ich weigere mich zurückzufliegen und bin fest entschlossen, meinen Flugverbotsplan einzuhalten“, sagt der Klimaaktivist. „Letztlich geht es auch um meine psychische Gesundheit. Mein psychischer Zustand kann nur als Klimaangst bezeichnet werden, und Fliegen kann diesen Zustand nur verschlimmern.“
Dennoch habe ihn sein Arbeitgeber, das IfW, am 29. September aufgefordert, am 2. Oktober wieder in Kiel zur Arbeit zu erscheinen, was eine Flugreise bedeutet hätte, so Grimalda. Sollte er nicht beim IfW erscheinen, würde dies zu seiner Entlassung führen, heißt es in der Pressemitteilung. „Das IfW begründet diese Entscheidung mit der Notwendigkeit, den ursprünglichen Zeitplan für die Forschung einzuhalten, da die Genehmigung für den Auslandsaufenthalt am 10. September auslief“, schreibt der Forscher weiter.
„Angesichts der klimatischen Notsituation, in der wir uns befinden, finde ich es unangemessen, dass das IfW dieses Ultimatum und diese Strafe stellt“, sagt Grimalda. „Da ich nicht unterrichte und die Sitzungen online abgehalten werden können, ist meine Anwesenheit in Kiel nicht erforderlich. Ich kann auch von unterwegs effektiv arbeiten.“
Grimalda nutzte schon bei Hinreise kein Flugzeug
Für Grimalda erfordere der „Ausnahmezustand, den wir mit der globalen Erwärmung erreicht haben“, außergewöhnliche Maßnahmen. „Ich hoffe, dass meine Entscheidung, den Verlust meines Arbeitsplatzes zu riskieren, dazu beiträgt, die Mauer aus Apathie, Gleichgültigkeit und Gier zu durchbrechen, die die globale Erwärmung umgibt“. Selbst wenn dies nicht gelingen sollte, sei er zufrieden, das moralisch Richtige getan zu haben, nämlich den CO2-Ausstoß seiner Reise zu minimieren.
Grimalda hatte seine Reise nach Papua-Neuguinea im Februar dieses Jahres begonnen und auf X, ehemals Twitter, dokumentiert. Er fuhr von Kiel nach Mailand und von dort über Griechenland, die Türkei, den Nahen Osten, Indien, Thailand, Malaysia und Singapur nach Papua-Neuguinea. Dabei benutzte er nach eigenen Angaben kein einziges Mal ein Flugzeug. Für die Hinreise habe er sogar unbezahlten Urlaub genommen, sagte er den „Kieler Nachrichten“.
„Es ist außergewöhnlich, dass ein Forschungsinstitut einem Forscher mit Entlassung droht, weil er seine Arbeit zu gewissenhaft erledigt und während einer Klimakrise auf Flüge verzichtet“, sagt Julia Steinberger, Professorin für die gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels an der Universität Lausanne, in Grimaldas Pressemitteilung.
Gianluca Grimalda protestierte gegen Volkswagen
Das IfW will sich auf Anfrage des stern nicht detailliert zu den Vorwürfen Grimaldas äußern und schreibt in einer schriftlichen Antwort: „Das IfW Kiel äußert sich prinzipiell nicht zu internen Personalangelegenheiten in der Öffentlichkeit. Das dient dem Schutz unserer Beschäftigten und gilt auch für diesen Fall.“
Generell unterstütze das Institut aber seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei, Dienstreisen klimafreundlich zu gestalten. Bereits in der Vergangenheit habe das Institut Grimaldas „slow travel“-Aktivitäten unterstützt. „Slow travel“ bedeutet langsames, aber klimafreundliches Reisen. Grimalda habe seine Reise zudem in Absprache mit dem IfW Kiel organisiert.
Julia Steinberger sieht aber noch einen anderen Grund für die mögliche Kündigung Grimaldas: „Das IfW Kiel scheint sich vor allem für Gianlucas frühere Beteiligung an Protesten in Form von zivilem Ungehorsam mit der 'Scientist Rebellion' zu rächen.“ Unterstützung erhält der Kieler Forscher auch von der deutschen Klimaaktivistin Luisa Neubauer. „Alle Solidarität“, schreibt sie auf X.
Tatsächlich hat Grimalda als Aktivist von „Scientist Rebellion“ im vergangenen Oktober an einer Aktion in Wolfsburg teilgenommen. Dort hatten die Aktivisten einen Pavillon gekapert und mich vor Porsche-Autos geklebt, wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“ damals berichtete. Grimalda beschwerte sich damals über die schlechte Behandlung durch Volkswagen.
Reise nach Kiel startet für Grimalda
Das Institut, für das er seit zehn Jahren arbeitet, habe ihn bereits abgemahnt, sagte Grimalda auf X. Eigentlich hätte Grimalda seine Arbeit in dem ozeanischen Land bereits im Juli beenden sollen, berichteten die „Kieler Nachrichten“. Die Feldforschung habe aber wegen „Sicherheitsbedrohungen“ verlängert werden müssen, erklärte er. Die Verzögerungen habe er zwar seinem Abteilungsleiter mitgeteilt, nicht aber der Verwaltung, räumt er ein.
„Ich habe angeboten, so lange unbezahlten Urlaub zu nehmen, wie sie es für angemessen halten. Aber sie haben mein Angebot abgelehnt und sogar mein Septembergehalt zurückgehalten, ohne mich vorher zu informieren“, schreibt Grimalda. Das sei für ihn „dramatisch“, da er sich um seine demente Mutter kümmern müsse, sagte er den „Kieler Nachrichten“ weiter. „Habe ich diese Behandlung wirklich verdient, weil ich übereifrig war, meine Feldarbeit mit der gewünschten Stichprobengröße abzuschließen?“, fragt er auf X.
Am Donnerstag postete Grimalda dann auf der Plattform, dass es bald mit der Rückreise losgeht. Er habe die Erlaubnis bekommen, auf einem Frachter mitzufahren. Wie lange seine Reise zurück nach Kiel dauern wird und ob er dann noch seinen Job hat, ist noch unklar. „Ich bin bereit, diesen Preis zu zahlen, wenn es dazu beiträgt, das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der gesellschaftlichen Führung für die verzweifelte Lage, in der wir uns befinden, zu schärfen“, schreibt Grimalda in einem Artikel. „Vielleicht würde das bedeuten, das aufzugeben, was ich in meinem Leben am meisten liebe und wofür ich viel geopfert habe: die Forschung.“
Der Beitrag ist zuerst auf stern.de erschienen