Solarpanels, E-Autos, Windkraftanlagen, Billigkleidung und Plastikramsch beim Onlineversender Temu – wohin man in diesen Wochen auch blickt, überall steigt die Flut von chinesischen Waren. Weil das Wirtschaftswachstum sinkt, die schwere Immobilienkrise auf die Gemüter drückt und die Konsumlust in China immer weiter fällt, sehen die dortigen Industriekonzerne nur noch einen Ausweg: Sie schlagen ihre Produkte um jeden Preis im Ausland los. Und exportieren damit ihre Probleme vor allem nach Europa.
Viele chinesische Hersteller sitzen auf gewaltigen Überkapazitäten. Auf dem chinesischen Binnenmarkt tobt bereits ein harter Preiskampf. Im Ausland bieten sie ihre Waren zu Dumpingpreisen an, um überhaupt noch ihre Fabriken auszulasten. Jörg Wuttke, der langjährige Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking und wohl beste deutsche Kenner der chinesischen Wirtschaft, bringt es auf einen treffenden Begriff: „China produziert, aber ohne Profit.“ Sein bestes Beispiel: Die chinesische Industrie verfüge über so große Produktionskapazitäten für die Herstellung von Solarpanels, um die ganze Nachfrage auf der Welt mindestens 2,5-mal zu befriedigen. Die Hersteller sind deshalb entschlossen, alle ihre Konkurrenten aus anderen Ländern vom Markt zu drängen.
Die große Warenschwemme aus China dürfte zu schweren zusätzlichen Konflikten mit der EU führen. Die Forderung nach Anti-Dumping-Verfahren wird in Europa immer lauter. Und immer mehr Branchen schließen sich den Klagen an. Umgekehrt droht China mit harten Gegenschlägen, sollte es zu Importbeschränkungen in der EU kommen. Die Dummen wären dann zum Beispiel die deutschen Autohersteller, die auf den chinesischen Absatzmarkt angewiesen sind.
Es droht eine Eiszeit
Die chinesische Exportflut vergiftet das Verhandlungsklima mit der Brüsseler EU-Kommission weiter, das ohnehin durch viele Konfliktherde schwer belastet wird. Die Debatte über eine Entkopplung, die Beschränkung von High-Tech-Exporten und Investitionen, die wachsenden Klagen über Menschenrechtsverletzungen zum Beispiel in der Zwangsarbeiterprovinz Xinjiang – das alles verdichtet sich aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas zu einer einzigen Verschwörung gegen ihr Land. Umgekehrt reagieren die meisten EU-Länder immer empfindlicher auf die aggressive Rhetorik der chinesischen Führung, das immer lautere Säbelrasseln gegenüber Taiwan und die immer offenere Unterstützung Russlands im Krieg gegen die Ukraine.
Jedes Kind kennt in China die Parole des kommunistischen Staatsgründers Mao Zedong: „Aus einem Funken kann ein Steppenbrand entstehen.“ Sie war zwar anders gemeint, beschreibt die jetzige Lage aber trotzdem treffend: Ein weiterer relativ kleiner Streit könnte ausreichen, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China in die Eiszeit zu versetzen. Auf wirtschaftliche Vernunft in Peking kann Europa nur sehr bedingt setzen. Unter dem Alleinherrscher Xi Jinping genießt die Stabilität des kommunistischen Regimes absolute Priorität. Und auch die Exportflut nach Europa sieht man deshalb in Peking vor allem als Ventil, um die wachsende Unzufriedenheit der Chinesen über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zaum zu halten und damit zu verhindern, dass sich politischer Widerstand entwickelt.