Die Beine zuckten, die Arme begannen auszuschlagen. Und dann hielt es den irischen Premier Enda Kenny nicht mehr. Mit einer Schar junger Leute tanzte er zu den Klängen von Pharrell Williams Gute-Laune-Hit „Happy“. Ein wenig steif, aber sichtlich motiviert.
Das war vergangenen Freitag auf der Gartenschau in Dublin. Vielleicht war Kenny so gut drauf, weil sein Elend endlich schien. Großbritannien hatte den irischen Regierungschef als EU-Kommissionspräsident ins Spiel gebracht, um damit den „Spitzenkandidaten“ Jean-Claude Juncker auszubremsen. Für Kenny könnte das ein Ausweg sein. Denn die Wähler haben ihm eine satte Klatsche verpasst. Bei der Europawahl und den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen erlitt seine Partei, die christdemokratische Fine Gael, hohe Verluste. Noch schlimmer traf es den Juniorpartner: Labour verlor in Europa 19 Prozentpunkte im Vergleich zur nationalen Parlamentswahl 2011 und halbierte sein Kommunalergebnis.
Irland hat einen Ruf zu verlieren
Nach den Gründen für die Niederlage muss niemand lange suchen. Die Sozialdemokraten seien dafür bestraft worden, dass sie seit 2011 den Sparkurs der Regierung mitgetragen hätten, sagte der Parteivorsitzende Eamon Gilmore und trat zurück. Seine potentielle Nachfolgerin erklärte als erstes, sie wolle „eine nationale Wegbewegung von der Politik und Ökonomie der Austerität“. Für Kenny dürfte es daher schwierig werden, weitere 2 Mrd. Euro an Einsparungen und Steuererhöhungen im nächsten Haushalt durchsetzen. Die braucht er aber, um das Defizit im nächsten Jahr auf die Zielmarke von 3 Prozent des BIP zu reduzieren.
Irland hat einen Ruf zu verlieren. Keines der Euro-Krisenländer hat sein Sparprogramm so auf den Punkt und klaglos umgesetzt wie das kleine EU-Mitglied. Seit 2008 kürzte und strich die Regierung 30 Mrd. Euro – fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Anderswo in Europa wunderte man sich, wie geduldig die Iren sich der Tortur unterwarfen. Eine der Erklärungen, die man im Land selbst hört, ist, dass die Bürger sich mitschuldig an dem Schlamassel fühlen. Schließlich hatten viele Iren von der Hauspreisblase profitiert, die 2008 platzte und erst die Banken, dann die Regierung und schließlich viele Haushalte in den Abgrund riß.
Jedenfalls setzte Irland die Bedingungen von EU und IWF mit bewundernswerter Konsequenz durch und verließ Ende 2013 als erstes Land den Euro-Rettungsschirm. Seitdem gilt die Insel als der neue Musterknabe Europas. Doch nicht nur das: Manche Beobachter sehen den späten Beweis erbracht, dass Reformen doch der richtige Weg aus der Krise sind. In den vergangenen Jahren waren die Befürworter von Austeritätspolitik ziemlich kleinlaut geworden. Denn das staatlich verordnete Fasten schwächte Europas Patienten zusätzlich. Wie sollte die Peripherie da je wieder auf die Beine kommen? Der Aufschwung in der Eurozone, aber vor allem das Comeback Irlands, schien diese Theorie nun endlich zu widerlegen.
Erholung ist exportgetrieben
Doch Irland taugt nicht als Vorbild für die Segnungen von Austerität. Über die Klippe gebracht hat die irische Wirtschaft ihre Offenheit und Flexibilität: Die Erholung ist exportgetrieben. Nach 2009 sind die Exporte wieder zu dem Wachstumstrend zurückgekehrt, den sie vor der Krise aufwiesen. Die Importe hinkten hinterher, weil der Sparkurs die Nachfrage dämpfte. Irland ist eine der offensten Ökonomien der Welt: 85 Prozent der Produktion gehen ins Ausland. Es sind vor allem US-Unternehmen, die die Insel als Drehscheibe in Europa nutzen. Allein neun der zehn der weltweit führenden Pharmakonzerne sind hier ansässig.
Während der Krise strömten die Direktinvestitionen weiter ins Land – gestützt von wieder nachlassenden Löhnen und einer entschlossenen Niedrigsteuerpolitik. Denn das Einzige, was sich die irische Regierung von EU und IWF nicht abhandeln ließ, waren die extrem niedrigen Unternehmenssteuern. Experten schätzen, dass der nominale Satz von 12,5 Prozent effektiv noch deutlich unterschritten wird. Manche internationale Konzerne benutzen Irland deswegen einfach, um ihre Gewinne steuerschonend am heimischen Fiskus vorbeizutunneln. Doch es bleiben immer noch genug echte Investoren, die Jobs und Steuereinnahmen bringen.
Mittelbar dürfte Kennys Sparkurs immerhin zur Erholung beigetragen haben. Er festigte Irlands Ruf als Investorenparadies. Der Taoiseach selbst versprach auch nach dem desaströsen Wahlergebnis, an seinem Kurs festzuhalten. „Wir haben Ziele und Vorgaben gemacht, und die müssen erreicht werden“, erklärte er. Und dann stellte er sich auch noch eindeutig hinter Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten.
Wenn es gut läuft, hat Kenny nun noch zwei Jahre Zeit, die Iren zu überzeugen. Spätestens im Frühjahr 2016 finden die nächsten Parlamentswahlen statt. Wenn es schlecht läuft, wird seine Koalitionsregierung in den nächsten Wochen zerbrechen. Dann bleibt ihm der Rat von Pharrell Williams „Mich runterziehen... nichts schafft das... Weil ich glücklich bin.“