Schulbildung Die Schulausfälle werden Billionen Euro kosten

Vor allem langfristig könnten sich die Schulschließungen bemerkbar machen – mit einem wirtschaftlichen Schaden in Billionenhöhe
Vor allem langfristig könnten sich die Schulschließungen bemerkbar machen – mit einem wirtschaftlichen Schaden in Billionenhöhe
© Michael Weber / IMAGO
Fällt die Schule aus, lernen Kinder fast nichts dazu. Aus ökonomischer Sicht ist das fatal. Die wahren Kosten der Schulausfälle kommen aber erst Jahre nach der Krise zum Vorschein

Die Schulen sind der große Streitpunkt im Teil-Lockdown. Wie ansteckend sind Kinder und Jugendliche wirklich? Gibt es mehr Infektionen im Klassenzimmer oder während der Ferien? Sollten die Schulen schon eine Woche vor Weihnachten schließen, damit Kinder sich seltener anstecken und ihre Großeltern nicht mit dem Corona-Virus infizieren? Während sich Politiker, Virologen und Lehrerverbände über diese Fragen den Kopf zerbrechen, warnen Ökonomen seit Beginn der Corona-Pandemie vor den Folgekosten der Schulschließungen.

Immer mehr zeigt sich, dass der Schulunterricht in der Klasse eigentlich oberste Priorität haben sollte. Denn Unterrichtsausfälle und schlechtere Lernbedingungen senken nicht nur das Einkommen der Schulabgänger, sondern ihre Produktivität über das gesamte Leben. Schulschließungen von einem Drittel des Schuljahres könnten Deutschland über 80 Jahre 2,56 Bio. Euro oder 1,3 Prozent des zukünftigen Bruttoinlandsprodukts kosten, schätzt der Bildungsökonom Ludger Wößmann vom ifo-Institut. Zum Vergleich: Das Haushaltsdefizit in diesem Jahr soll lediglich 218 Mrd. Euro betragen.

Drei Prozent weniger Gehalt

Die ökonomische Argumentation dahinter geht folgendermaßen: Ein Mensch erlangt mit jedem Jahr zusätzlicher Bildung zusätzliche Fähigkeiten, die ihn dann später öfter auf neue Ideen bringen, mit denen er Dinge erfinden kann, die den technologischen Fortschritt steigern oder ihn schlicht schneller arbeiten lassen. All das steigert damit eben auch die gesamtwirtschaftliche Produktivität. Natürlich zahlen Arbeitgeber dafür auch höhere Löhne. Ein Jahr Bildung bringt im Schnitt drei Prozent mehr Gehalt über das gesamten Erwerbsleben.

Doch werden die Schüler nach der Corona-Krise wirklich langfristig schlechter dastehen? Erfahrungen aus der Vergangenheit und erste Studien während der Pandemie deuten darauf hin.

Ökonomen wissen von Schulstreiks aus anderen Ländern, dass die Schulbildung noch Jahrzehnte später das Gehalt beeinflusst. Argentinische Schüler, für die der Grundschulunterricht im Schnitt 88 Tage lang ausfiel, bekamen im Alter von 30 bis 40 circa drei Prozent weniger Gehalt. Eine Untersuchung der zwei Kurzschuljahre 1967 und 1968 in Deutschland, in denen einige Schüler ein Dreivierteljahr weniger Unterricht hatten, kommt sogar zu dem Ergebnis, dass sie durch die kürzere Schulbildung über ihr gesamtes Arbeitsleben circa fünf Prozent weniger verdienten.

Grundschüler lernten zuhause fast nichts

Nun ließe sich einwenden, dass die Kinder ja in diesem Jahr online lernen konnten und gar nicht so lange von Schulschließungen betroffen waren. Genaue Zahlen, wie lange die Schule für Schüler ausfiel, gibt es nicht. Doch während des ersten Lockdowns waren die Schulen teilweise monatelang geschlossen. In der letzten Novemberwoche waren laut aktueller Zahlen der Kultusministerkonferenz wegen Corona-Fällen bei Schülern und Lehrern derzeit 12,8 Prozent der Schulen im eingeschränkten Präsenzbetrieb, 0,5 Prozent sind komplett geschlossen.

Sicher ist, dass der Unterricht zuhause bei Weitem nicht so gut ist wie der Unterricht in der Schule. Das belegen Zahlen aus den Niederlanden. Dort hatten Grundschulen Mitte des Jahres acht Wochen lang geschlossen. Die Doktoranden Per Engzell, Arun Frey und Mark Verhagen von der Universität Oxford untersuchten die Ergebnisse mehrerer standardisierter Tests von niederländischen Grundschülern vor und nach den Schulschließungen und verglichen den Testerfolg der Schüler mit den Ergebnissen aus vorherigen Jahren. Die Autoren betonen sogar, dass sie ein Best-Case-Szenario untersucht haben, weil die Niederlande anders als andere Länder schon eine relativ gute Infrastruktur für das Lernen auf Distanz hatten. Dennoch sind ihre Ergebnisse besorgniserregend. „Der durchschnittliche Schüler hat wenige oder gar keine Fortschritte gemacht“, lautet das Resultat der Wissenschaftler. Dazu kommt: Je schlechter die Eltern gebildet waren, desto weniger lernten die Schüler dazu.

Schaut man sich an, wie Schüler außerhalb der Schule ihre Zeit verbringen, ist das wenig verwunderlich. Elisabeth Grewenig und ihre Kollegen am ifo-Institut machten eine Umfrage unter über 1000 Eltern und fragten sie, wie ihre Kinder vor und nach den Schulschließungen im Frühjahr ihre Zeit verbrachten. Das Ergebnis: Die Schüler verbrachten während der Schulschließungen im Schnitt nur 3,6 Stunden statt 7,4 Stunden mit Schulaufgaben. Gerade unterdurchschnittliche Schüler spielten häufiger Computerspiele und verbrachten mehr Zeit mit sozialen Medien.

Manches lässt sich nicht aufholen

Damit die ökonomischen Folgen so gering wie möglich bleiben, sollten Schüler den Unterrichtsstoff also schnellstmöglich aufholen. Ob das gelingt, ist aber fraglich. „Die Kinder vergessen zuvor Gelerntes. So haben im Herbst auch viele Lehrkräfte berichtet, dass sie viel früher wieder ansetzen mussten und Vieles, das eigentlich schon mal gelernt worden war, nochmal neu durchnehmen mussten“, sagt Wößmann.

Das zeigt auch ein Beispiel aus Belgien. Im Jahr 1990 beschloss die Regierung dort, Bildung zur Ländersache statt zur Bundesangelegenheit zu machen. Die Lehrer im ärmeren französischsprachigen Teil befürchteten, dass sie in Zukunft nicht dieselben Löhne bekämen wie ihre Kollegen im flämischen Teil des Landes, also streikten sie. Zwischen Mai und Oktober 1990 fiel in den französischsprachigen Teil Belgiens mehrmals für bis zu sechs Wochen die Schule aus.

Die Lehrer bekamen später dieselbe zweiprozentige Gehaltserhöhung zugesichert wie die Lehrer in Flandern. Doch als die Ökonomen Michèle Belot und Dinand Webbink 20 Jahre später die Folgen des Streiks auf die Schüler untersuchten, fanden sie heraus, dass die wallonischen Schüler zwar häufiger Klassen wiederholt hatten und ein halbes Jahr länger zur Schule gingen, doch den Wissensrückstand holten sie wohl nicht auf. Sie gingen später seltener zur Uni und ergriffen so Berufe, die ihnen weniger Geld einbrachten.

Ob Schulschließungen und digitaler Unterricht wirklich so hohe Folgekosten für die Wirtschaft haben werden, wie Wößmann schätzt, bleibt abzuwarten. Aber die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die Krise die Schüler zurückgeworfen hat, besonders die Schwachen. Der Gesamtwirtschaft wird das auf Dauer schaden. Unklar bleibt nur, wie hoch der Schaden genau ausfallen wird.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel