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Kolumne Die russische Versuchung

Ein guter Draht in den Kreml ist wichtig. Aber Deutschland darf seine EU-Nachbarn im Osten nicht vergessen. Von Ines Zöttl
Ines Zöttl
Ines Zöttl schreibt an dieser Stelle über internationale Wirtschafts- und Politikthemen
© Trevor Good

Auf dem Höhepunkt der Eurokrise erregte 2011 eine Bemerkung des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski ziemliches Aufsehen: „Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten", sagte der Pole damals in Berlin. Dieser Satz war nicht nur überraschend vor dem Hintergrund der deutsch-polnischen Geschichte. Er stand vor allem im Widerspruch zu der Stimmung, die zu dieser Zeit die Debatte prägte.

Es herrschte Mißtrauen gegenüber einem Deutschland, das es in der Wahrnehmung vieler EU-Staaten an Enthusiasmus zur Rettung der Eurozone und an Verständnis für die Probleme der Krisenstaaten fehlen ließ. Was wollte dieses Riesenland in der Mitte Europas, das sich Jahrzehnte lang klein gemacht hatte? Die jahrzehntelang bewunderte deutsche Wirtschaftsmacht bekam für die EU-Partner etwas Bedrohliches. Berlin wolle ein „deutsches Europa“ schaffen. Vom deutschen „Austeritätsdiktat“ war die Rede.

Deutsches „Leadership“ gefragt

Im Sommer 2014 dürfte Sikorskis Haltung Mainstream sein. In der Eurozone und EU hat man sich mehr oder weniger widerstrebend damit abgefunden, dass an Deutschland vorbei nichts geht. Und dass ohne deutsche „Leadership“ – um das unbelastete englische Wort zu verwenden - wenig geht.

Den vorläufigen Schlusspunkt dieser Entwicklung stellt die Ukraine-Krise dar. Die deutsche Bundesregierung vertritt in dem Konflikt unangefochten die EU nach außen. Wo es um die Krise und mögliche Konsequenzen geht, ist immer von drei Playern die Rede: Russland, USA, Deutschland. Denn jeder weiß, dass die deutsche Haltung letztlich ausschlaggebend sein wird.

Wenn sich Deutschland zum entschiedenen Vorgehen gegenüber Putin durchringt, wird Europa am Ende mitziehen. Wenn sich die Russland-Versteher in Berlin durchsetzen, wird es keine europäisch-amerikanische Sanktionsallianz geben. Deutschland sei „das einzige Land, das Russland gewaltige geopolitische Ambitionen vereiteln oder eindämmen kann“, heißt es in einem Beitrag der amerikanischen Publikation „Foreign Affairs“. Und: „Bereiten Sie sich auf ein russisch-deutsches Europa vor.“

Gefährliche Versuchung

Dass Deutschland in dieser Krise eine Führungsrolle übernimmt, ist unvermeidlich. Zwar ist es den 28 EU-Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten bislang wenigstens einigermaßen gelungen, geschlossen aufzutreten. Trotzdem gibt es DIE europäische Haltung nicht. Die Lücke füllen die Deutschen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat als Unterhändler bisher zwar wenig erreicht, aber trotzdem eine gute Figur gemacht.

Berlin ist der natürliche Ansprechpartner für den Kreml. Beide Staaten unterhalten historisch enge kulturelle und weitreichende wirtschaftliche Beziehungen. Und man redet auf Augenhöhe. Wenn Angela Merkel anruft, dürfte Putin schneller am Hörer sein als bei der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.

Doch genau das schafft eine gefährliche Versuchung für Deutschland: Die Vorgänge in der Ukraine als bilaterale oder rein geopolitische Angelegenheit abzuhandeln. Und dabei osteuropäische Interessen zu vergessen.

Deutschlands Partner sind die EU-Länder

Die Zukunft der Ukraine selbst ist schon längst zur Nebensache geworden, und die Vorstellungen der Ukrainer darüber, wie sie leben wollen, zur vernachlässigbaren Größe. Stattdessen hat sich eine realpolitische Sichtweise durchgesetzt, die eines Talleyrand würdig ist: Russland vertrete legitime Staatsinteressen. Es brauche die Ukraine als Puffer zu Europa. Die Annexion der Krim hatten die Europäer schon weggesteckt, bevor sie überhaupt vollzogen war. Als brauche der russische Bär eben gelegentlich Futter.

Die deutsche Debatte ist davon bestimmt, welche Folgen der heimischen Wirtschaft bei einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland drohen. Für Osteuropa geht es um Energiesicherheit, aber noch mehr: Wie behaglich können sie sich im „europäischen Haus“ fühlen? Was steht für die Deutschen an erster Stelle, die Interessen der Länder, mit denen sie sich zur Europäischen Union zusammengeschlossen haben? Oder ein gutes Verhältnis zu Russland?

Deutschland sollte keinen Zweifel an seiner Haltung lassen: Seine primären Partner sind Länder wie Polen, Estland, Lettland. Nicht Russland. Die EU-Partner müssen die ersten und wichtigsten Ansprechpartner sein. Sie müssen dabei sein, wenn Entscheidungen fallen. Die EU ist nicht die Nato, sie ist kein Verteidigungsbündnis. Aber in ihr haben sich Länder zusammengetan, um gemeinsam zu handeln. Dazu muss Deutschland stehen. Sonst wird die Angst vor deutscher Macht bald wieder größer sein als die vor Inaktivität.

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