Ausgerechnet in Hamburg, dem Sitz der Spiegel-Redaktion, kommt das Magazin bei seinen Abonnenten manchmal erst am Dienstag an, drei Tage nach seinem offiziellen Erscheinungsdatum. Und das kommt so: Schafft es die Zeitschrift aus irgendeinem Grund am Samstag nicht in den Briefkasten, müsste sie eigentlich am Montag dort landen. Doch am ersten Tag der Woche kommt oft gar keine Post mehr.
Nicht nur an den Zeitungszustellungen, sondern am ganzen Briefverkehr verliert die Deutsche Post DHL Group offenbar jedes Interesse. Anders kann man den neusten, besonders trickreichen Vorstoß des Vorstands nicht interpretieren. Tobias Meyer, der designierte Nachfolger des jetzigen Post-Chefs Frank Appel, möchte die Nachflieger streichen, die bisher zwischen München, Stuttgart, Berlin und Hannover hin und her pendeln und Briefe befördern. Natürlich geht es dabei nur um einen Beitrag zum Klimaschutz, wenn man dem alerten Manager glauben darf. Die CO-2-Belastung sei nun einmal deutlich geringer, wenn man künftig Lastwagen statt Flugzeuge einsetze.
Ökonomische Verschlechterung als ökologische Wohltat
Der große Haken bei der Sache: Mit den Nachtfliegern will Meyer auch eine wichtige Vorgabe des Gesetzgebers aushebeln. Mindestens 80 Prozent der Briefe am nächsten Werktag zustellen. Senke man diesen Wert, so der Post-Mann, könne man die Flüge abschaffen.
Mit anderen Worten: Meyer will den Brief-Service aus ökonomischen Gründen verschlechtern, verpackt seinen Plan aber als ökologische Wohltat. 2019 gab es diesen Versuch schon einmal. Doch der Gesetzgeber stimmte nicht zu. Jetzt erhofft man sich im Bonner Post-Turm eine deutlich bessere Chance: weil eine Ampel-Koalition regiert. Vielleicht wird es der grüne Klimaminister Robert Habeck ja richten.
Aber ist die pünktliche Zustellung von Briefen überhaupt noch wichtig? Private Schreiben spielen in vielen Schichten der Bevölkerung schon lange keine Rolle mehr. Viele Jugendliche haben noch nie im Leben einen Brief geschrieben und in den bildungsfernen Schichten weiß man gar nicht mehr, wie man das macht. E-Mail und Whatsapp-Nachrichten reichen. Das muss man kulturpolitisch bedauern, kann es aber nicht mehr ändern.
Im Geschäftsverkehr spielen Briefe jedoch nach wie vor eine wichtige Rolle. Die meisten Rechnungen gehen per Post raus, die Einladungen zu Hauptversammlungen auch (es sei denn, man verzichtet mit einer ausdrücklichen Erklärung darauf) und amtliche Schreiben sowieso, oft sogar mit Zustellurkunde. Natürlich geht die Zahl der Briefe auch im Geschäftsverkehr zurück, aber noch ist es viel zu früh, um sie für obsolet zu erklären.
Die Bundesregierung sollte den Vorstoß aus Bonn zurückweisen. In der Klimabilanz fallen die sechs Flieger nicht groß ins Gewicht. Vor allem, wenn man die viel größere Zahl der Paket-Flüge als Maßstab nimmt. Die Flugsicherungsbehörde Eurocontrol registrierte allein am 2. Dezember, also an einem einzigen Tag, 305 Flugbewegungen der Post DHL Group in Europa.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.