Anzeige

Ökonomisches Quartett Hintertür im Fernen Osten

Die Sanktionen gegen Russland verpuffen, wenn China nicht mitspielt. Angela Merkel muss ihren guten Draht nach Peking nutzen. Von Heleen Mees
Heleen Mees, geb. 1968 im niederländischen Hengelo, war Professorin für Makroökonomie an der New York University und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Boom in China. Derzeit erforscht sie in einem Umfrageprojekt, wie Chinesen Inflation wahrnehmen
Heleen Mees
© Getty Images

Heleen Mees stammt aus den Niederlanden und lebt heute in New York. Die Ökonomin, die in Tilburg und an der New York University gelehrt hat, beschäftigt sich insbesondere mit den Ursachen und Folgen des langen Booms in China

Europäer und Amerikaner haben nach dem Abschuss des Fluges MH17 aus Amsterdam schnell reagiert: Sanktionen gegen Russland wurden verschärft, es geht gezielt gegen die Energie- und Rüstungsindustrie und gegen große staatseigene Banken.

Die offene Frage ist allerdings, wie effektiv denn solche Maßnahmen überhaupt sein können, wenn nicht auch China mitmacht.

Die von Sanktionen betroffenen Banken haben zwischen 2004 und 2012 Kapital in Höhe von 16,4 Mrd. Dollar in der EU aufgenommen. 2013 wurde fast die Hälfte aller Anleihen russischer Finanzinstitutionen – insgesamt 10 Mrd. Dollar – in der EU begeben.

China könnte mit Krediten einspringen

Das klingt nach viel. Die Wirkung der Sanktionen kann aber erheblich geschwächt werden, wenn Kredite künftig aus China kommen.

Die aktuelle Capital
Die aktuelle Capital

So hat Rosneft, der größte börsennotierte Ölkonzern der Welt, zuletzt einen Teil seiner Schulden bei westlichen Banken getilgt. Die Mittel dafür kamen wohl aus chinesischen Quellen. China ist offenbar bereit, Geld zu Konditionen zu verleihen, die mit kommerziellen Krediten zumindest mithalten können.

Nach einigen Kenngrößen ist China schon die größte Volkswirtschaft der Welt. Es hat fast 4 000 Mrd. Dollar an Devisenreserven, die in erster Linie in hochliquide staatliche Anleihen der USA investiert sind. Wenn es will, dann kann China problemlos die Finanzlücke schließen, die jetzt in Russland durch die Sanktionen entstanden ist.

Hillary Clinton, die frühere US-Außenministerin, wies zwar nach dem Abschuss von MH17 darauf hin, dass die russische Wirtschaft kaum diversifiziert ist. Zwischen den Zeilen sollte das heißen, dass Russland verwundbar ist, wenn die Europäer es schaffen, Alternativen zum sibirischen Gas zu finden.

Für ein Land, das gute Handelsbeziehungen mit China hat, ist es aber keineswegs eine Achillesferse, wenn es vor allem von Öl- und Gasverkäufen lebt. Denn China kann seinen Energiebedarf aus eigenen Mitteln nicht decken – selbst dann nicht, wenn es ihm gelänge, seine Schiefergasvorkommen voll zu nutzen.

Putin blickt nach Osten

In der Ukrainekrise ist China bislang der eigentliche Gewinner. Wladimir Putin blickt seither nach Osten, gerade erst hat er mit seinem chinesischen Gegenüber Xi Jinping einen Milliarden-Vertrag geschlossen, der für 30 Jahre russische Gaslieferungen vorsieht. Mit dem Bau der Pipeline wurde Anfang September begonnen. Schneller als die Europäer alternative Energielieferanten auftun, werden die Russen neue Kunden für ihr Öl und Gas finden.

Die westlichen Regierungen, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, sollten auf China zugehen. Und sie sollten versuchen, auch über diesen Weg den Druck auf Russland zu erhöhen. Selbst wenn China bei Sanktionen nicht mitmacht – Merkel sollte Peking doch bitten, nichts zu tun, was die Effektivität der westlichen Politik untergräbt.

Die chinesische Führung steht im UN-Sicherheitsrat zwar oft an der Seite Russlands. Sie hält aber auch nichts davon, wenn Staatsgrenzen und das Souveränitätsprinzip so infrage gestellt werden wie von Putin.

Seit den 90er-Jahren ist es das Hauptziel der chinesischen Russlandpolitik, die Öl- und Gasversorgung zu sichern. Peking scheut sich, Verantwortung zu übernehmen und sich in Fragen einzumischen, die seine Interessen nicht direkt berühren.

Aber das könnte auch an der übrigen Welt liegen: Warum sollte China Führung zeigen, so lange das niemand ernsthaft erwartet?

Heleen Mees gehört neben David McWilliams (Irland), Jim O'Neill (Großbritannien) und Michael Pettis (USA) zum Ökonomischen Quartett. Jeden Monat schreibt bei Capital einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.

Der Beitrag von Heleen Mees erschien zuerst in der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.

Neueste Artikel