Jetzt kommt er doch, der echte Lockdown. Ab Mittwoch müssen alle Geschäfte bis auf die des täglichen Bedarfs schließen, Schulen und Kitas sollen entweder ganz geschlossen oder die Präsenzpflicht ausgesetzt werden.
Als erstes klagten Vertreter des Einzelhandels. „Dass viele Händler jetzt mitten im Weihnachtsgeschäft, der umsatzstärksten Zeit des Jahres, zusperren müssen, trifft die Branche und die Innenstädte hart“, sagte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE am Sonntag. Verständlich, schließlich macht das Weihnachtsgeschäft einen großen Teil der Jahreseinnahmen aus. Der HDE erwartet für alle Händler, die nicht im Lebensmittelhandel tätig sind, einen Umsatzeinbruch von etwa 60 Prozent. Der Lockdown treffe bis zu 600.000 Beschäftigte im Innenstadthandel, bis zu 250.000 Jobs könnten verloren gehen, so der HDE.
Auch Restaurants und Hotels leiden unter dem ausbleibenden Weihnachtsgeschäft. Laut einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA sahen sich schon vor Verkündung des harten Lockdowns 70 Prozent der gastgewerblichen Betriebe in ihrer Existenz gefährdet.
Wirtschaftlicher Fehlstart?
Doch wie groß ist der wirtschaftliche Schaden durch die Maßnahmen für die gesamte Wirtschaft?Zum einen erheblich genug, dass er zu einer Delle im Aufschwung führt.„Ich erwarte, dass der Lockdown am Ende nicht nur bis zum 10. Januar verlängert wird, sondern einen Großteil des ersten Quartals betrifft. Deshalb dürfte das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal erneut etwas zurückgehen. Deutschland droht zum Jahresbeginn ein wirtschaftlicher Fehlstart”, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.
Andererseits wird der Lockdown für Deutschland vermutlich langfristig von Vorteil sein. Denn die meisten Branchen betrifft er nicht und für die gesamte Wirtschaft könnte er zu einer schnelleren Erholung führen.
Die meisten Branchen sind kaum betroffen
Das liegt vor allem daran, dass Angestellte im Homeoffice und in der Industrie nicht so leicht erkranken und weiter arbeiten können.Das ist viel wichtiger für die Wertschöpfung in Deutschland als der Einzelhandel. Dessen Anteil an der Bruttowertschöpfung lag im Jahr 2018 bei nur 3,5 Prozent, der von Handel, Verkehr und Gastgewerbe zusammen bei rund 16 Prozent. Auf dasproduzierende Gewerbehingegen entfallen 30 Prozent der Bruttowertschöpfung. Den Rest machen ebenfalls Wirtschaftssektoren aus, die nur indirekt von den Corona-Maßnahmen betroffen sind.
Schon als der „Lockdown Light“ in den Dezember hinein verlängert wurde, wies Torsten Schmidt vomRWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftforschung auf einen wichtigen Unterschied zum Lockdown im Frühjahr hin: „Damals gingen große Teile der Weltwirtschaft gleichzeitig in den Lockdown, so dass nicht nur die Inlandsnachfrage, sondern gleichzeitig auch die Nachfrage aus dem Ausland einbrach“, sagte der Ökonom. „Diesmal befinden sich große Teile der Weltwirtschaft – außerhalb Europas – weiterhin in der Erholungsphase.“ Davon profitieren Wirtschaftszweige wie der Maschinenbau, die von den unmittelbaren Maßnahmen in Deutschland weniger betroffen sind als von der gesamten Entwicklung der Weltkonjunktur.
Der Staat kann sich den Lockdown leisten
Natürlich bedeutet der Lockdown, dass auch auf den Staat zusätzliche Kosten zukommen. Ladenbesitzer, die nicht öffnen können, und Selbstständige werden von der Regierung mit Überbrückungshilfen, Arbeitnehmer mit Kurzarbeitergeld, unterstützt. Die Hilfen für November und Dezember haben ein Gesamtvolumen von rund 15 Mrd. Euro.
Auch wenn das teuer ist, Warnungen wie, „einen zweiten Lockdown können wir uns nicht leisten“, sind nicht zutreffend. Dank niedriger Zinsen auf Staatsschulden und Schützenhilfe der EZB könnteder deutsche Staat auch problemlos weiteres Geld aufnehmen. Die Frage ist eine andere:Was ist teurer, ein kurzer Lockdown oder eine langfristig lahmende Konjunktur mit vielen Infizierten?
Der Verzicht auf einen Lockdown könnte schließlich höhere Kosten zur Folge haben. Die Zahl der Infizierten steigt täglich stark an, zuletzt um mehr als 16.000. Über Weihnachten würden die Infiziertenzahlen ohne die Maßnahmen wohl weiter steigen, womit nicht nur die Krankenhäuser an ihre Grenzen stießen, nach Weihnachten könnten dann Menschen in vielen weiteren Branchen nicht arbeiten, Kinder nicht zur Schule gehen. Allein die Schulausfälle würden durch geringere erworbene Fähigkeiten der Kinder später Billionen kosten.
In Irland hat der strikte Lockdown geholfen
Andere Länder haben bereits gezeigt, was ein zeitlich begrenzter harter Lockdown bewirken kann. So ging Ende Oktober Irland angesichts immer weiter ansteigender Infektionszahlen in den Lockdown: Geschäfte wurden geschlossen, Treffen in Innenräumen verboten, Friseure und Fitnessstudios mussten schließen. Heute ist Irland das Land mit der geringsten Infektionsrate aller EU-Länder. Inzwischen wurden die Maßnahmen wieder gelockert. Das senkt auch die wirtschaftlichen Kosten gegenüber einem deutlich länger andauernden Lockdown light.
Schon bevor die Minister am Sonntag die neuen Maßnahmen verkündeten, haben zahlreiche Ökonomen daher einen harten Lockdown gefordert – auch zu Gunsten der Wirtschaft. „Das größte Risiko für die wirtschaftliche Erholung ist eine langanhaltende Infektionswelle, die noch mehr Unsicherheit für Unternehmen, Solo-Selbstständige und VerbraucherInnenmit sich bringt“, schrieb DIW-Präsident Fratzscher Ende November.
Der Lockdown ist eine Investition in die Zukunft
Ökonomisch kann man den Lockdown also als Investition in die Zukunft betrachten, zumal er zu einem Zeitpunkt kommt, an dem viele Arbeitnehmer Urlaub und Kinder Weihnachtsferien haben. „Der harte Lockdown über Weihnachten ist auch wirtschaftlich richtig, weil über Weihnachten viele Betriebe und die Schulen ohnehin zu sind. Er kann als Investition verstanden werden. Ohne ihn droht ab Mitte Januar ein noch härterer und längerer Lockdown.“, schriebder Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, auf Twitter.
https://twitter.com/FuestClemens/status/1338107281590935552
Der einzige Wehmutstropfen ist, dass man vielleicht noch früher hätte eingreifen können.
„Damals hieß es, einen weiteren Lockdown können wir uns nicht leisten – und jetzt ist er unausweichlich. Es ist verheerend, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich nicht schon im Oktober gegen die Ministerpräsidenten durchsetzen konnte“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher im Interview mit Watson. „Einige der Maßnahmen hätten wir schon vor Monaten planen und jetzt entsprechend umsetzen können, beispielsweise den digitalen Fernunterricht an Schulen organisieren. Es ist ein Armutszeugnis für Deutschland, dass das nicht geschehen ist“, sagte er.