Lange haben sich nicht mehr so unterschiedlich aufgestaute Ereignisse und Emotionen in so kurzer Zeit entladen wie diese Woche, in ganz unterschiedliche Richtungen: Die Grünen haben – eine gefühlte Kanzlerin. Die Union hat, nach einem heftigen Machtkampf einen Kanzlerkandidaten. Und das Land hat ein schärferes Infektionsschutzgesetz mit Notbremse, nachdem es seit Ostern in einem seltenen und seltsamen führungslosen Vakuum durch die Pandemie geglitten und geeiert ist.
Da sind also Geheimnisse gelüftet, Knoten und Kragen geplatzt, Bomben explodiert, Showdowns eskaliert und Shows inszeniert worden, es gab Verletzungen und manche Verklärungen. Aber immerhin: Wir haben mehr Klarheit, egal, wie einem das Ergebnis jetzt passt.
Der Kampf gegen das Virus und der Kampf ums Kanzleramt hatten sich seit Wochen verheddert und vermengt, das war nicht gut, das war toxisch. Entscheidungen wurden dadurch vertagt und verzögert, weil Machtfragen nicht geklärt waren. Für oder gegen Lockdown hieß plötzlich für oder gegen Laschet, auf oder zu wurde zu: er oder sie?
Es wird noch mal schwerer, bevor es besser wird
Jedes einzelne Ereignis hätte für sich allein auch ohne Knotenkontext Raum und Zeit zur Verarbeitung bedurft: das letzte Aufbäumen gegen die Pandemie, der historische Machtkampf in der CDU – und die ebenso historische Krönung bei den Grünen. Nun löste sich manches, was nicht heißt, dass es vorbei ist, im Gegenteil.
Was immer nun kommt auf der nächsten, hoffentlich letzten Strecke der Pandemie: Es wird noch mal schwerer, bevor es besser wird. Wieder gibt es seltsame Regeln im Bürokratendeutsch, diesmal mit neuen Details zur körperlichen Ertüchtigung im Freien („Sport alleine bis 24 Uhr erlaubt“). Sogar Gassi gehen ist jetzt geregelt.
Bevor Sie sich aufregen: Schauen Sie lieber auf die Impfkampagne, die seit Ostern wie erwartet Fahrt aufnimmt. Die Zahlen gehen nur dann wieder zurück, wenn es bei den Lieferungen stockt. Derzeit schaffen wir 500.000 Impfungen pro Tag im Schnitt , in der Spitze sind es knapp 700.000. Und die Kapazität ist ausbaufähig, erste Bundesländer lösen sogar bei dem teils verschmähten Impfstoff AstraZeneca die Priorisierung auf. Bis zum Juli ist die Impfung der Bevölkerung zu schaffen, wenn nicht Unerwartetes passiert und etwa der Impfstoff von Johnson & Johnson (10 Millionen Dosen im zweiten Quartal) ausgesetzt wird.
Wie kommt die Union aus dem Abwärtsdrall?
Und was bleibt für die CDU? Ein Kandidat, von dem viele nun so tun, als seien sie überzeugt, und der sehr viel mehr noch überzeugen muss. Die geschlossene Reihe und Wagenburglogik waren für die CDU wichtiger als das Wagnis mit Markus Söder, der mit guten Umfragen lockte, mit Brutalität und Dynamik, nach dem Motto: Wenn der sagt, er gewinnt das Ding, dann macht er das auch.
Der Kampf um die Kandidatenfrage hat der CDU erheblich geschadet, was aber nicht heißt, dass man solche Kämpfe per se verdammen sollte. Dass am Ende der Ära Merkel nach 16 Jahren ein Machtkampf in einer Partei ausbricht, ist auch ein Stück weit normal. Es muss halt auch mal knallen. Es war bloß keine kontrollierte Sprengung, und ungesteuerte Prozesse taten der Union noch nie gut. Nun muss sie, wie es im Parteiendeutsch so schön heißt, die „Reihen schließen“.
Das heißt für die Partei, wie man aus ihrer Führung hört, „Arbeit, Arbeit, Arbeit“. Wie will sie die Abwärtsspirale stoppen? Bloß keinen „Gamechanger“ suchen, heißt es dann, denn das sei der Anfang vom Ende. Man ist halt Regierungspartei, also kriegt man alles ab, wenn es mal nicht läuft, und seit Anfang März lief so ziemlich alles schlecht: Impfchaos, Masken-Affäre, Osterruhe – das wird sich ändern bis zum Herbst und ist dann weit weg, so das Kalkül, wenn das Land erst Mal geimpft ist. Die CDU-Strategen rechnen also für die Klärung der Kandidatenfrage und die Herdenimmunität der Wechselwähler ein paar Prozentpunkte im Kopf drauf – plus die Entzauberung der Grünen. Das muss reichen. Wird es das?
Nach dem „Schulz-Zug“ 2017 kommt nun der „Baerbock-Express“
Zumindest wird es für die Grünen spannend, das Energie- und Sympathielevel zu halten, das sie diese Woche (und die Monate davor) getragen hat – inklusive einer Moderatorin, die diese Woche nach einem Fernsehinterview mit Annalena Barbock tatsächlich klatschte. Ja, es gab viel Beifall, an manchen Stellen zu viel Jubel und zu wenig Distanz.
Alles war super, was nicht böse Politik und alte Männer war, und Unerfahrenheit eine tolle Sache. Die brachte zwar einst auch Donald Trump mit, aber man hatte lieber Beispiele wie Barack Obama oder Jacinda Ardern parat, die am anderen Ende der Welt über eine Insel mit knapp fünf Millionen Einwohnern und einer Wirtschaftsleistung von Zweidritteln Niedersachsens gebietet.
Nach dem „Schulz-Zug“ 2017 kommt nun der „Baerbock-Express“, natürlich mit E-Antrieb. Hier wurde von den Grünen eine intrigenfreie Ikone geschaffen, messen sollte man sie nun als Kanzlerkandidatin, jeder Satz, ob sie das Land auch führen könnte. Was nicht heißt, dass Annalena Baerbock nicht das mitbringt, was auf sie projiziert wird: Sie ist das frische Gesicht, verkörpert den Neuanfang, den Wechsel, den Aufbruch. Man muss jetzt bloß genau hinschauen, was dahintersteckt.
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