Der Konjunkturhimmel über Deutschland hellt sich etwas auf. Im ersten Quartal 2024 ist die deutsche Wirtschaft endlich mal wieder gewachsen – um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Auch die Stimmungsindikatoren signalisieren, dass es konjunkturell allmählich wieder besser wird. So ist der ifo-Geschäftsklimaindex im April zum dritten Mal in Folge gestiegen, was eine Trendwende bedeutet. Auch die Verbraucher blicken wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft. Das GfK Konsumklima hat sich im April weiter verbessert. Die Einkommenserwartungen steigen und damit steigt auch die Anschaffungsneigung, da die Inflation im April mit 2,2 Prozent (gegenüber Vorjahr) nicht mehr so stark an der Kaufkraft nagt.
Die positiven Meldungen sind hilfreich, um den negativen Nachrichtenfluss der vergangenen Monate zu durchbrechen. So kommt es zumindest nicht zum sich selbst verstärkenden Abwärtsstrudel. Dennoch bleiben die Herausforderungen für den Standort Deutschland gewaltig.
Trotz der konjunkturellen Lichtblicke ist die Entwicklung mager, wenn man sie in Perspektive setzt: Der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im ersten Quartal um 0,2 Prozent war ein Anstieg gegenüber einem sehr schwachen vierten Quartal 2023, das vom Statistischen Bundesamt von minus 0,3 auf minus 0,5 Prozent herunterrevidiert wurde. Gegenüber dem Vorjahresquartal (Q1/2023) steht immer noch ein Minus von 0,2 Prozent. Und der Vergleich mit der Vorpandemie-Zeit zeigt das tiefgreifende Standortproblem: Deutschland bewegt sich gerade wieder auf dem BIP-Niveau von Ende 2019, während die meisten anderen Länder der Eurozone heute ein höheres Wohlstandsniveau erreicht haben. Deutschland hinkt also hinterher.
Dieser Befund ist noch gravierender, wenn man die Zuwanderung nach Deutschland berücksichtigt. Im Jahr 2022 sind netto 1,46 Millionen Menschen zugewandert, 2023 noch einmal rund 650.000. In den vergangenen beiden Jahren ist die Bevölkerung in Deutschland also insgesamt um rund 2,1 Millionen Menschen gewachsen, die hier konsumieren und zum Teil auch arbeiten. Das lässt die BIP-Daten besser aussehen als sie tatsächlich sind. Der Bevölkerungszuwachs übertüncht die Wirtschaftsschwäche.
Ähnliche Ausgangslage wie 2006
Deutschland braucht also zusätzliche Impulse, um ein Wirtschaftswachstum zu erzielen, das diesen Namen wirklich verdient. Vor uns liegt ein Ereignis, das die Stimmung weiter aufhellen könnte: die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Erinnern wir uns zurück an das Jahr 2006. Deutschland hatte wirtschaftlich – ähnlich wie derzeit – einige quälend schwache Jahre hinter sich. Im Sommer 2006 sollten die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland stattfinden. Sportlich waren die Erwartungen an die deutsche Nationalmannschaft – wieder ähnlich wie heute – nicht besonders hoch.
Der Rest ist bekannt: Es folgte das „Sommermärchen 2006“ mit Bilderbuchwetter und einer unerwartet starken Leistung der deutschen Elf, die am Ende Platz drei belegte. Deutschland konnte mit dem Sommermärchen sein international angekratztes Image mächtig aufpolieren. Und das Jahr 2006 wurde das mit Abstand stärkste Konjunkturjahr seit Langem. Mit 3,8 Prozent BIP-Wachstum legte die deutsche Wirtschaft etwa so stark zu wie im gesamten Zeitraum 2001 bis 2005 zusammengenommen. Das Jahr der WM war also auch das Jahr der konjunkturellen Wende.
Bringt die Europameisterschaft in diesem Jahr nun auch den lang ersehnten Schub für die deutsche Wirtschaft? Schön wäre es. Doch die Antwort lautet leider: nein.
Nach der WM 2006 hatte sich lange Zeit der Mythos gehalten, die WM im eigenen Lande sei die Initialzündung für das wirtschaftliche Comeback Deutschlands gewesen. Gründe dafür ließen sich leicht aufzählen: die Investitionen in die Stadion-Infrastruktur, die tolle Stimmung, der Nachfrageschub durch die Fan-Feste, die Sonderkonjunktur für Sicherheitsdienste, Caterer, Hotels und Gaststätten. Die Liste ließe sich leicht fortsetzen. All das klingt plausibel. Und doch ist die Geschichte vom „Konjunkturmotor Fußball“ nicht mehr als ein Mythos.
Kaum gesamtwirtschaftliche Effekte
Die Gewinner von Fußball-Großereignissen finden sich auf einzelwirtschaftlicher oder sektoraler Ebene. Selbstverständlich profitieren Sicherheitsdienstleister, Bierbrauer, Sportartikelhersteller, Hotels und Gaststätten. Doch gesamtwirtschaftlich spielt all das keine nennenswerte Rolle. Erstens sind die Größenordnungen volkswirtschaftlich nicht bedeutend genug. Zweitens wird der Konsum oft nur umgeleitet. Wer im Stadion oder auf Fan-Festen ist, geht nicht gleichzeitig ins Kino, auf Konzerte oder andere Events. Der Konsum, der im Umfeld der Fußballspiele stattfindet, fehlt oft an anderer Stelle. So lässt sich rückblickend für das Jahr 2006 sagen, dass der Konjunkturaufschwung kaum etwas mit dem Sommermärchen zu tun hatte.
Doch warum ist die Konjunktur nach langer Durststrecke ausgerechnet im Jahr der Fußball-WM angesprungen? Die Erklärung ist einfach. Neben der ohnehin anstehenden zyklischen Erholung war es vor allem die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent zum 1. Januar 2007. Der dadurch zu erwartende Teuerungsschub führte dazu, dass Käufe auf das vierte Quartal 2006 vorgezogen wurden, um noch von dem geringen Mehrwertsteuersatz zu profitieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die konjunkturelle Entwicklung des WM-Jahres später rückblickend seziert und gezeigt, dass der private Verbrauch während der WM-Monate entgegen mancher Erwartungen nicht stark angestiegen ist. Vielmehr war beim privaten Verbrauch das vierte Quartal 2006 das stärkste Quartal – ganz klar zu begründen mit dem Mehrwertsteuereffekt.
Letztlich lief es in Deutschland ab 2006 wirtschaftlich auch wieder besser, weil die Reformen der „Agenda 2010“ allmählich zu wirken begannen. Und hier schließt sich der Kreis zur Gegenwart. Seit der Fußball-WM 2006 hat es in Deutschland keine großen wachstumsfreundlichen Reformen mehr gegeben. Lange Zeit haben wir von den Folgen der „Agenda 2010“ der Schröder-Regierung und von günstigen Umständen wie der langen Niedrigzinsphase profitiert.
Die Wirtschaftspolitik ist durch die günstige wirtschaftliche Situation träge geworden und hat teilweise die Agenda-Reformen sogar zurückgedreht. Und nun steht Deutschland im Jahr der Fußball Europameisterschaft wieder an einem Punkt, an dem es wachstumsfreundliche Reformen braucht. Planungssicherheit statt wirtschaftspolitische Sprunghaftigkeit, weniger Bürokratie, längere Lebensarbeitszeit, weniger statt mehr Subventionen – das ist es, was die Politik anpacken muss. Auf ein neues Sommermärchen darf sie jedenfalls nicht hoffen.