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Kaeser-Nachfolge Der stille Machtkampf bei Siemens

Siemens-Chef Joe Kaeser: Sein Vertrag endet im Frühjahr 2021
Siemens-Chef Joe Kaeser: Sein Vertrag endet im Frühjahr 2021
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Nur Joe Kaeser kann seinen Nachfolger Roland Busch noch verhindern. Hinter den Kulissen rangeln Vorstände und Aufsichtsräte weiter um die Frage, wer neuer Siemens-Chef wird

Es ist der 1. August, als Roland Busch schon einmal ausprobieren darf, wie sich Siemens-Chef sein so anfühlt. Im Neubau am Wittelsbacherplatz 1 in München greift der zurückhaltende Technologievorstand zum Mikrofon, rollt zünftig sein fränkisches R und zergliedert den Finanzexperten und Presseleuten die Quartalszahlen des Konzerns. Ein ruhiger, fast monotoner Vortrag ohne rhetorische Arabesken, wie sie der eigentliche Vorstandschef Joe Kaeser so gern in seine Vorträge einstreut. Doch weil der im Firmenjet um die Welt düst, gehört die Bühne dieses Mal seinem Chief Operating Officer Busch. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der an diesem Tag schon deshalb für Flurfunk im Konzernpalast sorgt, weil Kaeser diese Auftritte eigentlich liebt und so gut wie nie versäumt. Aber auch aus einem anderen Grund: weil Busch seit einiger Zeit wirklich als Nachfolger Kaesers im Gespräch ist – und viele alte Siemensianer glücklich darüber wären, wenn er es würde.

Seit der letzten Aufsichtsratssitzung am Mittwoch ist Busch seinem Ziel noch ein Stück nähergekommen: Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe beförderte den obersten Techniker des Konzerns zum offiziellen Stellvertreter Kaesers. Im Siemens-Aufsichtsrat erwärmen sich nach Capital-Informationen inzwischen mehrere Mitglieder für Busch – und zwar sowohl auf der Kapital- als auch auf der Arbeitnehmerbank. „Der nächste CEO muss ganz andere Qualitäten in die Waagschale werfen als Kaeser“, heißt es im Umkreis des Aufsichtsrats. Es gebe in dem Gremium eine Art „Industriefraktion“, Leute mit Erfahrung im produzierenden Gewerbe, die sich Busch sehr gut an der Spitze vorstellen könnten, um etwas mehr Konstanz in den Konzern zu bekommen. Noch aber kann einer den Kandidaten verhindern: Joe Kaeser. Der amtierende CEO hält sich offen, seinen Vertrag noch einmal zu verlängern, der eigentlich im Frühjahr 2021 endet. Erst im Sommer nächsten Jahres soll die finale Entscheidung über den nächsten Siemens-Chef fallen. Und bis dahin kann noch viel passieren.

Im Umkreis des Aufsichtsrats spricht man sogar von einem „stillen Machtkampf“ mit allen möglichen Finten und Fallen. So brachten Mitarbeiter Kaesers Busch in den letzten Monaten für alle möglichen Posten Busch ins Spiel – für die Leitung des neuen Kraftwerkskonzerns, für die Nachfolge von Personalchefin Janina Kugel sowie für den CEO-Posten im Gesamtkonzern. Einer seiner Fürsprecher im Aufsichtsrat aber hält gerade das für eine Intrige Kaesers, um Busch zu verhindern: „Es ist nicht hilfreich, wenn man ständig für mehrere Posten gleichzeitig ins Rennen geht.“

„Man muss auch mal konsolidieren“

In gewissem Sinne geht es bei der anstehenden Entscheidung wieder um den alten Gegensatz zwischen München und Erlangen, dem zweiten Hauptsitz des Konzerns in Bayern. Unter Kaeser gaben zuletzt nur noch die Finanzer, Strategieplaner und Holding-Architekten vom Wittelsbacherplatz den Ton an – Leute wie er selbst. Der Physiker Busch dagegen steht ganz in der Entwickler- und Ingenieurstradition aus Erlangen – und ist dort sogar geboren. Der 54-Jährige kommt mit seiner bescheidenen Art und technischen Expertise nicht nur bei den Industriekunden gut an, sondern auch bei den Betriebsräten und Mitarbeitern.

Der weltweit größte Einzelstandort von Siemens – das Werk Erlangen-Süd – gilt als Hochburg der Unzufriedenen. Der dortige Betriebsrat Dirk Schencke spricht spöttisch nur noch vom „desintegrierten Technologiekonzern“, wenn es um den Kurs der letzten Jahre geht. Siemens habe sich durch „mehr und mehr Zersplitterung und Ausgliederung“ vieler Chancen beraubt. Die Arbeitnehmer in Erlangen wissen, dass es ein völliges Zurück nicht geben kann. Von einem Siemens-Chef Busch aber erhoffen sie sich zumindest den Verzicht auf weitere Ausgliederungen. Eine Erwartung, die man im Aufsichtsrat teilt: „Man muss auch mal konsolidieren und kann nicht immer nur umbauen.“

Gegen Ende der Ära Kaeser zeigt sich, dass der Konzern trotz aller Umbauten nicht viel stabilere Gewinne auswirft als früher. Das Lieblingsprojekt des Chefs, die Sparte Digital Industries, überraschte zuletzt mit besonders schlechten Zahlen: minus fünf Prozent bei den Auftragseingängen, minus zwei Prozent bei den Erlösen und ein Rückgang der Gewinnmarge um heftige fünf Punkte auf 14,3 Prozent. Schlimmer noch: Die Stimmung der Beschäftigten bei Digital Industries spricht nicht gerade für Aufbruch. Bei einer Mitarbeiterumfrage im Mai gaben rund 40 Prozent an, sie könnten Siemens nicht als Arbeitgeber weiterempfehlen. Die Zahlen waren nach Meinung von Siemens-Beschäftigten ein Grund für den überraschenden Abgang der Personalchefin Kugel: „Im Haus hat es gebrannt und brennt noch immer“, meint ein altgedienter Top-Manager aus Erlangen. Von einem Mann wie Busch erhoffen sich deshalb viele wieder mehr echten Teamgeist. Und das, was der Verein der Belegschaftsaktionäre bei Siemens „fachliche Nähe“ nennt.

Mit Roland Busch könnte in der Chefetage ein neuer Stil einziehen
Mit Roland Busch könnte in der Chefetage ein neuer Stil einziehen (Foto: Getty Images)
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Busch kennt den Konzern aus dem Effeff. Seit 1994 klettert der Dr. rer. nat. die Karriereleiter nach oben. Der sehr gut vernetzte Entwicklungschef wirkt als Gastdozent an der Uni Erlangen-Nürnberg, beschäftigt sich selbst mit künstlicher Intelligenz und gilt im Konzern als echter Nachhaltigkeitsfanatiker – Themen, die man nicht gerade mit Kaeser verbindet. Auch seine Sprache verrät schon nach den ersten Minuten, wie er tickt. Wenn Busch etwa von „Herausforderungen höherer Ableitung“ redet, dann verdrehen zwar einige am Wittelsbacherplatz vielsagend die Augen. Ihrer Meinung nach benimmt sich Busch oft wie ein „etwas verkopfter“ Berater und nicht wie ein taffer Entscheider. Viele in Erlangen aber mögen die systematische und zielorientierte Art ihres Vormannes.

Nicht alle bei Siemens sind von Busch überzeugt

Die Busch-Kritiker im Konzern bemängeln, der Technikenthusiast habe durchaus nicht auf allen seinen Konzern-Stationen eitel Freude hinterlassen. So seien etwa die Erfolge seiner zwei Jahre in Schanghai überschaubar geblieben. Und auch in seinem Vorstandsportfolio läuft nicht alles rund. So koordiniert Busch die Zusammenarbeit mit Start-ups und den sinnvollen Einsatz von Venture-Capital. Seine 2016 mit großem Tamtam gegründete Sondereinheit Siemens Next47 wartet aber weiter auf große Durchbrüche.

Der eigentliche Grund für die Skepsis liegt aber wohl ganz woanders. Seit dem Amtsantritt Kaesers wird der Name seines Vorgängers Peter Löscher nirgends mehr erwähnt, seine Amtszeit als „verloren“ verdammt, seine Spartenorganisation als bürokratisch kritisiert und sein Ziel eines Großkonzerns mit 100 Mrd. Euro Umsatz als antiquiert verspottet. Busch aber gilt bis heute bei seinen Gegnern als „Löscher-Mann“. Der frühere Vorstandsvorsitzende förderte Busch und holte ihn 2011 in den Vorstand. Sollte der Löscher-Vertraute nun ganz nach oben rücken, wäre das fast späte Gerechtigkeit für seinen Mentor.

Der Beitrag stammt aus der neuen Capital , die am 19. September erschienen ist. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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