Einmal im Jahr veröffentlicht die Privatbank Berenberg zusammen mit dem Lisbon Council ihren Euro Plus Monitor, in dem sie die Reformfortschritte in Europa messen. Und siehe da: Die systemische Eurokrise dürfte Mitte 2014 vorüber sein, heißt es darin. Dann könnte die Eurozone die Früchte der harten Reformen ernten und eine beschleunigte Erholung der Konjunktur einsetzen.
Es bleibt abzuwarten, ob die Ökonomen mit dieser optimistischen Prognose recht behalten. Doch die positiven Signale sind unverkennbar. Es bewegt sich etwas in den Krisenländern. Damit stellt sich langsam aber sicher die Frage nach einer ersten Bilanz der Eurokrise.
Nehmen wir den schwersten Patienten Griechenland. Dessen Hilfskredit wurde zwar gerade erst wieder eingefroren wegen mangelnder Reformfortschritte. Doch diese Schlagzeilen vom Wochenende täuschen über die erkennbaren Erfolge hinweg. In diesem Jahr dürften die Griechen zum ersten Mal seit Jahren einen so genannten Primärüberschuss in der Haushaltsbilanz - unter Herausrechnung der Zinslast - erwirtschaftet haben. Im kommenden Jahr könnte dieser gar bei rund 1,6 Prozent des BIP liegen. Seit 2009 hat Griechenland sein Defizit um fast 14 Prozentpunkte abgebaut – historisch einzigartig innerhalb der Industrieländerorganisation OECD. Und so könnten auch die Staatsschulden ab 2014 langsam schrumpfen - wenngleich von einem katastrophalen Niveau von mehr als 170 Prozent des BIP kommend. Einige Ökonomen rechnen bereits mit einem Überschuss bei der Leistungsbilanz. Und auch eine Rückkehr zum Wachstum wird von vielen Experten im kommenden Jahr erwartet. Von der Tendenz her geht es also selbst im für viele so hoffnungslos erscheinenden Griechenland voran.
Griechisches Trauma
Doch diese Erfolge gab es nicht umsonst. Sie hatten einen Preis. Nach sechs Jahren Rezession ist jeder vierte Grieche arbeitslos, bei den Jugendlichen sogar jeder zweite. Die Griechen haben im Durchschnitt ein Drittel ihres Einkommens eingebüßt. Die Wirtschaft gleicht einem Waldstrich, nachdem er mit Napalm bombardiert wurde. Das Land hat die schwerste Rezession hinter sich, die ein westliches Land seit dem zweiten Weltkrieg erlebt hat. Der renommierte Princeton-Historiker Harold James vergleicht die Krise in Griechenland mit der Großen Depression in den USA der 30er-Jahre. Er spricht von einem „griechischen Trauma“. Die Spuren werden eine ganze Generation begleiten.
Bezahlt hat den Preis vor allem die breite Bevölkerung. Die Reichen wurden aufgrund der immer noch schwachen Steuereintreibung kaum hinzugezogen. Es zeigt das ganze Dilemma von Finanzkrisen.
Die Abhängigkeit von den internationalen Finanzmärkten bei der Refinanzierung der Staatsschulden mag vielen nicht passen. Sie sind aber nun einmal Realität. Wenn man diese Abhängigkeit nicht will, darf man sich eben nicht an den Finanzmärkten verschulden. Die Frage ist jedoch: Sind Radikalkuren der einzige Weg, um die Finanzmärkte zu beruhigen? War es wirklich alternativlos, immer härtere Sparpakete zu schnüren, deren Umsetzung vor allem die Bevölkerung trafen?
Nichts gelernt?
Natürlich herrschte in Griechenland enormer Reformbedarf. Und mit Sicherheit braucht es in solchen Fällen erst einmal enormen Druck, damit sich etwas tut. Doch der von Kommentatoren und Ökonomen gern genutzte Begriff der „heilsamen Schocktherapie“ geht leicht über die Lippen, wenn man im bequemen Büro im Norden Europas sitzt.
Die Idealvorstellung dahinter: Den Staat verschlanken und die Wirtschaft stärken. Tatsächlich wurde der Staat verschlankt, die Wirtschaft dabei aber gleich mit entkernt und der Wohlstand minimiert.
Das tragische daran: Diese Lektion gab es schon einmal, die Diskussion ist alt. In der Weltbank und im internationalen Währungsfonds war es das große Thema in den 90er-Jahren. Lateinamerika erlebte fast 40 Finanzkrisen zwischen 1980 und 2003. Asien durchlitt seine größte Krise 1998. Und in Osteuropa ging es nach 1989 flächendeckend darum, wie man marode Staaten zu einer leistungsfähigen Marktwirtschaft transformiert – ähnlich wie heute in Griechenland. Auch hier stellte sich stets die gleiche Frage wie nun in der Eurozone: Wo liegt das richtige Maß an Austerität? Wann ist der Punkt überschritten, an dem zu viel Konsolidierung zu einem Rezessions-Teufelskreis führt? Und wenn man sich für die Schocktherapie entscheidet - wie kann dafür gesorgt werden, dass die Belastungen sozial gerecht verteilt werden?
Nach Ansicht von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wurde aus den Erfahrungen der 90er-Jahre nichts gelernt. Es gibt eine ganze Reihe von Ökonomen, die schon in den 90ern zum Schluss kamen, dass die Strategie der Schocktherapie (damals vor allem bekannt als „Washington Consensus“ des IWF) weitgehend diskreditiert ist. Auf diese Stimmen wurde in Brüssel in dieser Krise erstaunlich wenig gehört.
Aufräumarbeiten am Arbeitsmarkt
Moises Naim, in den 90er-Jahren venezolanischer Finanzminister und später Weltbank-Ökonom, liefert eine gemäßigtere Antwort auf die Frage nach der richtigen Mischung: Es komme auf das Gesamtpaket an. Austerität sei richtig, aber nur wenn im gleichen Zug soziale Sicherungsnetze für die Verwundbarsten gestärkt werden und alles daran gesetzt wird, neue Jobs zu schaffen.
Trotz aller Initiativen für mehr Arbeitsplätze in Europa – beides kommt bislang immer noch viel zu kurz. Ich gehe jede Wette ein: In fünf Jahren wird man über die Eurokrise sagen, dass der Schwerpunkt viel zu lange, viel zu einseitig auf Austerität ausgerichtet war. Und zu wenig auf die Abfederung der Folgen der notwendigen Konsolidierung.
Selbst wenn die akute systemische Krise im kommenden Jahr vorbei sein sollte und sich die Anleihemärkte weiter erholen, die Aufräumarbeiten am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft werden lange anhalten. In den kommenden Jahren wird es vor allem darum gehen, der verlorenen Generation junger Arbeitsloser im Süden Europas wieder Perspektiven zu bieten. In Phase zwei der Krise geht es dann nicht mehr so sehr um die Befriedung der Finanzmärkte, sondern der verarmten Bevölkerung.
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