Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
Der Ölpreis fällt nicht – er crasht. In den vergangenen sechs Monaten hat er sich fast halbiert und es gibt viele Marktbeobachter, die auch jetzt – beim Stand von gut 60 Dollar – einen weiteren Rückgang erwarten. Die Ölnachfrage ist schließlich so mau wie die Weltkonjunktur. Und das Angebot sprudelt weiter, auf jeden Fall bei den Saudis, die normalerweise in solchen Fällen auf die Förderbremse treten. Diesmal tun sie nichts. „Warum sollten wir die Produktion kürzen?“, hat der saudische Ölminister in dieser Woche unbeeindruckt gefragt.
Die erfreulichen Effekte dieses Preissturzes liegen auf der Hand und werden seit Wochen gefeiert: Das billige Öl erhöht die Realeinkommen in den Verbraucherländern, denen weltweit ein Kaufkraftgewinn in vierstelliger Milliardenhöhe winkt. Die Europäer, die Japaner und auch viele Schwellenländer können das gerade bestens gebrauchen.
Wer glaubt, dieser Ausverkauf beim „schwarzen Gold“ sei ein uneingeschränkter Segen für die Weltwirtschaft, könnte 2015 allerdings böse überrascht werden. Die neue Kaufkraft fällt schließlich nicht vom Himmel – sie ist jetzt einfach nur woanders (erfreulicherweise: bei uns). Der Ölcrash ist ein gigantisches Umverteilungsprogramm, das in Wirtschaft und Politik einen enormen Anpassungsdruck erzeugt.
Käufer mit den Petrodollars müssen sparen
Über die geopolitischen Folgen wird längst debattiert: Länder, deren ganzes Gesellschaftsmodell um die Verteilung des Ölreichtums gebaut ist, steuern auf unruhige Zeiten zu. Betroffen sind nicht nur chronische Wackelkandidaten wie Venezuela, sondern auch die meisten anderen Opec-Staaten. Und natürlich Russland. Kommt es dort zu politischen Turbulenzen, dann wird das auch die Weltwirtschaft zu spüren bekommen.
Aber selbst wenn es an der politischen Front ruhig bleibt, wird die große Umverteilung der Kaufkraft nicht ohne Folgen für die Finanzmärkte, die Vermögenspreise und den Außenhandel bleiben. Die Käufer mit den Petrodollars, die in den vergangenen Jahren fast überall großzügig auf Shoppingtour waren, müssen jetzt schließlich sparen.
Das ist nicht nur ein Risiko für die Luxusgüterbranchen. Es wird sich auch bei den Investitionsgütern zeigen. Neue Förderanlagen für Öl und Gas braucht im Moment niemand. Und die Budgets für Infrastrukturprojekte, neue Verkehrswege, Städte, Flugzeuge müssen künftig knapper kalkuliert werden.
schönes Geschenk für Deutschland
Umso besser sind dafür die Aussichten im Inlandsgeschäft der Verbraucherländer: Das Geld, das beim Tanken und Heizen gespart wird, steht für Extra-Konsum zur Verfügung. Sei es beim Shoppen, Feiern oder im Urlaub.
Unter dem Strich ist das auch für Deutschland ein schönes Geschenk. Wer wollte darüber meckern. Der Gewinn wird sich aber ungleichmäßig verteilen. Und einige im Exportgeschäft könnten sogar zu den Verlierern gehören. Denen bleibt dann nur der Wechselkurs als Trost. Immerhin war auch der Euro gegenüber dem Dollar zuletzt im Sinkflug. Gerechnet in Euro ist der Ölpreis seit Mai nur um ein gutes Drittel gefallen.