2020 ist bislang für deutsche Start-ups ein Wechselbad der Gefühle. Trotz der Corona-Krise ist die Zahl der Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr erneut deutlich gestiegen. Sie erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um acht Prozent auf 360 Deals, wie EY im Start-up-Barometer feststellte . Allerdings sei der Gesamtwert der Investitionen stark gesunken: um 22 Prozent oder rund 600 Mio. Euro auf etwa 2,2 Mrd. Euro.
Start-ups: Mehr Deals, weniger Geld
Dieser Rückgang scheint jedoch nicht unbedingt auf eine allgemeine Zurückhaltung von Investoren in der Pandemie hinzudeuten. Ursache für das Minus ist laut EY in erster Linie die deutlich niedrigere Zahl von Großdeals im Umfang von mehr als 100 Mio. Euro: „Im ersten Halbjahr 2020 wurden nur zwei solcher Deals verzeichnet, in der Vorjahresperiode waren es immerhin sieben.“
Die Wirtschaftsprüfer, die wegen des Wirecard-Fiaskos unter Druck stehen, zählten im Juni fast nur ein Drittel so viele Finanzierungsrunden wie im Januar. Die Investitionsvolumina in Start-ups seien allerdings in der Corona-Pandemie von März bis Juni recht stabil geblieben und in den letzten beiden Monaten sogar jeweils leicht gestiegen.
Software und Analytics unter den Favoriten
Insbesondere der Bereich Software & Analytics wirkte sich positiv auf die Bilanz der deutschen Start-ups aus. Hier wurde laut dem Bericht das meiste Geld investiert, 30 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2019. Drei der zehn Top-Deals sei auf diese Branche entfallen. Deutlich weniger Interesse als im Vorjahr generierten demnach hingegen die Bereiche Mobility sowie FinTech/InsureTech.
Deutliche Gewinner und Verlierer gab es auch bei den Regionen. Einer der Standorte verlor fast die Hälfte der Finanzierungssummen, während der ärgste Konkurrenz die Bilanz fast vervierfachen konnte.
Das sind die wichtigsten deutschen Standorte für Start-ups in 2020
Die wichtigsten Standorte für Start-ups

Thüringen liegt unter den Bundesländern bei den Start-up-Finanzierungen auf Platz zehn. Es verzeichnete laut EY im ersten Halbjahr 2020 fünf Finanzierungsrunden, zwei mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Finanzierungssummen stiegen von zwei auf fünf Mio. Euro. Das bedeutete bundesweit Platz zehn. Die übrigen sechs Bundesländer kamen auf insgesamt 16 Finanzierungsrunden, drei weniger als im Vorjahreszeitraum.

Niedersachsen konnte entgegen dem positiven Trend die Zahl der Finanzierungsrunden nicht erhöhen. Stattdessen blieben sie auf dem Vorjahreswert von sieben Runden. Dafür erhöhten sich die Finanzierungssummen von drei auf fünf Mio. Euro. Mit dieser Bilanz lag Niedersachsen allerdings deutschlandweit nur auf Platz neun.

Rheinland-Pfalz verzeichnete im ersten Halbjahr 2020 acht Start-up-Finanzierungen, doppelt so viele wie 2019. Dafür blieben aber die Finanzierungssummen mit 13 statt zwölf Mio. Euro insgesamt quasi auf Vorjahresniveau.

Die hessische Start-up-Szene hat während der Corona-Krise offenbar stark gelitten. Die Zahl der Finanzierungsrunden sank von 15 auf neun. Das reichte bundesweit nur noch für Platz sieben. Die eingesammelten Investitionen schrumpften im Verhältnis noch stärker, von 21 auf sechs Mio. Euro. In diesem Bereich belegte Hessen lediglich Platz zehn.

Sachsen ist hingegen trotz der Pandemie als Start-up-Standort im Aufwind. Ein deutliches Plus gab es sowohl bei den Finanzierungen, die sich mit einem Anstieg von neun auf 17 Finanzierungen fast verdoppelten, als auch bei den Summen, die von 29 auf 40 Mio. Euro anwuchsen.

Hamburg hat dagegen stark ans Strahlkraft verloren. Die Zahl der Finanzierungsrunden sank um rund ein Drittel von 25 auf 17. Auch finanziell büßte der Standort erheblich ein. Investoren gaben im ersten Halbjahr statt der 81 Mio. Euro im Vorjahr nur noch 26 Mio. Euro. Damit lag Hamburg auf Platz sechs und nur knapp vor Bremen. Bremen schaffte es zwar bei der Zahl der Finanzierungsrunden nicht in die Top 10. Bei den eingesammelten Summen aber lag das kleine Bundesland mit 15 Mio. Euro – gegenüber sechs Mio. Euro im Vorjahreszeitraum – bundesweit auf Platz sieben.

Baden-Württemberg gehört 2020 bislang zu den Verlierern unter den Start-up-Standorten. EY verzeichnete statt 42 nur noch 17 Deals – und damit weniger als die Hälfte des Vorjahreswertes. Die Gesamtsumme schrumpfte ebenfalls – um etwa ein Drittel – auf 105 Mio. Euro.

Nordrhein-Westfalen musste ebenfalls Federn lassen. Während bundesweit die Zahl der Finanzierungen stieg, sank sie im bevölkerungsreichsten Bundesland von 42 auf 32. Die Finanzierungssummen sanken um mehr als die Hälfte von 133 auf 60 Mio. Euro. NRW verlor damit im Vergleich zu den beiden Spitzenreitern weiter an Boden.

Die bayerische Start-up-Szene ist im ersten Halbjahr 2020 durchgestartet. Die Zahl der Deals schoss von 52 auf 83. Die Finanzierungssummen konnten sogar fast vervierfacht werden. Sie stiegen von 204 auf 773 Mio. Euro. Damit entfiel laut EY ein Drittel (35 Prozent) des bundesweiten Deal-Volumens auf Bayern. Dafür verantwortlich waren insbesondere zwei Mega-Deals. 218 Mio. Euro gingen im März an das bayerische Lufttaxi-Unternehmen Lilium. Ihm gelang dem Bericht zufolge die Top-Finanzierungsrunde des ersten Halbjahres 2020. Weitere 68 Mio. Euro steuerte die Personal-Software Personio im Januar bei. Allerdings konnte Bayern dem Spitzenreiter unter den Start-up-Standorten immer noch nicht gefährlich werden.

Berlin bleibt das Zentrum der deutschen Start-up-Szene. Gründer kamen in der Hauptstadt im ersten Halbjahr 2020 auf 149 Finanzierungsrunden, 14 Prozent mehr als im Vorjahr. 41 Prozent aller Deals entfielen bundesweit auf Berlin – genau so viele wie in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg zusammen. Der Abwärtstrend bei den Finanzierungssummen machte sich aber auch dort bemerkbar. Die Bilanz sank von 2,14 auf 1,14 Mrd. Euro. Damit kam aber weiterhin mehr als jeder zweite investierte Euro (52 Prozent) einem Berliner Start-up zugute. Die Bundeshauptstadt verzeichnete laut EY drei der Top-Fünf-Finanzierungen des ersten Halbjahrs: Grover (Platz zwei, 195 Mio. Euro), N26 (Platz drei, 91 Mio. Euro) und Contentful (Platz vier, 73 Mio. Euro).