Seinem großen Wunsch, noch einmal Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden, ist Friedrich Merz in dieser Woche ein gutes Stück nähergekommen. Nicht so sehr wegen der knapp 90 Prozent, mit denen er auf dem Parteitag in Berlin erneut zum Vorsitzenden der CDU gewählt wurde. Sondern weil er – zumindest in dieser wichtigen Woche – das einlöste, was der „Spiegel“ in einer bemerkenswerten Titelgeschichte im Vorfeld des Parteitags noch als Frage aufgeworfen hatte: „Wird Merz seine Dämonen bändigen können?“
Merz’ Dämonen sind seine Impulsivität und sein bisweilen ungezügelter Zorn, den schon viele in und außerhalb seiner Partei abbekommen haben. Selbst überzeugte Anhänger preisen die Vorzüge ihres Favoriten, Merz sei doch unzweifelhaft der beste Kanzlerkandidat der Union, deshalb vorsichtshalber stets mit der kleinen Stoßseufzer-Einschränkung: „Wenn er keine Fehler macht.“ Denn meist unterliefen Merz in der Vergangenheit Fehler, weil er meinte, möglichst schnell reagieren und seinem erstbesten Impuls nachgeben zu müssen. Diese Unverstelltheit macht ihn authentisch, für manche auch gerade sympathisch, aber im Kampf um das wichtigste Amt im Staat kann sie eine schwere Last sein.
Merz widerlegt seine Kritiker
Insofern waren sein Auftritt und seine Rede vor den 1001 Delegierten der CDU in dieser Woche eine große Beruhigung. Eingefleischte Merz-Fans dürften die Rede als Enttäuschung empfunden haben, weil sie auf jede Polemik und Provokation der politischen Gegner verzichtete – doch dafür zeigte sie eine bisher weitgehend unbekannte Fähigkeit am CDU-Chef: sich zurückhalten zu können. Manch Beobachter hielt die Rede bereits für eine Kopie Merkels (was sie inhaltlich nicht war, im Gegenteil). Doch der Effekt war unbestreitbar: Merz’ Gegner und Skeptiker in den eigenen Reihen, die bisher stets auf seine größte Schwäche vertrauen konnten, hatten anschließend wenig zu meckern und zu lästern.
Formal führt an Merz als Kanzlerkandidat der Union wenig vorbei. Die Europawahl Anfang Juni und mehr noch die drei Landtagswahlen im September müssen schon in einem Fiasko für die Union enden, um Merz noch einmal ernsthaft infrage zu stellen. Nach den aktuellen Umfragen können alle drei Wahlen zwar zu einem Scherbengericht für die etablierten Parteien werden, aber wohl kaum allein für die CDU und ihre jeweiligen Spitzenkandidaten. Und noch sind dreieinhalb Monate Zeit, um dagegen anzukämpfen. Spannend wird die Lage in Thüringen (und womöglich auch in Sachsen, für das aber noch keine aktuellen Zahlen gibt): Hier könnte sich die CDU entscheiden müssen, ob sie gegen die womöglich stärkere AfD ein Regierungsbündnis schmiedet – entweder mit der Linkspartei oder dem BSW, der neuen Partei von Sarah Wagenknecht.
Doch jenseits dessen ist Merz der unangefochtene Chef der Unionsparteien, sein CSU-Pendant Markus Söder ist auf das Maß eines Landespolitikers zurückgeschrumpft. Söder hatte seine Chance 2021, er hat sie verpasst und selbst seine größten Anhänger in der CDU mit dem damaligen Hickhack so nachhaltig verprellt, dass er heute selbst dann wohl keine Chance mehr hätte, wenn ihm Friedrich Merz die Kanzlerkandidatur antragen würde.
Kann Wüst Merz gefährlich werden?
Bleibt als möglicher interner Rivale noch Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der seine Ambitionen bestenfalls halbherzig versteckt. In vielerlei Hinsicht tritt Wüst immer wieder als Anti-Merz auf: Seine stets umsichtige Freundlichkeit und Lockerheit, seine Jugendlichkeit, und seine demonstrative Achtsamkeit gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen, um ja niemanden durch allzu harte Ansagen zu vergrätzen. Zusammen mit den Grünen regiert Wüst sein Bundesland sehr routiniert und geräuschlos – für Merz-Anhänger zu geräuschlos. Dem kann Wüst jedoch entgegenhalten: Immerhin regiert er überhaupt schon mal und hat auch schon eine richtige Wahl gewonnen. Beides kann Merz von sich so nicht behaupten.
Wüst ist tatsächlich eine spannende Alternative zu Merz, weil er so offensichtlich bereits eine Regierungsoption für die Union nach einer Bundestagswahl mitbringt: Schwarz-Grün. Dass viele in der CDU und auch Söder diese Option in dieser Woche am liebsten komplett verbannt hätten, muss nicht groß stören. Sollte die Union nach der nächsten Wahl stärkste Kraft im Bund sein, wonach es nun mal sehr stark aussieht, hat sie nur zwei realistische Koalitionsoptionen: mit den Grünen oder mit der SPD. Und ob sich die SPD noch einmal in eine Große Koalition zwingen lassen wird, ist offen. Blieben nur die Grünen, das weiß auch Merz. Verbannen hat also wenig Sinn. Deshalb eben sein neuerdings moderaterer Auftritt – nach der vollzogenen Abgrenzung zur Ära Merkel nun eben der weichgespülte Merz.
Diese Verwandlung des Friedrich Merz mag erwartbar sein, sie ist aber auch zwingend, wenn er wirklich Kanzlerkandidat der Union werden will. Und sie ist klug, wenn er seine Chancen für die kommende Wahl wahren will.