David Milleker ist seit 2006 Chefvolkswirt bei Union Investment, einer der größten deutschen Fondsgesellschaften. Sie gehört zur genossenschaftlichen Finanzgruppe.
China dominiert gegenwärtig zurecht die Schlagzeilen. Wichtiger als das Problem, ob China die Turbulenzen auf seinem Aktienmarkt in den Griff bekommt, ist die Frage, wie es mit dem chinesischen Wachstum weitergeht. Als Musterschüler im globalen Kontext hatte China nach 2008 seine Investitionen hoch- und seinen Leistungsbilanzüberschuss heruntergefahren und damit die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise im Westen ein Stück weit abgemildert.
Zu einem Zeitpunkt, wo der Westen zwar schon wieder auf eigenen Beinen steht, aber noch nicht wieder zu alter Stärke zurückgefunden hat, stößt das Wachstum im Reich der Mitte jetzt an Grenzen. Bei historisch-vergleichender Betrachtung der chinesischen Investitionsquote oder grober Maße für die Kapitaleffizienz drängen sich zwei Schlussfolgerungen auf: Erstens bringen zusätzliche Investitionen volks- und betriebswirtschaftlich kaum noch Mehrwert. Zweitens mussten andere Volkswirtschaften, die jemals mehr als 40 Prozent der Wirtschaftsleistung für Investitionen verwendet haben, anschließend regelmäßig einen scharfen Einbruch durchmachen.
Zunächst einmal sollte man der chinesischen Staatsführung Anerkennung dafür zollen, dass sie die Notwendigkeit des Umsteuerns erkannt hat. Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, nur weil der Umbau nötig und richtig ist und beherzt eingeleitet wurde, sollte er auch schnell wieder zu anhaltend hohen Wachstumsraten führen.
Nur noch zwei bis drei Prozent Wachstum?
Dagegen spricht eine einfache mathematische Erkenntnis: Das Gesamtwachstum ist die mit Anteilen an der Wirtschaftsleistung gewichtete Summe der Wachstumsraten aller Einzelkomponenten. Rechnet man ganz simpel ein Szenario, in dem die Investitionsquote über fünf Jahre um zehn Prozentpunkte zurückgeht und der Konsum jedes Jahr um 15,4 Prozent zulegt (das wäre der höchste jemals in einem Jahr verzeichnete Zuwachs), würde sich das Wachstum rein schematisch auf fünf bis sechs Prozent im Jahr verlangsamen.
Und das ist nur die mathematische Seite. Die ökonomische sieht sogar noch schwieriger aus. Es wäre eine historisch beispiellose Konstellation, dass Investitionen im Sinkflug sind und gleichzeitig der Konsum im Rekordtempo zulegt. Die Regel ist das Gegenteil: Schwache Investitionen wirken über entsprechend weniger Arbeitsplätze negativ auf den Konsum. Somit dürfte sich das Umsteuern der chinesischen Staatsführung in der Übergangsphase sogar noch negativer auf das Wachstum auswirken. Überschlägig landet man dann eher nur noch bei zwei bis drei Prozent Wachstum. Das ist nicht schön. Aber die realistische Alternative dazu wäre eine noch viel härtere Anpassung in einigen Jahren. Von daher bleibt das Umsteuern richtig, auch wenn es kurzfristig (sehr) weh tut.
Werden wir im Westen diesen enormen Wachstumsdämpfer in China zu spüren bekommen? Mit Sicherheit, auch wenn sich die unmittelbaren Auswirkungen in Grenzen halten sollten. Andere Schwellenländer werden wohl deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen. Für den Wachstumsausblick aus Perspektive der westlichen Welt wird zentral sein, dass sich die Abschwächung in den Schwellenländern nicht so stark kumuliert, dass eine globale Negativspirale in Gang kommt. Am besten wird sich das an der Dynamik des Welthandels ablesen lassen. Bislang ist hier auf Sicht der nächsten sechs Monate noch kein Warnsignal zu sehen, da die Zuwächse in der Nordatlantikregion die schon sichtbare Schwäche in Asien überlagern. Hoffen wir, dass das so bleibt!