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Kolumne Zeit für eine neue EU-Außenpolitik

In der Ukraine gibt die EU ein schwaches Bild ab. Europas Außenpolitik braucht eine offensivere Strategie. Von Ana Palacio
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Ana Palacio

Ana Palacio war spanische Außenministerin und Vizepräsidentin der Weltbank. Sie ist Mitglied des spanischen Staatsrats und Gastdozentin an der Georgetown University

Seit fast einem Jahr wird über die andauernde Ukraine-Krise heiß diskutiert. Aber eine Frage wurde dabei kaum intensiv untersucht: Was sagt die russische Annexion der Krim und die Invasion in der Ostukraine über die Außenpolitik der Europäischen Union aus?

Zu Beginn der Krise sträubte sich Deutschland, das mit großem Einsatz auf die russische Modernisierung gesetzt hatte, gegen konsequentes Handeln. Aber als sich die Krise vertiefte, versuchte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, ihre europäischen Kollegen davon zu überzeugen, umfassende und schmerzhafte Sanktionen zu verhängen.

Das war sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, half aber nicht gegen die außenpolitischen Fehler, die für die Ukraine-Krise mitverantwortlich waren und die weiterhin die Reaktionsmöglichkeiten der Europäer unterminieren – hauptsächlich die verfehlte EU-Nachbarschaftspolitik (ENP) und ihr wirrer energiepolitischer Ansatz. An beiden Fronten hat die mangelnde strategische Vision der EU zu dem Eindruck geführt, Europa werde durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin immer wieder ausmanövriert.

Russland diktiert die Bedingungen

Der Waffenstillstand in der Ukraine ist brüchig
Der Waffenstillstand in der Ukraine ist brüchig
© Getty Images

Es scheint zunehmend so, dass die Ukraine in einem „gefrorenen Konflikt“ gefangen ist – einer außenpolitischen Spezialität Russlands. In der Tat entspricht die Lage in der Ukraine einem taktischen Sieg Russlands – der zerbrechliche, aber andauernde Waffenstillstand und die damit einhergehenden Gesetze, die Donezk und Luhansk erhebliche politische Autonomie garantieren, ermöglichen es den Russen, den Konflikt in der Nähe der EU-Grenze zu halten. Darüber hinaus ist die Verzögerung bei der Einführung wichtiger Elemente des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine ein deutlicher Beweis dafür, dass Russland momentan die Bedingungen für die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine diktiert.

In Europa konnte der Kreml seine erfolgreiche Strategie des Teilens und Herrschens verfolgen, vor allem bei der Entscheidung Ungarns, die Gasdurchleitung in die Ukraine zu unterbrechen. Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán, deren Verhalten in den letzten Jahren im Widerspruch zu den Demokratiekriterien der EU stand, unterstützt nun offen autoritäre Regimes -insbesondere Putins - was ernste Folgen für die europäische Einheit haben könnte.

Trotzdem ist das Timing des derzeitigen Waffenstillstands, das mit der Einführung einer neuen EU-Kommission zusammen fällt, vorteilhaft, ebenso wie Putins kurzsichtige Betonung taktischer Siege. Die führenden EU-Politiker sollten die Pause nutzen und von einer nur reagierenden Politik auf eine antizipierende übergehen. Mit einer langfristigen strategischen Vision könnte die EU Putins kurzfristige Erfolge neutralisieren und letztlich unterminieren.

Nachbarschaftspolitik reformieren

Solch eine Vision muss auch eine Neuformulierung der ENP beinhalten. Letztlich problematisch ist nicht das Ziel des Programms, den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Übergangs der Nachbarstaaten zu lenken. Das Problem liegt vielmehr in der Art der Interpretation und Durchführung.

Zunächst setzt die ENP voraus, dass alle EU-Nachbarn, sowohl im Süden als auch im Osten, europäische Werte und Strukturen für ihre eigenen Länder übernehmen möchten. Mit anderen Worten sie zieht die entwicklungsgeschichtlichen, kulturellen und richtungsweisenden Unterschiede zwischen den EU-Partnerstaaten nicht in Betracht.

In ihrer Durchführung leidet die ENP unter ihrem übertrieben technischen Ansatz und unter einem Mangel an strategischer Vision. Beispielsweise war die Europäische Kommission vor der Krise in der Ukraine so auf die technischen Details des Assoziierungsabkommens konzentriert, dass sie die möglichen Folgen – wie beispielsweise eine russische Reaktion – nicht berücksichtigt hat.

Sicherlich hat die EU die Notwendigkeit einer kohärenten Strategie erkannt und versucht, sie durch die Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und die Position des Hohen Vertreters für Auswärtige Angelegenheiten nachzukommen. Aber der EAD geriet letztlich in einen Grabenkampf mit der EU-Kommission, und die scheidende Hohe Vertreterin Catherine Ashton trug wenig zur Erleichterung der Spannungen bei, da sie sich nicht in interne EU-Streitigkeiten einmischen wollte. Auffällig ist, dass Ashton nur dort Fortschritte gemacht hat, wo völliger Konsens herrschte, wie bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm und dem Vertrag zwischen Kosovo und Serbien.

Aufwertung für Hohe Repräsentantin

Außerdem wird die europäische Effektivität durch den fragmentierten Ansatz zur Sicherung der Energiereserven ausgehöhlt. Da jedes Land größtenteils seine eigene Energiepolitik betreibt, wurde der europäische Energiemarkt ineffizient und übermäßig abhängig von Lieferungen aus Russland. Soweit es eine EU-weite Energiestrategie gab, bezog sie sich auf erneuerbare Energien und nicht auf das Zusammenspiel von Geopolitik und Energiesicherheit.

Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Die neue Kommission, die durch ihren Präsidenten Jean Claude Juncker umfassend restrukturiert wurde, könnte Europa die so dringend benötigte strategische Führung geben.

Tatsächlich hat Juncker bereits angekündigt, die künftige Hohe Repräsentantin Federica Mogherini in das Maßnahmenprogramm der Kommission zu integrieren. Die neue Struktur – in der Mogherini mit der Führung und Koordinierung der Arbeit mehrerer Kommissare beauftragt ist, darunter diejenigen für Handel, das ENP sowie Klima und Energie – sollte die Kohärenz und Richtung der EU-Politik stärken, insbesondere nachdem Mogherini ihre durch den Europarat beauftragte Untersuchung der globalen strategischen Landschaft abgeschlossen hat.

Um aber einen Neustart in der außenpolitischen EU-Strategie zu gewährleisten, reicht eine umstrukturierte Kommission nicht aus. Dazu müsste sich Mogherini mit der Unterstützung Junckers und des neuen Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk als Führungsfigur durchsetzen. Und am wichtigsten ist, dass sich alle EU-Mitglieder erneut zur Zusammenarbeit verpflichten.

Das ukrainische Volk hat die Macht der europäischen Werte deutlich gemacht. In der Tat hat Europa viele Werkzeuge zur Verfügung, es muss nur herausfinden, wie sie verwendet werden können. Wenn dies geschieht, wird der Kontinent nicht nur besser auf die russische Herausforderung reagieren können, sondern auch auf viele der anderen Probleme des heutigen, sich schnell verändernden weltweiten Umfelds.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2014.
www.project-syndicate.org

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