In der Kryptowelt legt Sam Bankman-Fried eine beachtliche Wandlung hin: Aus dem einstigen Superstar der Szene wird ein mutmaßlicher Betrüger. Auf Twitter kürzt er seinen Namen nur mit seinen Initialen ab: SBF. Lange Zeit stehen diese drei Buchstaben sinnbildlich für Erfolg. Mit 30 Jahren zählt Bankman-Fried schon zu den reichsten Menschen der Erde, sein Privatvermögen schätzte das „Forbes“-Magazin zwischenzeitlich auf mehr als 26 Mrd. US-Dollar. Er war ein Rockstar in der Branche, verzichtete auf Anzug und Krawatte, trat immer nur in T-Shirt und Shorts auf.
Das meiste Geld machte Bankman-Fried mit FTX, einer Handelsbörse für Kryptowährungen. Auf dieser Plattform konnten Menschen mit Bitcoins und Co. handeln. Die Firma hat er auf den Bahamas gegründet und leitete auch die Geschäfte aus dem Urlaubsparadies. Der Laden lief: NFL-Legende Tom Brady war Markenbotschafter, das Firmenlogo prangte auf Formel-1-Wagen. Vor knapp einem Jahr wurde das Unternehmen noch mit 32 Mrd. Dollar bewertet. Seine Ambitionen schienen grenzenlos: Der 30-Jährige soll zwischenzeitlich darüber nachgedacht haben, dass FTX sogar die Investmentbank Goldman Sachs schlucken könnte.
Doch es kam anders. Inzwischen lebt Bankman-Fried nicht mehr in dem Urlaubsparadies, sondern unter Arrest im Wohnhaus seiner wohlhabenden Eltern. Die beiden Elite-Professoren in Stanford bürgen für die 250 Millionen Dollar schwere Kaution. Die US-Behörden werfen ihm „Betrug epischen Ausmaßes“ und Geldwäsche vor, dafür stand er am gestrigen Dienstag erstmals vor Gericht. Zudem soll er mit millionenschweren Zuwendungen für US-Präsident Joe Biden gegen Gesetze zur Parteispende verstoßen haben. Er plädierte in allen Punkten auf nicht schuldig. Wenn es schlecht läuft, drohen Bankman-Fried bis zu 115 Jahre Haft.
Physik am MIT, erste Firma mit 25 Jahren
Und auch sonst sieht es nicht gut aus: Seine Kryptobörse FTX ist mittlerweile implodiert, Bankman-Frieds Privatvermögen schmolz Anfang November innerhalb weniger Tage um 15 Mrd. Dollar. Den rasanten Absturz hatte kurz vorher ein Gerücht ausgelöst. Der Chef der konkurrierenden Kryptobörse Binance weckte Zweifel daran, dass FTX noch liquide sei. Kunden forderten in Massen ihr Geld zurück und bekamen es nicht mehr. Danach folgte ein gescheiterter Rettungsversuch, die Kryptobörse beantragte am 11. November Gläubigerschutz.
Zum Problem wurde für die Kryptobörse ein anderes Unternehmen, das SBF vor Jahren gegründet hatte. Nach seinem Physik-Studium am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) begann er 2014 als Trader zu arbeiten, er beschäftigte sich vor allem mit ETFs. Dann, 2017, entdeckt er die Kryptowelt für sich. Bankman-Fried machte mit den Cyberwährungen das, was er auch mit den ETFs zuvor gemacht hatte: Er kaufte Bitcoins und verkaufte sie direkt in andere Märkte, vor allem nach Japan.
Was folgt, ist ein raketenafter Aufstieg. Ende 2017 machte er sich selbstständig und gründete bereits im Alter von 25 Jahren die Trading-Firma Alameda Research. Im Mai 2019 folgte dann die Kryptobörse FTX. Bankman-Fried nutzte sein altes Unternehmen, um das neue zu finanzieren. Und hat damit beides geschaffen: einen Krypto-Markplatz (FTX) und einen Krypto-Händler (Alameda Research).
Buchhaltung per Slack
Doch die alte Firma wird ihm zum Verhängnis. Insidern zufolge soll Bankman-Fried heimlich zehn Mrd. Dollar an FTX-Kundengeldern zu Alameda transferiert haben. Er selbst sprach im November 2022 gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters von einer falschen Interpretation seiner „verwirrenden internen Kennzeichnung“. Auch später konnte er nicht genau erklären, was mit dem Geld passiert ist.
Erst die noch laufende Aufarbeitung des FTX-Crashs bringt Erstaunliches zutage. Bei den Anhörungen vor dem US-Kongress ist der 30-Jährige selbst Mitte Dezember nicht anwesend, zu diesem Zeitpunkt saß er bereits auf den Bahamas in Haft. Der geschasste Gründer wird von John J Jay III vertreten, einem Anwalt, der auf schwierige Unternehmen spezialisiert ist. Der 63-Jährige gibt Einblick in ein chaotisches Unternehmen. Er habe noch nie gesehen, dass eine Firma auf jeder Ebene dermaßen versagt hätte. FTX sei von „einer kleinen Gruppe äußerst unerfahrener und ungebildeter Personen“ geleitet worden.
Zudem habe es einen von ihm noch nicht erlebten Mangel an Aufzeichnungen gegeben. Rechnungen und Ausgaben seien über Slack kommuniziert worden, ein Tool, das Unternehmen als Messengerdienst nutzen. Angestellte hätten die Buchhaltung des Milliardenkonzerns mit der Software Quickbooks erledigt. Das Programm ist eigentlich dafür gedacht, um den Überblick über die Bücher kleiner und mittlerer Unternehmen zu haben. „Nichts gegen Quickbooks, ein tolles Tool, aber eben nichts für ein milliardenschweres Unternehmen“, sagte John J Jay III.
„Ich hatte einen schlechten Monat“
Und SBF? Nach dem Krypto-Beben schwieg er, seine Anwälte hätten ihm dazu geraten. Doch nach und nach wagte er sich zurück in die Öffentlichkeit. Und trat ein wenig die Flucht nach vorne an. Wenn man seinen Worten Glauben schenken mag, sollen die Menschen die Wahrheit erfahren. Bei seinen Auftritten wirkt er hilflos und überfordert. Vielleicht aber will er genau diesen Eindruck erwecken.
Der „New York Times“ gab er Anfang Dezember sein erstes Interview nach der Pleite. Schon im Vorfeld ist es umstritten: Sollte man einem mutmaßlichen Kriminellen eine derart große Bühne bereiten? Schließlich haben Menschen ihr gesamtes Erspartes verloren. Für das Interview wird der 30-Jährige von den Bahamas zugeschaltet. Er sitzt in einem schlecht ausgeleuchteten Raum, hat tiefe Augenringe und erklärte: „Ich habe einen schlechten Monat gehabt.“ Er beteuerte, nicht gelogen zu haben. „Ich habe niemals versucht, jemanden zu betrügen.“ Immer wieder sprach er davon, den Überblick verloren zu haben.
Wenige Tage später erschien ein weiteres Gespräch im „Wall Street Journal“. Alexander Osipovich hat ihn auf den Bahamas besucht, erzählte der WSJ-Journalist in einem Podcast. Er schildert, unter welchen Umständen Bankman-Fried dort zuletzt gelebt habe. Demnach wohnte er in einer ehemaligen Mitarbeiterwohnung auf den Bahamas, angeblich sollen noch private Erinnerungsstücke seines Vormieters herumgelegen haben. In dem Gespräch wälzte der 30-Jährige die Verantwortung auf seine erste Firma Alameda ab – und übernimmt kaum Verantwortung. Er sagte, er hätte sich gewünscht, die Trennlinie zwischen beiden Unternehmen klarer zu ziehen. „Ich würde alles dafür geben.“
Es ist eine ähnliche Argumentation wie schon bei der NYT. Alameda gehörte zwar nach wie vor zu 90 Prozent ihm, die Leitung hat er aber an seine Ex-Freundin Caroline Ellison abgetreten. Deshalb sagte er in dem WSJ-Interview immer wieder, dass er nicht genau wusste, was dort abgelaufen ist. FTX sei für ihn mehr als ein Vollzeit-Job gewesen. Er habe das Gefühl gehabt, dass es unangemessen gewesen wäre, wenn er auch noch bei Alameda in die Einzelheiten involviert wäre. Am Ende sei er der Chef von FTX gewesen und er hätte eine Verantwortung für deren Kunden und Aktionäre gehabt. „Und offensichtlich habe ich damit keinen guten Job gemacht.“ Er windet sich, seine Überforderung klingt wie eine Ausrede.
Was alles schiefgelaufen ist, darüber wird am Ende ein Gericht urteilen. Der spektakuläre Prozess soll im Herbst beginnen. Schon jetzt zeichnet sich ein Problem für ihn ab. Zwei hochrangige FTX-Gründer plädierten selbst auf schuldig und hoffen, so mit einer milden Strafe davonzukommen. Eine könnte ihm besonders gefährlich werden: seine Ex-Freundin und Alameda-Chefin Ellison. Sie sagte bereits öffentlich, dass sie gewusst habe, was sie getan hat. Und dass es ihr leidtue.
Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen.