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Porträt Eventim: Von der Musik zur Maut

Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg vor dem Eventim Apollo in London: Das Unternehmen dominiert den Veranstaltungsmarkt in Europa
Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg vor dem Eventim Apollo in London: Das Unternehmen dominiert den Veranstaltungsmarkt in Europa
© Muir Vidler
Für sein erstes Konzert holte Klaus-Peter Schulenberg die Rolling Stones nach Bremen. Inzwischen dominiert er mit CTS Eventim Europas Entertainmentmarkt. Der jüngste Coup des Milliardärs: Für den Bund übernimmt er den Betrieb der neuen Pkw-Maut

Das frühere Kino Gaumont Palace im Londoner Stadtteil Hammersmith ist ein ehrwürdiger Ort der Musikgeschichte. Holzvertäfelte Decken im Art-déco-Stil, Kristallleuchter an den Wänden, in der Mitte vor der Bühne eine denkmalgeschützte Compton-Orgel aus den 30er-Jahren mit 1200 Pfeifen. Fast alle Musiklegenden haben hier über die Zeit gespielt: die Beatles gleich 60 Mal, Queen, die Dire Straits, Frank Zappa, Motörhead, Bruce Springsteen und Sting, später Adele und Ed Sheeran. Einige von ihnen benannten ihre Livealben nach dem Saal, der als Hammersmith Odeon weltberühmt wurde.

Auch Klaus-Peter Schulenberg packt das Flair dieses Ortes noch immer. „Dafür schlägt mein Herz“, sagt der Chef des Ticketriesen CTS Eventim, als er an einem Nachmittag Ende November durch den leeren Saal mit seinen 3300 gepolsterten Klappsitzen läuft. 2012 übernahm sein Unternehmen die legendäre Arena, die heute Eventim Apollo heißt. Wenn Schulenberg zu Besuch ist, denkt er aber nicht nur an all die Weltstars, die hier aufgetreten sind, sondern auch ans Geschäft. „Können wir nicht Sonntagsmorgens Matinées machen?“, fragt er den örtlichen Manager, als er mit ihm in dem leeren Saal zusammensteht. „Mit Stummfilm und Orgel. Das läuft doch bestimmt.“

Wenige Unternehmer können von sich behaupten, ihre Branche so revolutioniert zu haben wie der ehemalige Musikmanager Schulenberg. Aus einer Firma mit 6,5 Mio. D-Mark Umsatz hat er mit mehr als 30 Übernahmen ein Milliardenimperium gemacht, das heute den Ticketmarkt für Konzerte und Sportveranstaltungen in Europa beherrscht. Rund eine Viertelmilliarde Karten hat Eventim 2017 über seine Websites und Ticketsysteme verkauft. In Deutschland ist Schulenberg fast Monopolist.

Zusätzlich gibt Eventim auch in anderen Ecken des Entertainmenmarkts den Ton an. Mit bis zu 8000 Shows pro Jahr ist das börsennotierte Unternehmen Europas größter Konzertausrichter. Auch als Betreiber von Veranstaltungsorten wie der Kölner Lanxess Arena, der Waldbühne in Berlin und des Londoner Eventim Apollo sowie als Veranstalter von Festivals wie Rock am Ring profitiert es vom Boom des Livegeschäfts. Wegen seiner Marktmacht, an der kaum ein Künstler oder Fan vorbeikommt, nennen Kritiker Eventim einen „Türsteher der Musikindustrie“. Seit einigen Jahren befindet sich das Unternehmen deshalb auch im Visier des Bundeskartellamts.

Und nun folgt Schulenbergs nächster Coup. Ende Dezember erhielt der 67-jährige Bremer, der mit seinen seitengescheitelten weißen Haaren und der runden Brille eher nach Diplomat aussieht als nach einem der mächtigsten Strippenzieher einer Glamourindustrie, vom Bund den Zuschlag für den Betrieb der neuen Pkw-Maut auf Deutschlands Autobahnen und Bundesstraßen. Zusammen mit einem österreichischen Partner soll Eventim für Fahrer aus dem In- und Ausland die Mautabrechnung und den Vertrieb der Mauttickets übernehmen – ein Milliardenauftrag und Großprojekt wie einst das Lkw-System des Toll-Collect-Konsortiums, nur möglichst ohne dessen Pannen.

400.000 Tickets innerhalb weniger Minuten

Im Eventim Apollo sitzt Schulenberg nun in einer kleinen Lounge mit Bar und Besprechungstisch. Der Eventim-Chef, der über seine Stiftung noch 46 Prozent des MDax-Unternehmens mit einem Umsatz von 1 Mrd. Euro im Jahr 2017 kontrolliert, ist ein ruhiger Hanseat, der die Show lieber den Stars überlässt und auch nur selten Interviews gibt. Bis vor eineinhalb Jahren hatte Eventim nicht einmal einen eigenen Sprecher – selten für ein gelistetes Unternehmen mit rund 3000 Mitarbeitern.

An der Wand hinter Schulenberg hängen signierte Tourplakate, darunter eins von Ed Sheeran aus dem Jahr 2012, als der Musiker noch kaum bekannt war und für seine Auftritte keine Millionensumme verlangen konnte. Derzeit, sagt Schulenberg, sei Sheeran der Live-Künstler, der weltweit am besten verkaufe. Für seine vier Deutschland-Konzerte 2019, die Eventims Tochter FKP Scorpio veranstaltet, setzte das Unternehmen innerhalb weniger Minuten fast 400.000 Karten ab – mit Preisen von bis zu 100 Euro. „Sheeran könnte sicher auch das Doppelte oder mehr nehmen“, sagt Schulenberg.

Nicht viele in der Branche verfügen über so detaillierte Informationen über Verkaufszahlen und das Konsumverhalten der Fans wie der Eventim-Chef und sein Unternehmen. Für Zehntausende Veranstaltungen bis zurück ins Jahr 2000 können Schulenbergs Experten aus der Abteilung Information Science zurückverfolgen, welcher Künstler wann wie viele Tickets in welchen Regionen verkauft hat. Dadurch wissen sie etwa, dass die Käufer von Tickets für Fußballspiele und Hardrock-Konzerte häufig auch bei Musicalkarten zugreifen – vermutlich als Geschenk für die Frau. Für die Planung und die gezielte Vermarktung von Events aller Art sind das unbezahlbare Daten.

Der Weg ins Musikgeschäft beginnt für Schulenberg früh. Als Schüler spielt er Gitarre und Orgel in einer Band namens Free – einer Combo mit wenig Talent, aber vielen Auftritten, die Schulenberg mit viel Herumtelefonieren organisiert. Schon bald übernimmt er diesen Job auch für andere Bands – sein Einstieg ins Skalengeschäft, wie er heute mit feiner Selbstironie sagt. 1971 nimmt er seinen ersten Künstler unter Vertrag: Schlagersänger Bernd Clüver, der später mit seiner Single „Der Junge mit der Mundharmonika“ einen Nummer-eins-Hit landet. Damals ist Schulenberg 19 Jahre alt.

Eigentlich will Schulenberg Wirtschaftsanwalt werden, doch er schmeißt sein Studium und gründet eine Konzertagentur. Für sein erstes Event holt er 1976 gleich die Rolling Stones nach Bremen. Die Rocker lassen sich in ihren Vertrag schreiben, dass die Versorgung mit Jack Daniel’s selbst auf dem Klo gewährleistet sein müsse – was offenbar zu ihrer vollsten Zufriedenheit funktioniert: Bis heute veranstaltet Schulenbergs Konzern einen Teil der Stones-Tourneen in Deutschland und Europa.

Schon früh stellt Schulenberg sein Geschäft auf eine breite Basis. Mit seiner KPS-Gruppe kauft er sich bei Zeitungen, lokalen Anzeigenblättern und Radiostationen ein. Nebenbei betreibt er eine Ticketvorverkaufsstelle – im Karstadt seiner Heimatstadt. Dann hört er in den frühen 90er-Jahren bei einem Medienkongress in den USA einen Vortrag über das Internet – und ist sich fortan sicher, dass die Zukunft des Ticketgeschäfts für Konzerte, Sportevents und andere Freizeitaktivitäten online ist. „Mir war klar, dass der Erwerb einer Eintrittskarte in einer Vorverkaufsstelle kein Einkaufserlebnis ist“, sagt Schulenberg. „Ich wusste ja selbst ein bisschen Bescheid, wie es in diesen Stellen läuft.“

Seit mehr als 40 Jahren mischt Klaus-Peter Schulenberg im Musikgeschäft mit. Wenn er in London ist, trifft er sich mit den Managern der Stars (Foto: Muir Vidler)
Seit mehr als 40 Jahren mischt Klaus-Peter Schulenberg im Musikgeschäft mit. Wenn er in Europas Event-Hauptstadt London ist, trifft er sich mit den Managern der Stars (Foto: Muir Vidler)
© Muir Vidler

1996 sieht Schulenberg seine große Chance: Er kauft den Münchner Kartenvermarkter Computer Ticket Service, einen Dienstleister für Vorverkaufsstellen, den die wichtigsten Konzertveranstalter gegründet hatten. Damals ächzt die Firma unter 10 Mio. D-Mark Schulden. Er saniert sie, baut eine neue Hauptverwaltung in Bremen auf und bringt die Firma Anfang 2000 unter dem Namen CTS Eventim komplett an die Börse – gegen den Wunsch der Banken, die im Rausch des Neuen Markts einen Börsengang nur für den noch jungen Onlinebereich wollten. Der ist höher bewertet als die Gesamtfirma, trotz läppischer Erlöse von rund 50.000 D-Mark. Gerade einmal 5000 Karten verkauft Eventim in jenem Jahr online. Dennoch ist die Aktie bei der Erstnotiz 3000-fach überzeichnet.

Damals steckt das E-Commerce-Geschäft noch in den Anfängen – auch für Konzert- und Sporttickets. Um die gewaltigen Wachstumsziele zu erreichen, die er seinen Aktionären versprochen hat, legt Schulenberg mit Geld aus dem Börsengang seine bis heute einzige große Werbekampagne auf. Volumen: 12 Mio. D-Mark. Das Ziel: Kunden auf die Websites des Unternehmens locken. Doch es geht nicht auf – Schulenberg stellt die Kampagne bald wieder ein. „Wir hatten 2 Mio. D-Mark ausgegeben und keinen Mehrumsatz gemacht.“

Von der Halle bis zum Ticket

Was folgt, ist ein bemerkenswerter Strategiewechsel. Der Eventim-Chef nimmt die übrig gebliebenen Millionen aus dem Werbebudget, um sich das Wachstum durch eine Reihe von Übernahmen zu erkaufen. Wie ein Fan Autogramme jagt er Firmen – nicht nur Kartenportale wie Getgo oder Ticket Online, sondern auch ein halbes Dutzend Konzertveranstalter. Zuerst übernimmt er eine Mehrheit an der Agentur des Promoters Marek Lieberberg, die die Rechte an lukrativen Festivals wie Rock am Ring hält, die mit Ticketverkäufen und Sponsoring heute einen Umsatz von fast 20 Mio. Euro einspielen. Es folgen der Veranstalter Peter Rieger und die Helene-Fischer-Agentur Semmel Concerts, später FKP Scorpio. Zwischen 1999 und 2003 wächst der Umsatz von Eventim von 16 auf 223 Mio. Euro. Die Zukäufe, sagt Schulenberg, seien der einfachste Weg gewesen, „die Marke CTS Eventim an die Künstler zu bringen“.

Durch die Übernahmen und Fusionen macht er Eventim zum ersten Anbieter in der boomenden Live-Entertainmentbranche, der sämtliche Wertschöpfungsstufen kontrolliert. Denn im Spotify-Zeitalter fließen die Einnahmen aus dem Verkauf von Singles und Alben nur noch spärlich. Haupteinnahmequelle sind Liveshows, Tourneen und Festivals – zur Freude von Schulenbergs Unternehmen, das gleich an mehrerer Stelle mitkassiert: als Hallenbetreiber, Veranstalter und Tickethändler. Seit 1999 ist der Wert des Unternehmens von 250 Mio. auf heute mehr als 3 Mrd. Euro gestiegen, seit 2006 hat es zudem fast 350 Mio. Euro an Dividenden ausgeschüttet – den Großteil an Großaktionär Schulenberg, der laut „Forbes“ auf ein Vermögen von 2,1 Mrd. Dollar kommt.

Der größere Teil des Umsatzes von Eventim kommt heute aus dem Live-Entertainment-Geschäft. Europaweit gehören mittlerweile mehr als 20 Konzertveranstalter zum Konzern. Den größten Brocken zum Nettogewinn von zuletzt 112 Mio. Euro im Jahr 2017 trägt trotzdem der Tickethandel bei – ein typisches Skalengeschäft, mit dem das Unternehmen in 23 Ländern aktiv ist. Zu den Kunden gehören auch die Veranstalter von Großevents wie den Olympischen Spielen, mehrere Bundesligaclubs, die italienische Serie A, Real Madrid, die Mailänder Scala oder die Uffizien in Florenz.

Bis heute sind europaweit 20.000 stationäre Vorverkaufsstellen an das CTS-System angeschlossen – eine davon immer noch Schulenbergs private in Bremen. Neben einer pauschalen Anschlussgebühr kassiert der Konzern bei jeder Buchung im Schnitt einen Euro. Kaufen Kunden ihre Tickets direkt über die Eventim-Websites, streicht das Unternehmen zusätzlich den Vorverkaufsanteil und andere Gebühren ein – im Schnitt weitere 7 Euro. Vor allem dank der fast 50 Millionen Karten, die 2017 online verkauft wurden, fuhr Eventim so im Ticketgeschäft eine Traummarge von brutto mehr als 40 Prozent ein. Das Ticketing sei ein reines Skalengeschäft, sagt Schulenberg. Wenn Eventim eine Onlinebuchung über sein Rechenzentrum in Frankfurt abwickelt, macht es bei den Kosten keinerlei Unterschied, ob die Karte in München oder in Rio de Janeiro gekauft wird.

Ärger mit dem Kartellamt

Im Eventim Apollo in London ist es Abend geworden. Eigentlich sollte hier gleich die britische Rapmusikerin Stefflon Don auftreten. Doch das Konzert wurde abgesagt, die Künstlerin arbeitet noch an ihrem Album.

Im Jahr 2017 haben Schulenbergs Manager die Londoner Konzerthalle, die Eventim zusammen mit dem US-Entertainmentkonzern AEG betreibt, an fast 200 Abenden gefüllt. Am Ende lieferten sie bei 9,2 Mio. Pfund Umsatz einen Nettogewinn von 3,3 Mio. Pfund ab – nicht so viel wie die besonders lukrative Kölner Lanxess Arena, aber immerhin. Und auch aus einem anderen Grund ist das Eventim Apollo für das Unternehmen wichtig: Sie zeigt Eventims Präsenz in Europas Entertainment-Kapitale London und dem Heimatmarkt des großen Rivalen Ticketmaster, der zum US-Giganten Live Nation gehört. Von Schulenberg gern als „Starbucks des Live-Entertainments“ bezeichnet, drängt Live Nation verstärkt nach Europa und Deutschland. Im Jahr 2015 hat Live Nation seinem Rivalen etwa die Veranstalterlegende Marek Lieberberg abgeworben.

Im früheren Hammersmith Odeon sind fast alle Größen der Musikgeschichte aufgetreten. Die Orgel vor der Bühne ist denkmalgeschützt (Foto: Muir Vidler)
Im früheren Hammersmith Odeon sind fast alle Größen der Musikgeschichte aufgetreten. Die Orgel vor der Bühne ist denkmalgeschützt (Foto: Muir Vidler)

Schulenbergs härtester Gegner in Deutschland ist bislang jedoch ein anderer: das Bundeskartellamt, das Eventims aggressiven Expansionskurs seit 2014 im Visier hat. Zuletzt stoppte die Behörde Ende 2017 die geplante Fusion mit der Berliner Agentur Four Artists, die Künstler wie die Fantastischen Vier und David Guetta vertritt. Laut ihrer Prüfung hätte der Deal Eventims „marktbeherrschende Stellung“ auf dem deutschen Ticketmarkt noch verstärkt und zu einer „erheblichen Behinderung“ des Wettbewerbs geführt.

Nach den Erkenntnissen der Kartellwächter werden bereits 60 bis 70 Prozent der jährlich mehr als 100 Millionen über Ticketsysteme vertriebenen Karten in Deutschland stationär oder online über das Eventim-System verkauft. Relevante bundesweite Wettbewerber gibt es kaum. Selbst der Marktanteil der Live-Nation-Tochter Ticketmaster liegt hierzulande bei kümmerlichen fünf bis zehn Prozent. Laut dem Beschluss der Bonner Behörde im Four-Artists-Verfahren machten konzerneigene Veranstalter, für die Eventim exklusiv das Ticketing betreibt, im Jahr 2016 bereits zehn bis 15 Prozent des kompletten Transaktionsvolumens von Eventim aus. Durch die Kontrolle über weitere Veranstalter wie Four Artists wolle der Marktführer zusätzliche „relevante Ticketkontingente an das eigene System“ binden, argumentiert das Kartellamt.

Darüber hinaus beanstandete die Behörde Ende 2017 auch die Exklusivverträge, die Eventim im Ticketvertrieb mit Vorverkaufsstellen und Veranstaltern geschlossen hatte – laut Kartellamt ein „Missbrauch“ von Marktmacht. Eine Niederlage kassierte Eventim im Sommer auch vor dem Bundesgerichtshof. Die Richter kippten die „Servicegebühr“ von 2,50 Euro, die das Unternehmen jahrelang auch bei Onlinetickets zum Selbstausdrucken kassiert hatte, was viele Fans als Abzocke empfanden. Gegen das rechtskräftige Urteil hatte sich Eventim über drei Jahre und alle Instanzen gewehrt.

Man habe die Gründe für die Onlinegebühr „nicht überzeugend genug vermitteln können“, räumt Schulenberg heute ein. Für die selbst ausgedruckten Tickets habe man in vielen öffentlichen Hallen teure Kontrollsysteme aufstellen müssen, in anderen Ländern sei die Gebühr auch überhaupt kein Problem. „Aber wir wollen keinen Streit“, sagt Schulenberg. Deshalb werde man in Deutschland auf die Gebühr auf Dauer verzichten, ohnehin gehe es dabei nur um Erlöse von rund 1 Mio. Euro, weil nur ein kleiner Teil der Fans Konzerttickets selbst ausdrucke. Die Tochter Eventim Sports, über die viele Bundesligaclubs ihre Tickets vermarkten, kassiert dagegen vorerst weiterhin eine Gebühr von 1,50 Euro – weil sich die Klage, die zu dem BGH-Urteil führte, formal nicht gegen sie richtete. Die Verbraucherzentrale NRW hat Eventim Sports deshalb vor einigen Monaten abgemahnt und droht mit einer weiteren Klage. Seit einiger Zeit verhandelt Eventim allerdings mit seinen Kunden aus dem Sportbereich, die mit der Ticketsoftware des Unternehmens Onlineshops auf ihren Websites betreiben - mit dem Ziel, die Zusatzgebühr auch hier abzuschaffen. Die ersten Fußball-Bundesligaclubs haben den Aufschlag inzwischen gestrichen.

„Man muss Dinge aushalten können“, sagt Schulenberg. Nur wenn es um das Kartellamt geht, merkt man ihm seine Verärgerung an. Das deutsche Kartellrecht sei für Technologiefirmen wie Eventim grundsätzlich „verfehlt“, weil es nur den nationalen Markt berücksichtige, klagt er. „Unsere Wettbewerber sind amerikanische Unternehmen“, diese könnten ganz andere Skaleneffekte erreichen. „Europäische Firmen, die auf nationaler Ebene betrachtet werden, sind klar im Nachteil.“ In der Vergangenheit hatte etwa auch der US-Onlinegigant Amazon versucht, auf dem Ticketmarkt Fuß zu fassen.

Feilschen um die Maut

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Auch wegen der Hürden in Deutschland investierte Schulenberg in jüngster Zeit verstärkt im Ausland, zuletzt in Brasilien und Skandinavien. Doch auf dem Heimatmarkt will er sich nun ein neues Geschäftsfeld erschließen, bei dem kein Kartellwächter dazwischen grätschen kann: Zusammen mit dem österreichischen Telematikkonzern Kapsch TrafficCom hat Eventim im Dezember den Zuschlag für den Betrieb der neuen Pkw-Maut auf Autobahnen und Bundesstraßen erhalten. Dabei geht es etwa darum, die Mautbescheide an deutsche Autohalter zu verschicken und ein Vertriebssystem für die elektronischen Vignetten für ausländische Autofahrer aufzubauen. Volumen des Auftrags: knapp 2 Mrd. Euro über zwölf Jahre – der größte Einzelauftrag in der Firmengeschichte.

Für den Maut-Auftrag hatten sich zunächst auch Wettbewerber wie die Deutsche Telekom, Siemens und IBM interessiert. Am Ende blieb das Konsortium von Eventim und Kapsch, an dem beide Partner je 50 Prozent halten, als einziger Bieter übrig. Für Eventim sei der Einstieg ins Mautgeschäft ein „großer Schritt“, sagt Schulenberg. Erstmals übertrage das Unternehmen seine Ticketingexpertise im großen Stil auf einen völlig neuen Geschäftsbereich. Der Vertrieb der Mautickets sowie alle Serviceprozesse sollen ab dem Start der Pkw-Maut im Herbst 2020 so weit wie möglich über digitale Kanäle laufen – mithilfe bestehender Eventim-Plattformen und Software, die nun neu entwickelt wird.

Bis kurz vor dem Vertragsabschluss mit dem Bund lief allerdings noch ein Gezerre über das exakte Volumen des Auftrags. An dem Tag, an dem Schulenberg mit dem Firmenjet nach London geflogen ist, hatte er schon am frühen Morgen einen dringlichen Termin in Berlin: Verhandlungen mit Verkehrsminister Andreas Scheuer über die Maut. In dem Vertrag wollen Eventim und Kapsch etwa auch eine Absicherung für den Fall, dass Scheuers Mautpläne noch vom Europäischen Gerichtshof kassiert werden.

Auch später in London ist Schulenbergs Terminkalender voll. Als er das Eventim Apollo verlässt, bringt ihn ein Fahrer zu einem Hotel im schicken Stadtteil Mayfair, wo der Manager der Dire-Straits-Legende Mark Knopfler wartet.

Mit seinen 67 Jahren hat Schulenberg nicht vor, im Unternehmen kürzerzutreten. Er habe auch keine Absicht, sich von Eventim-Aktien zu trennen, sagt er. Weil seine beiden Kinder aber keine Rolle in der Führung übernehmen möchten, macht sich Schulenberg allerdings Gedanken über seine Nachfolge. „Zunächst einmal folge ich mir selbst nach“, scherzt er. „Aber zugleich bauen wir ein Team auf, das in der Lage wäre, das Unternehmen auch ohne mein Zutun zu führen.“

Die Erstfassung dieses Textes erschien zuerst in Capital 1/2019. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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