Evergrande „Momentan scheint die staatliche Rettung des Konzerns nicht vorgesehen“

Für den strauchelnden Immobilienkonzern Evergrande ist die Krise noch nicht ausgestanden
Für den strauchelnden Immobilienkonzern Evergrande ist die Krise noch nicht ausgestanden
© ASSOCIATED PRESS | Miyuki Yoshioka / Picture Alliance
Die Lage um den angeschlagenen Immobilienriesen Evergrande spitzt sich zu. Der Handel mit den Aktien des Konzerns wurde ausgesetzt, weil offenbar ein Anteilsverkauf bevorsteht. Was im Insolvenzfall passieren würde, erklärt Fachanwältin Elske Fehl-Weileder

Welche Indikatoren sprechen aktuell für eine Insolvenz bei Evergrande?

Elske Fehl-Weileder ist Fachanwältin für Insolvenzrecht in der Kanzlei Schultze & Braun (Foto: Schultze & Braun)
Elske Fehl-Weileder ist Fachanwältin für Insolvenzrecht in der Kanzlei Schultze & Braun (Foto: Schultze & Braun)
© Schultze Braun

ELSKE FEHL-WEILEDER: Stellt man die Summe von 300 Mrd. Dollar Schulden dem Immobilienvermögen gegenüber, das mit etwa 60 Mrd. Dollar zu bewerten ist, dann scheint ein Insolvenzgrund vorzuliegen. Das ist auch nach chinesischem Recht so.

Ist denn davon auszugehen, dass die chinesische Regierung den Konzern noch vor der Pleite rettet?

Meiner Einschätzung nach ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die chinesische Zentralregierung oder lokale Behörden einspringen werden – zumindest nicht an der Stelle – um den gesamten Konzern zu retten. Ich kann mir eher vorstellen, dass mögliche Übernehmer bestimmter Teile des Konzerns oder der Finanzsektor unterstützt werden. Momentan scheint aber alles eher darauf hinzudeuten, dass die staatliche Rettung des Gesamtkonzerns nicht vorgesehen ist.

Wie würde die Insolvenz, wenn sie eintritt, denn ablaufen?

Nach chinesischem Recht gibt es keine Insolvenzantragspflicht. Das ist ein sehr großer und entscheidender Unterschied zu Deutschland. Hierzulande müssen Unternehmen unverzüglich einen Antrag auf Insolvenz stellen, wenn entsprechende Gründe vorliegen. In China müssen Unternehmen das nicht – auch nicht nach einer längeren Zeit. Die einzige Ausnahme: Wenn bereits ein Liquidator bestellt ist, hat er die Pflicht, die Insolvenz anzumelden.

Das heißt, wenn Evergrande keinen Antrag stellt, gibt es auch kein Insolvenzverfahren?

Selbst wenn das Unternehmen beschließt, seinen Betrieb so nicht fortführen zu können, muss es nicht zwingend ein gerichtliches Insolvenzverfahren geben. Allerdings können Gläubiger einen sogenannten Fremdantrag auf ein Insolvenzverfahren stellen, wenn sie fällige Forderungen nachweisen können. Dann muss ein Gericht prüfen und entscheiden, ob es diesen Antrag annimmt und bearbeitet.

Würde es für Evergrande denn einen Unterschied machen, wer den Antrag stellt?

Tatsächlich gibt es keinen so großen Unterschied zwischen einem Eigenantrag und einem Fremdantrag. Wenn ein Fremdantrag gestellt wird, muss das Gericht zunächst aber dem Schuldner Gelegenheit geben, Stellung zu nehmen. Evergrande hätte dann die Chance nachzuweisen, dass es nicht insolvenzreif ist – auch wenn es in dem Fall unwahrscheinlich ist, dass dieser Nachweis gelingen könnte.

Wie geht es dann weiter?

Im chinesischen Insolvenzrecht gibt es drei Verfahrensarten. Dazu gehört die Liquidation, bei der das Unternehmen als Ganzes oder in Teilen verkauft wird und der Betrieb nicht fortgeführt wird. Dann gibt es das sogenannte Vergleichsverfahren, bei dem sich das Unternehmen mit den ungesicherten Gläubigern einigt – das ist in dem Fall aber eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist hier ein sogenanntes Reorganisations- oder Sanierungsverfahren, so wie man sie im deutschen Insolvenzrecht als Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren mit Insolvenzplan kennt. Das dürfte auch Evergrande anstreben.

Warum?

Weil Evergrande so auf Antrag selbst am Ruder bleiben und den Geschäftsbetrieb fortführen kann. Gleichzeitig ist das Unternehmen aber dazu verpflichtet, einen Insolvenzplan aufzustellen, wie es mit dem Unternehmen künftig weitergeht. Der Insolvenzverwalter überwacht das Verfahren dann. Auch für Gläubiger kann dieses Verfahren von Interesse sein, weil grundsätzlich ja ein lebendes Unternehmen höhere Verwertungserlöse verspricht als dessen Zerschlagung.

Stichwort Gläubiger. Von einer Insolvenz von Evergrande wären mehrere betroffen. Wer kann denn Forderungen an den Konzern stellen?

Auch das ist in China tatsächlich gar nicht so viel anders als in Deutschland geregelt. Vor den Gläubigern muss aber gesichert sein, dass die Verfahrenskosten gedeckt sind. Diese Kosten haben Vorrang vor anderen Forderungen. Gleiches gilt für sogenannte Masseschulden, also Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter im Laufe des Verfahrens begründet hat, zum Beispiel, weil er Verwerter oder Steuerberater beauftragt.

Wie geht die Reihenfolge an Gläubigern dann weiter?

Vorrang haben die Gläubiger, die Sicherheiten haben. Wer das bei Evergrande genau ist, ist bisher noch unklar. In Deutschland wären das zum Beispiel in einem ähnlich gelagerten Fall die Banken. Diese Sicherungsrechte bevorrechtigen aber nur in Höhe des für das Sicherungsgut erzielten Verwertungserlöses. Hätten die Banken also zum Beispiel Sicherungsrechte an den Evergrande-Immobilien in Form von Hypotheken, dann würden ihre Forderungen aus dem Veräußerungserlös der Immobilien vor denen der anderen Gläubiger bedient.

Was gilt denn für die übrigen Gläubiger?

An erster Rangstelle werden offene Lohnforderungen und Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer bedient – ein Privileg im chinesischen Insolvenzrecht, das das deutsche Recht nicht kennt. Was danach von dem Erlös überbleibt – in der Regel nichts oder jedenfalls nicht viel – würde in die Insolvenzmasse fließen, die dann auch an die übrigen Gläubiger ausgeschüttet wird. Darunter wären Banken ohne Sicherungsrechte, Zulieferer und Auftragnehmer, vermutlich auch die Immobilienkäufer, sofern sie nicht schon ein gesichertes Eigentum an der Immobilie haben, und Gläubiger von Anleihen und Darlehen. Alle diese Gläubiger erhalten dabei denselben Anteil.

Reicht die Insolvenzmasse angesichts dieser Menge denn überhaupt aus, um alle zu bedienen? Beobachter äußerten die Befürchtung, dass es unter Wohnungskäufern und Arbeitnehmern zu sozialen Unruhen kommen könnte.

Zwar ist noch nicht klar, wie hoch der Anteil bei Evergrande sein wird, aber in Deutschland ist die ausgezahlte Quote meist im einstelligen Bereich zwischen drei und fünf Prozent. Was an die Gläubiger ausgeschüttet wird, steht eben auch erst am Ende des Verfahrens fest – und das dauert üblicherweise Jahre. Wenn es also keine abweichende Lösung für Wohnungskäufer und Arbeitnehmer gibt, dann ist die Sorge vor Unruhen vielleicht nicht ganz unberechtigt.

Könnte Evergrande im Falle einer Pleite denn Verschärfungen im Insolvenzrecht nach sich ziehen oder ist der Konzern eher ein schwerwiegender Einzelfall?

Bei Evergrande gibt es natürlich die Besonderheit dieser vielen Immobilienkäufer, die schon Vorkasse für Wohnungen geleistet haben, die es noch gar nicht gibt. Das ist auch eine Besonderheit für China, weil Wohneigentum dort einen so hohen Stellenwert hat – auch mangels Investitionsalternativen. Dieser Kontext erschwert einen Vergleich. Allerdings dürfte Evergrande nicht unbedingt ein Ausnahmefall sein, denn die angesprochenen Implikationen im Hinblick auf Arbeitsplätze gibt es eigentlich immer.

Wäre es also möglich, dass man beispielsweise eine Insolvenzantragspflicht einführt?

Das erwarte ich nicht, auch Auslegungen des Obersten Volksgerichts in China lassen nicht vermuten, dass es dahingehend Tendenzen gibt. Wenn sich eine strengere Handhabung in der Praxis herausbildet, dann dürfte das auf anderen Wegen geschehen. Schon jetzt gibt es die Möglichkeit, gerade im Bereich Grundbesitz, außerhalb des Insolvenzverfahrens zwangsweise staatliche Aufseher einzusetzen, die dann sozusagen die Geschäfte übernehmen. Hier wäre eine strengere Handhabe von Seiten der Behörden denkbar.

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