Nach nur vier Jahren verabschiedet sich Italien mit einer einfachen diplomatischen Note aus dem wichtigsten internationalen Projekt der chinesischen Führung: der „neuen Seidenstraße“. Im März 2019 war das EU-Land als einzige große westliche Industrienation den Lockrufen von Staats- und Parteichef Xi Jinping erlegen, sich der weltweiten Infrastrukturinitiative Chinas anzuschließen. Jetzt heißt es in Rom, die „neue Seidenstraße“ habe niemals die erhofften positiven Effekte erbracht. In der vergangenen Woche zog Italien jetzt, wie schon vor Monaten angekündigt, die längst überfälligen Konsequenzen.
Zur gleichen Erkenntnis sind mittlerweile auch viele andere Staaten gekommen – vor allem in den ärmeren Regionen Afrikas und Asiens. Der Bau von Häfen, Bahnlinien, Flughäfen und Straßen hat ihnen einen Berg von Schulden beschert. Die Erträge reichen nicht aus, um die chinesischen Darlehen zu tilgen. Oft reichen sie noch nicht einmal aus, um die vereinbarten Zinsen zu begleichen. Aus dem Projekt zurückziehen wie Italien können sich die betroffenen Staaten trotzdem nicht – weil sie längst zu abhängig von China sind, um einen Trennungsstrich zu ziehen.
China hat nach westlichen Schätzungen mittlerweile fast eine Billion Euro in das persönliche Prestigeprojekt Xi Jinpings gesteckt. Wirtschaftlich rechnet sich das Projekt auch für die Volksrepublik nicht. Einigen Ländern musste die chinesische Regierung bereits Schulden erlassen. Über kurz oder lang werden sich größere Abschreibungen nicht vermeiden lassen. Noch nicht einmal politisch erreicht die „neue Seidenstraße“ ihre Ziele. Sie hat die beteiligten Länder zwar in die Abhängigkeit von der Volksrepublik getrieben, zugleich aber auch starke antichinesische Gefühle in vielen Gesellschaftsschichten erzeugt. Der „chinesische Imperialismus“ gilt heute in manchen afrikanischen Ländern genauso als schlimmer Feind wie früher der europäische Kolonialismus.
Unter Xi Jinping hat China den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen und politischen Anziehungskraft auf andere Nationen überschritten. Amerikanische Experten haben den Begriff „Peak China“ geprägt: Nach einem beispiellosen Aufstieg nach der Öffnung des Landes 1978 habe die Volksrepublik mittlerweile ihren Zenit überschritten. Das wirtschaftliche Modell stößt an seine Grenzen, das Wachstum der Wirtschaft dürfte kaum noch die alten Höhen erreichen und die Probleme einer alternden Gesellschaft machen sich immer stärker bemerkbar. Das Ziel, eines Tages die USA als größte Volkswirtschaft der Welt zu überholen, scheint unter den jetzigen Bedingungen nicht erreichbar. Sollte sich Xi Jinping auch noch auf militärische Abenteuer einlassen und die Eroberung Taiwans auf die Tagesordnung setzen, dürfte sogar der schnelle Abstieg Chinas programmiert sein.
Die Historiker werden eines Tages die Herrschaft Xi Jinpings als größte Zäsur in der neueren Erfolgsgeschichte Chinas markieren. Und dabei sicherlich der „neuen Seidenstraße“ ein eigenes Kapitel widmen. Eine Billion Euro hätte Xi Jinping besser in die Entwicklung seines eigenen Landes gesteckt als sie in den Savannen und Steppen Afrikas und Asiens sinnlos zu versenken.