Die deutschen Reiseveranstalter sind sauer über das absehbare Chaos im Luftverkehr. Flugstreichungen, Verspätungen und Umbuchungen seien fahrlässigem Missmanagement geschuldet, sagten mehrere hochranginge Branchenvertreter dem Wirtschaftsmagazin Capital. Man stehe vor einer Situation, „die wir so noch nicht gesehen haben“, sagt Dirk Inger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Reiseverbands (DRV). Fluggesellschaften und Flughäfen klagen über zu wenig Personal und haben angekündigt, tausende Flüge im Sommer zu streichen. Dagegen beharrt etwa Ralph Schiller, Chef des drittgrößten deutschen Reiseveranstalters FTI, darauf, dass die „zum Verkauf bereitgestellten Flüge auch bedient und abgewickelt werden“. Darüber hinaus sollten die Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften „alles dafür tun, die Probleme für An- und Abreisende schnellstmöglich zu beheben“.
Die Lage, auf die die Branche im Sommer zusteuert, könnte brenzliger kaum sein: Nach der Corona-Pause hatten sich Millionen Deutsche auf die erste größere Urlaubsreise gefreut, die Buchungen zogen deutlich an. Reiseveranstalter und Airlines waren zuversichtlich, 2022 wieder wenigstens 70 Prozent der Flugpassagiere des Vor-Corona-Jahres 2019 zu befördern – damals zählten man 250 Millionen Fluggäste. Um sich neues Geschäft zu erschließen, hatte ausgerechnet Branchenprimus Lufthansa sogar angekündigt, die Touristikflüge auszuweiten – zumal sich der Geschäftsreiseverkehr nicht so schnell erholt.
Welche Strecken werden gestrichen?
Doch nun fehlt Personal am Boden und in der Luft. Fluggesellschaften wie Lufthansa, Eurowings und Easyjet haben deshalb kurzfristig tausende Flüge für die kommenden Wochen gestrichen. „Aber es ist noch nicht klar, welche Strecken konkret betroffen sein werden“, beklagt DRV-Mann Inger, Veranstalter und Reisebüros gerieten so erneut „in Bedrängnis“.
Sie rätseln, genau wie ihre Kunden: Werden innerdeutsche Strecken wie die von Hamburg nach Frankfurt annulliert, so fällt das für Urlauber in der Regel weniger ins Gewicht. Wird die Verbindung von München nach Mallorca gestrichen, kann das nicht durch eine Bahnfahrt ersetzt werden. „Jeglicher Flugausfall sorgt für Stress und mehr Aufwand auf allen Seiten – bei den Reisenden aber auch bei den Reiseveranstaltern und den Reisebüros. Das ist kein gutes Signal für den Sommer“, so Inger.
Wer zahlt den Mehraufwand?
Hinter den Kulissen laufen die Verhandlungen zwischen Reiseveranstaltern und Fluggesellschaften auf Hochtouren: welche Verbindungen bleiben bestehen, welche Kunden werden auf welche Maschinen umgebucht und wer kommt für Mehraufwand und Entschädigungen auf? Darüber müsse offen gesprochen werden, fordert Inger.
Ingo Burmester, Zentraleuropa-Chef des zweitgrößten deutschen Reiseveranstalters DER Touristik, geht davon aus, dass seine Kunden weniger stark von den angekündigten Flugstreichungen betroffen sein werden. „Wir fliegen mehr als 80 Prozent unserer Gäste mit Charterfluggesellschaften wie Condor, deren Maschinen im Durchschnitt zu mehr als 90 Prozent ausgelastet sind und so nicht sinnvoll aus dem Flugplan genommen werden können.“ Das sei viel eher ein Thema der Linienflüge, bei denen nun einige weniger gut ausgelastete Flüge zusammengelegt werden, um dem kritischen Personalbedarf zu begegnen, aber auch um Kosten zu reduzieren.
Die Personalnot am Flughafen wiederum werde sich nach Einschätzung Burmesters im Laufe der Sommersaison stabilisieren, da nach und nach mehr Personal nachgeschult werde. Er werde dafür sorgen, dass die eigenen Kunden bei An- und Abreise besser durch die Flughäfen gelotst werden. „Dafür haben wir unser Servicepersonal intern und extern massiv aufgestockt und für telefonische Beratungen geschult“, so Burmester.
Marktführer Tui wird in der Hauptreisezeit zusätzlich zwei Reservemaschinen bereitstellen. „Wir streichen keine Flüge. Wir haben unsere 22 Flugzeuge voll im Einsatz und sichern uns zusätzlich ab indem wir in der Hauptreisezeit zusätzlich zum fest geplanten Ersatzflugzeug zwei Reservemaschinen bereitstellen werden. Die setzen wir ein, um unsere Kunden bei Chaos und Verspätungen an ihr Ziel zu bringen“, sagte Tui-Manager Stefan Baumert.
Die Tui fliegt rund die Hälfte Ihrer Kunden in Deutschland mit der eigenen Fluggesellschaft Tui Fly. Darüber hinaus werden auch Plätze bei anderen Anbietern wie Eurowings, Lufthansa und Easyjet gebucht. Im Juni sind davon nach Schätzungen von Experten weniger als 1.000 von insgesamt über 500.000 Tui-Gästen betroffen.