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Gastkommentar Die FIFA in der Entwicklungs-Falle

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Durch die Ausdehnung auf die Schwellenländer hat sich der Fußballweltverband selbst in die Bredouille gebracht. Die Proteste gegen große Turniere gehen weiter, wenn die Spielregeln nicht geändert werden.

Die Bilder protestierender Brasilianer während des Confederation Cups vor dem Maracana-Stadion in Rio de Janeiro sind mehr als nur die üblichen Begleiterscheinungen eines großen Sportereignisses. Sie bedeuten eine Zeitenwende. FIFA-Präsident Sepp Blatter kann weiter seinen Kopf in den Sand stecken und darauf beharren, dass „dies nicht unser Problem“ ist. Doch der Fußballweltverband muss jetzt die Suppe auslöffeln, die er sich selbst eingebrockt hat. Und sie wird bitter schmecken.

Werfen wir einen Blick zurück ins Jahr 2006, das Jahr der Weltmeisterschaft in Deutschland. Die wunderbare Erfindung der Fanmeilen und der Einsatz von Riesenleinwänden schien bisherige Gewissheiten auf den kopf zu stellen. Deutschland lockte Hunderttausende von Fans an, die überhaupt keine Tickets hatten und bot ihnen einen Fußball-Fest, das einfach nur Spaß machte. Die Welt bewunderte ein Deutschland, das unerwartete Fähigkeiten zeigte, sich locker zu machen, und die Deutschen sonnten sich in ihrem Erfolg.

Die Experten stritten noch darum, ob das Ereignis nun einen ökonomischen Schub bewirkt habe, doch im Grunde spielte diese Frage keine Rolle. Nach Berechnungen des Professors Wolfgang Maennig von der Universität Hamburg wurden für die Modernisierung der Stadien ungefähr 1,4 Mrd. Euro aufgewendet, wovon etwa 60 Prozent von den Vereinen selbst getragen wurden. Das Investment scheint sich ausgezahlt zu haben: Die Zuschauerzahlen in der Bundesliga lagen in den ersten drei Jahren nach der WM um 20 Prozent über dem Niveau von 2005. Ein weiteres Wachstum wird offenbar nur durch die natürlichen Kapazitätsgrenzen begrenzt. Was deutsche Steuerzahler für den fröhlichen Sommer von 2006 zahlen mussten, war gemessen am üblichen Niveau von Staatsausgaben bei weitem nicht außergewöhnlich.

Stefan Szymanski
Stefan Szymanski
© Stefan Szymanski

Die FIFA-Oberen dürften vom Erfolg des Turniers von 2006 in etwa so überrascht gewesen sein wie die meisten Deutschen. Brasilien 2014 allerdings erschien im Vergleich dazu von Anfang an als eine sichere Bank. Die spirituelle Heimat des Spiels, das weltweite Symbolland für Partys schlechthin, ein Staat, in dem sowohl Einheimische als auch Ausländer die wirtschaftliche Realität konsequent ignorieren – was konnte da schon schiefgehen? Doch es ging schief.

Nun könnte man sagen, dass die FIFA einfach Pech gehabt hat. Eine Rezession ist immer ein schlechter Rahmen für eine Party. Und eine Rezession, die auf ein Jahrzehnt beispiellosen Wachstums folgt, kann einen besonders schmerzhaften Kater zur Folge haben. Auch korrupte Staatsorgane machen die Sache sicher nicht leichter.

Aber das Scheitern geht auch auf das Konto der FIFA selbst. Ein Problem liegt darin, dass der Verband die WM-Turniere gezielt seltener an traditionellen Spielorten wie vor allem in Europa veranstaltet und sie stattdessen auf Schwellenländer ausdehnt – speziell solche, die sich zu wichtigen Akteuren der Weltwirtschaft wandeln, wie Brasilien, Russland oder Katar. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen dieser Staaten liegt bei 12.000 Dollar (in Deutschland: 40.000 Dollar). Es gibt in Südafrika und Brasilien immer noch sehr viele Menschen, die in bitterer Armut leben. Um inmitten dieser Menschen eine Party zu feiern, muss man schon gleichgültig und abgestumpft sein. Südafrika wurde schon deshalb zum Erfolg erklärt, weil viele Touristen kamen und das Turnier ohne nennenswerten Zwischenfall über die Bühne ging. Doch die Bilder der glänzenden, von der FIFA verordneten Stadien vor dem Hintergrund von Siedlungen, in denen Menschen ohne fließendes Wasser und Strom leben müssen, hat deutliche Spuren hinterlassen. In Brasilien werden nun die Favelas geräumt. Und auch wenn den Leuten zugleich besserer Wohnraum versprochen wird, so wirkt es doch, als wolle die Regierung die Probleme einfach unter den Teppich kehren.

Und das ist die Schuld der FIFA. Die WM wird an den vergeben, der am meisten Investitionen in die fußballerische Infrastruktur anbietet, oft deutlich mehr als das jeweilige Land eigentlich bräuchte. Reiche europäische Nationen sowie ein paar Länder außerhalb (wie die USA, Japan oder Südkorea) können diese Kapazitäten entweder auslasten oder sie zahlen eben dafür. Doch die meisten anderen Staaten der Welt können das nicht.

Die FIFA kehrt Europa den Rücken – auch Russland hat in diesem Sinn mehr mit Brasilien gemein als mit Deutschland. Das ist in gewisser Hinsicht gerechtfertigt. Europa hat die Szene der großen, globalen Sportereignisse schon viel zu lange dominiert, und der Rest der Welt hat es verdient, auch einmal an die Reihe zu kommen. Doch wer die Schwellenländer mit in das Spiel einbeziehen will, muss die Regeln ändern. Ansonsten werden die Proteste sich fortsetzen.

Es ist durchaus möglich, eine WM zu veranstalten, die auch ärmere Länder stemmen können. Eine Weltmeisterschaft wird in erster Linie im Fernsehen verfolgt und die meisten Kameras konzentrieren sich auf das, was auf dem Spielfeld geschieht. Es ist daher völlig unnötig, ganze Colosseen aus Beton aus dem Boden zu stampfen. Ein Stadion muss sicher sein, aber es muss nicht zwangsläufig riesig sein. Das meiste öffentliche Geld geht für gewöhnlich bei diesen Prachtbauten drauf. Wer sich also dieses Problems annimmt, würde die Wahrnehmung der ganzen Veranstaltung komplett verändern.

Vielleicht würden ein paar Touristen weniger kommen. Doch die Wahrheit ist, dass diese Branche ohnehin vergleichsweise wenig zum ökonomischen Erfolg einer WM beiträgt, was vor allem daran liegt, dass die Veranstaltung in der Regel auf der anderen Seite fast ebenso viele Besucher auch abschreckt. Zudem könnten die Gastgeber sich an der Erfahrung von Deutschland 2006 orientieren und größere Fanmeilen einrichten. Letzten Endes gilt doch: Wer zu einer Party geht, kümmert sich kaum um die Einrichtung. Bei einer WM geht es um Atmosphäre, nicht um Beton.

Die FIFA hat versucht, die WM auf den Rest der Welt auszudehnen und damit die Illusion erzeugt, dass die dortige Infrastruktur ebenso gut ist wie in Europa. Die Demonstranten auf den Straßen Brasiliens zeigen uns etwas, was wir eigentlich schon wissen sollten. Es ist Zeit, dass die FIFA eine echte Weltmeisterschaft abliefert – und nicht eine Scheinwelt nach Hollywood-Drehbuch.

Stefan Szymanski ist Sportökonom an der University of Michigan und schreibt als Kolumnist für Capital.de über wirtschaftliche Fragen des Sports.

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