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Gastkommentar Das Coronavirus killt Trumps Politikstil

US-Präsident Trump hat die Corona-Krise lange nicht ernst genommen
US-Präsident Trump hat die Corona-Krise lange nicht ernst genommen
© Getty Images
Was kein Demokrat und kein Amtsenthebungsverfahren vermochte, schafft jetzt eine Krankheit: die Wiederwahl des US-Präsidenten ernsthaft in Gefahr zu bringen. Nie wurden Trumps menschliche und politische Defizite so offensichtlich wie zu Zeiten des Coronavirus

Sichtlich erkrankt gab Heidi Klum vergangenen Freitag bekannt: „Ich fühle mich echt nicht gut und habe gleich zwei Ärzte gebeten, mich auf Coronavirus zu testen - doch es gibt einfach keine Tests.“ Auch wenn es nicht als Kritik gemeint war - die 46-Jährige gehört zu denen, die ihre Bekanntheit nicht für politische Statements nutzen - so legte ihre Botschaft das Debakel der amerikanischen Coronavirus-Krise offen. Während Asien, Südamerika, Australien und Europa ihre Schutzmaßnahmen immer weiter verschärfen, schaffte es in den USA bis vor Kurzem noch nicht einmal eine prominente Geschäftsfrau wie Klum, sich auf die Krankheit untersuchen zu lassen. Denn es gab (und gibt) landesweit viel zu wenige Tests, die die Voraussetzung dafür sind, Infektionsketten aufzuspüren und gezielt Quarantänen zu verhängen.

Die USA, das reichste Land der Welt, ließen Wochen ungenutzt verstreichen, bevor sie reagierten - und das geht vor allem auf die Kappe von Donald Trump. Der selbsternannte Retter Amerikas zeigte sich wie beim Klimawandel als Meister der Realitätsverweigerung, schaute tatenlos zu, wiegelte ab und verharmloste. Gesundheitsminister Alex Azar sprach seinen Chef schon im Januar auf Corona an, doch der Herrscher im Weißen Haus zog es vor, über den Umgang mit E-Zigaretten zu reden.

Trump: „Wir haben es unter Kontrolle“

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar berauschte sich Trump mal wieder an sich selbst: „Amerika wächst und gedeiht.“ Subtext: Was natürlich nur mir geilem Hecht zu verdanken ist. Ach ja, das Virus: „Wir haben es unter Kontrolle.“ Wieder einmal blökte der US-Präsident etwas in die Welt hinaus, ohne auch nur ansatzweise informiert gewesen zu sein. Zu dem Zeitpunkt gab es in China längst Tote, die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte eine Krisensitzung angesetzt und Virologen waren sich sicher: Das Virus ist von Mensch zu Mensch übertragbar.

Aber Trump hat noch immer nicht verstanden, dass Politik Fleißarbeit ist und man sich informieren muss. Die Corona-Krise sei spätestens im April vorbei, „wenn es etwas wärmer wird“ - klar doch. Trump zeigte sich einmal mehr immun gegen die Wirklichkeit, die sein Hirngespinst vom - in nur drei Jahren - neu erschaffenen großartigen Amerika bedroht. Narzisstisch, wie er ist, wandelt Trump in seiner kritikresistenten und wissenschaftsfeindlichen Blase, die er selbst geschaffen hat, um sein Eigenbild des Größten aller amerikanischen Präsidenten seit Lincoln aufrecht zu erhalten. Er sprach von „Schwindel“ - und wie immer folgten seine Anhänger ihm. Noch vor wenigen Tagen hielten Trump-Fans das Virus für eine Erfindung der Demokraten, um ihrem vergötterten Superman zu schaden.

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Irgendwann raffte es sogar Trump, dass die Lage ernst und seine Wiederwahl in Gefahr sein könnte, setzte sich eine Baseballkappe auf, zeigte, dass er in den Modus des Krisenmanagers gewechselt sei und verhängte ein Einreiseverbot gegen Europäer. Sein Versuch, die EU zum Sündenbock für sein Versagen zu machen, ist lächerlich. Was für ein asozialer Egomane Trump ist, zeigte er bei dem Versuch, medizinisches Know-how aus Deutschland exklusiv für die USA zu sichern.

Weil er, der Abgehobene, jede Bodenständigkeit verloren hat, kam sich Trump noch nicht einmal idiotisch vor, vergangenen Freitag in Großbuchstaben auf Twitter den größten Kurssprung am Aktienmarkt in der Geschichte des Landes zu feiern - ohne allerdings darauf zu verweisen, dass in den Tagen zuvor Anleger unvorstellbare Milliardensummen verloren hatten. Die Realität ist eben nicht Trumps Ding, wenn sie ihm nicht in den Kram passt. „Wir haben enorme Kontrolle über das Virus“, sagte er neulich. Und: „Kein Land ist besser vorbereitet und ausgestattet, um dieser Krise entgegenzutreten.“ Anthony Fauci, der Chef des Nationalen Zentrums für Allergien und Infektionskrankheiten, beschreibt den Grad der Prävention so: „Es ist eine Schwäche, geben wir's zu.“ Und: „Das Schlimmste liegt noch vor uns.“

„Wir haben die großartigsten Experten der Welt“

Neu für Trump ist, dass er es mit einem Gegner zu tun hat, bei dem seine Mittel nicht wirken. Er kann ihn nicht auf Twitter beleidigen, um eigene Anhänger über Emotionen und Bauchgefühle hinter sich zu versammeln. Mit der angeblichen „Crooked Hillary“ mochte dies funktionieren. Aber ein Virus lässt sich nicht aus der Welt twittern und von keiner Mauer aufhalten. Das macht auf seiner Welttournee eiskalt Halt in den USA. Zahlen von Infizierten und Toten sind keine Auslegungssache, sie lassen sich nicht zu alternativen Fakten verdrehen. Beim Klimawandel kann Trump Zweifel säen - beim Coronavirus zeigen die Bilder aus Italien und China die bittere Wahrheit.

Der Kommentar ist zuerst auf ntv.de erschienen

Quelle: ntv.de

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