Wackelt die Wärmewende? Jedenfalls ist einiges in Bewegung geraten, seitdem der Entwurf zum sogenannten Heizungsgesetz vom Wirtschafts- und Bauministerium veröffentlich wurde. Robert Habecks Staatssekretär Patrick Graichen, gewissermaßen Architekt der umstrittenen Gesetzesnovellierung, musste wegen Compliance-Verstößen seinen Posten im Wirtschaftsministerium räumen. Die konkrete Ausgestaltung der Pläne sorgt innerhalb der Ampel-Koalition weiterhin für ein öffentliches Hauen und Stechen, das sich in Wahlergebnissen und Meinungsumfragen zeigt. Und neben inhaltlichen Differenzen gibt es nun auch Zweifel am Zeitplan.
Bis zur Sommerpause soll die Änderung des Gebäudeenergiegesetz (GEG), die den Abschied von rein fossilen Heizungen in Häusern und Wohnungen bedeutet, beschlossen sein. So hatten es die Koalitionspartner von SPD, Grünen und FDP nach ihrem 30-stündigen Sitzungsmarathon Ende März vereinbart – und so will es Habeck nach wie vor verstanden wissen: „Mehrfach beschlossen“ sei das alles, betonte der Wirtschaftsminister, kurz nachdem er das Ausscheiden seines Staatssekretärs Graichens verkündet hatte. „Mir ist wichtig, dass wir den Einstieg in die erneuerbare Wärme jetzt hinbekommen.“ Soll wohl heißen: Aufschieben ist keine Option.
Doch ein rascher Beschluss scheint alles andere als ausgemacht. Die Kritiker des Projekts, allen voran der FDP, sehen offensichtlich ihre Chance, das umstrittene Vorhaben aufzuweichen oder gar zu vertagen. So verlangte Michael Kruse, Energiepolitiker der Liberalen, am Wochenende einen „neuen, realistischen Zeitplan“, auch, weil Habeck einen neuen Energiestaatssekretär finden müsse. Zuvor hatte sich schon FDP-Vize Wolfgang Kubicki skeptisch gegenüber einer „zügigen parlamentarischen Entscheidung“ gezeigt – angesichts der „Aufräumarbeiten“ in Habecks Ministerium, die „möglicherweise viel mehr Aufmerksamkeit des Ministers“ erfordern könnten.
Die FDP hat „rund 100 Fragen“ zum Gebäudeenergiegesetz
Mittlerweile hat Habeck zwar einen Nachfolger für den offenen Posten gefunden, wie zunächst die „Süddeutsche Zeitung“ am Montag berichtete, eine Verständigung ist dennoch nicht in Sicht. Allein: Seit der Einigung im Kabinett vor rund vier Wochen liegt das Heft des Handelns eigentlich nicht mehr im Wirtschaftsministerium, sondern bei den Bundestagsfraktionen. Und dort wird wortreich über die konkrete Ausgestaltung des GEG diskutiert.
Insbesondere die FDP-Fraktion hat Bedenken, sozusagen in dutzendfacher Ausführung: „Rund 100 Fragen“ habe man in der Angelegenheit an den Wirtschaftsminister, sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der eine Verabschiedung vor der Sommerpause „für ausgeschlossen“ hält. Ob sich Habeck dem Fragenkatalog schon widmen konnte, ist nicht überliefert. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich zeigte sich jedenfalls „genervt“ von der bremsenden Rolle des liberalen Koalitionspartners bei der Einbringung des Heizungsgesetzes in den Bundestag, wenngleich er im ARD-„Morgenmagazin“ wiederholt betonte, dass auch die SPD Veränderungen an dem Gesetz für nötig halte.
Was aus Sicht der Sozialdemokraten noch zu klären sei, buchstabierte Partei-Co-Chef Lars Klingbeil tags zuvor aus. Demnach werfen unter anderem die Fristen zum Heizungstausch, die soziale Förderung und der Mieterschutz noch Fragen auf, wie er am Sonntag im „Bericht aus Berlin“ (ARD) sagte. Aber: „Wir wollen als SPD, dass das Gesetz vor dem Sommer im Parlament verabschiedet wird“, sodass es zum 1. Januar 2024 in Kraft treten könne. Darauf drängen auch die Grünen, die beim Gesetzentwurf aber ebenso nachbessern wollen. Die Fraktion legte ein Konzept vor, das eine stärkere soziale Staffelung mit einer höheren staatlichen Förderung vorsieht – und prompt auf Kritik vom liberalen Koalitionspartner stieß.
Kurzum: Es gibt viel Diskussionsbedarf – und die Zeit wird knapp. Soll das Gesetz im Bundestag bis zur Sommerpause beschlossen sein, muss den Parlamentariern bis zum 7. Juli eine Einigung gelingen. Dann tritt auch der Bundesrat zum letzten Mal zusammen, danach erst wieder am 29. September.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht zwar nicht davon aus, dass „im Kern große Veränderungen“ an dem Gesetz vorgenommen werden, wie er Sonntag am Rande des G-7-Gipfeltreffens im japanischen Hiroshima zum ZDF sagte. Es sei allerdings „völlig in Ordnung zu gucken, sind alle Fragen beantwortet, sind alle Bedenken berücksichtigt.“ Auch der Kanzler geht offenkundig davon aus, dass am GEG noch geschraubt wird – und paraphrasierte den früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlasse, wie es die Bundesregierung eingebracht habe.
Das dürfte sich als vorauseilende Prophezeiung erweisen. Für Habeck wird sich zudem zeigen, wie belastbar die Verabredungen in der Koalition sind – oder eben nicht, sollte das GEG nicht bis zur Sommerpause das Parlament passieren. Die Grünen dürften derweil hoffen, dass die hitzige Debatte mit einem Beschluss abkühlt. Auch der Streit hatte bei der Bürgerschaftswahl in Bremen für Verluste gesorgt – und könnte möglicherweise einen Schatten auf die bevorstehenden Wahlen in Hessen und Bayern im Oktober vorauswerfen.
Der Beitrag ist zuerst auf stern.de erschienen