Peter Eigen , Gründer von Transparency International, sieht in vielen Teilen der Welt Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung. Doch selbst in westlichen Ländern, wie Deutschland, herrschen nach wie vor Probleme mit Intransparenz und Interessenskonflikten. Das NGO feiert dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Anlass für ein Resümee.
25 Jahre gibt es Transparency International nun. Was war damals ihr Antrieb als Sie die Organisation gegründet haben?
Peter Eigen: Ich war 25 Jahre für die Weltbank tätig unter anderem in Afrika und Lateinamerika, wo ich leitende Positionen innehatte. Dort ist mir das Ausmaß der Korruption vor Augen geführt worden, sodass ich eine Initiative innerhalb der Weltbank gegründet habe, um die dortige Bevölkerung vor Korruption zu schützen. Auf einer Konferenz in Swasiland habe ich dann eine Taskforce vorgeschlagen, die Unternehmen gegenseitig verpflichteten, sich nicht an Korruption zu beteiligen. Das kam zunächst gut an, doch als ich zurück nach Nairobi kam, rief mich die Rechtsabteilung der Weltbank an und sagte mir, ich könne dieses Projekt nicht weiter verfolgen, da es sich um eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jeweiligen Länder handele.
... war das nur ein Vorwand?
Das sieht so aus. Später kriegte ich mit, dass einige Mitgliedstaaten der Weltbank die Korruption im Ausland erlaubt und sogar steuerlich absetzbar gemacht haben. Übrigens auch Deutschland.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe nach dieser Zurechtweisung den Verantwortlichen mitgeteilt, dass ich fortan die Korruptionsbekämpfung in meiner Freizeit nach dem Feierabend voranbringen wolle. Das ging auch mit der gebildeten Taskforce drei bis vier Monate gut, bis ich einen Anruf des damaligen Präsidenten der Weltbank kriegte: Er verbot mir, weiter an meiner Idee zu arbeiten – auch nicht in meiner Freizeit. Er sagte, es sei peinlich für die Weltbank, wenn jemand romantisierende Ideen von Korruptionsbekämpfung hätte, und wenn das nicht aufhöre, müsse ich die Weltbank verlassen. Daraufhin bin ich gegangen.
Hatten Sie keine Bedenken einen gut bezahlten und sicheren Job aus diesen Gründen hinzuwerfen?
Für mich waren die Gründe schwerwiegend. Nicht nur die Summen, die durch Korruption fehlgeleitet werden, sind das Problem, sondern in erster Linie wirtschaftspolitische Entscheidungen, die durch Korruption in die falsche Richtung führen und sogar Projekte mit negativen Folgen für die Bevölkerung beschlussfähig machen. Das führte unter anderem zu Großprojekten, die niemand brauchte und zu teilweise exorbitanter Verschuldung.
Glauben Sie, dass es bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) heutzutage ähnlich abläuft?
Absolut nicht. Die GIZ, damals noch GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit), war schon früher einer meiner größten Partner. Während viele damalige Politiker der Ansicht waren, Korruption sei ein notwendiges Mittel, um im Ausland an Aufträge zukommen, hat die GIZ schon früh jegliche Form von Korruption abgelehnt. Während andere Institutionen erst später vom Saulus zum Paulus geworden sind, wie der Währungsfonds oder die Weltbank.
Wie kam es, dass sie so hartnäckig gegen Korruption vorgegangen sind, obwohl Ihnen von vielen Seiten Steine in den Weg gelegt worden sind? Wollten Sie nie aufgeben?
Ich hatte schon immer ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Mein Elternhaus war relativ unpolitisch. Aus dieser Richtung rührte es also nicht. Ein Schlüsselerlebnis war eine ausgedehnte Reise durch Lateinamerika, die ich mit 24 Jahren nach einem Jahr an der Universität von Kansas gemacht habe. Ich bin gen Süden bis nach Argentinien getrampt und habe mir dort einen Job auf einen Schiff besorgt, dass mich wieder nach Europa gebracht hat. Der Trip in Südamerika hat fünf Monate gedauert und hat mir so viel Gewalt und Ungerechtigkeit durch die Oberschicht vor Augen geführt. Das hat mich auf makabre Weise angerührt, wie Menschen ohne einen Anflug von Menschlichkeit mit anderen umgehen. Diese hautnahe Erfahrung von Ausbeutung hat mich nachhaltig geprägt.
Haben Sie dieses Bewusstsein während Ihrer Zeit als junger Mann bei der Weltbank aufrechterhalten können?
Das Bewusstsein hatte ich durchgängig. Ich wurde nur mit der Realität konfrontiert und hatte mich dann irgendwann damit abgefunden, dass die Weltbank kein politisches Mandat hat und wir daher selbst bei der Veränderung der politischen Gegebenheiten keine Rolle spielen.
Wie kam dann der Wandel diese politische Untätigkeit nicht länger zu akzeptieren?
Ich empfand, dass dieses fehlende politische Mandat als Grund vorgeschoben wurde, um nichts zu tun und Korruption von Seiten der Weltbank auch noch zu fördern. Das konnte ich nicht mehr akzeptieren.
Gab es bei der Weltbank auch Kollegen, die bestechlich waren?
Mit Sicherheit gab es die auch. Das schwerwiegendere Problem war, dass bei Ausschreibungen um Kredite der Weltbank geheime Absprachen stattgefunden haben, die dazu führten, dass Projekte ohne jeglichen Mehrwert durchgeführt wurden. Da wurden Umsiedlungen angeordnet, massive Umweltschäden verursacht und es gab immer wieder Mord und Totschlag. Letzteres meine ich nicht im übertragenen Sinne.
Wie hält man 25 Jahre diesen Kampf gegen Windmühlen aus? Verlieren Sie nicht manchmal auch die Fassung, wenn Sie sehen wie unanständig manche politischen Entscheider agieren?
Die Frage ist doch die: Sollte man das ganze Problem moralisierend anpacken? Ich bin dafür kritisiert worden, das weitestgehend zu umgehen. Klar herrscht in vielen Religionen – und mehr als zwei Drittel der Menschen weltweit sind in Glaubensgemeinschaften involviert – der Tenor, dass Korruption schlecht sei. Doch wir sind eine internationale Organisation und müssen sauber arbeiten und müssen auch auf die Unterschiedlichkeit der ethischen Sichtweisen der Menschen Rücksicht nehmen. Wir haben den Versuch, ethisch zu argumentieren, zumindest auf der globalen Ebene sehr gering gehalten, weil wir die unterschiedlichsten Kulturen, Traditionen, Wertvorstellungen einbeziehen wollten. Wir haben auch versucht, nicht von außen die Beurteilung des Fehlverhaltens zu entwickeln, sondern wollen es den Beteiligten selbst überlassen.
Abgesehen von der Arbeit von Transparency International, macht es sie nicht wütend, dass Korruption noch so weit verbreitet ist und auch einen fehlenden Anstand dokumentiert?
Eher enttäuscht. Ich bin schon oft enttäuscht worden von Leuten, mit denen ich lange zusammengearbeitet habe. Bei denen sich später herausstellte, dass sie selbst in Korruption verwickelt waren. Siemens beispielsweise hat sich früher bei uns stark eingebracht, ist korporatives Mitglied geworden und war hilfreich bei dem Versuch, ausländische Korruption zu verhindern. Damals habe ich von anderen NGOs Prügel bezogen, die meinten, Siemens benutze uns nur als Feigenblatt. Im Endeffekt hat sich herausgestellt, dass Siemens weiter Korruption im großen Stile betrieb. Solche Enttäuschungen gab es vielfach: von Regierungschefs bis hin zu Kollegen.
Deutschland ist im Index „Wahrgenommene Korruption “ schlechter als im Vorjahr bewertet worden. Inwieweit ist Deutschland korrupt?
Deutschlands Position ist ja keine schlechte (12. Platz Anm. d. Red.). Es gibt nur Länder, etwa im skandinavischen Raum, die deutlich besser abschneiden. Das liegt auch an deren Gepflogenheiten und Traditionen. Die Informationsfreiheit im öffentlichen Sektor etwa ist in den nordeuropäischen Ländern vorbildlich. Auf diesem Gebiet hinkt Deutschland noch hinterher. Die Offenlegung von Einkommen und potentiellen Interessenkonflikten ist ein ganz wesentlicher Faktor bei der Korruptionsbekämpfung, der nicht zu vernachlässigen ist. Generell besteht das Integritätssystem aus einer Reihe von Elementen, die das Gesamtbild der Korruptionskontrolle zusammenfügen.
Wo hat das deutsche Integrationssystem seine Schwächen?
Dafür ist die sehr tüchtige deutsche Sektion von Transparency zuständig. Als Illustration will ich nur zwei Beispiele nennen: Das Informationsfreiheitssystem ist sehr schlecht entwickelt. Dort herrscht kein einheitliches Bild. Im Bund existieren andere Regeln als in den Ländern, wo die Maßgaben jeweils andere sind. Das Problem sind Informationen für die man zahlen muss oder die man fast nur mit einem Anwalt einklagen kann. Ein zweiter deutscher Schwachpunkt sind die laschen Informationspflichten von Abgeordneten. Welche Lobbyisten bei ihnen ein- und ausgehen, welche Nebenverdienste sie noch haben.
Wie sieht ihr Resümee nach 25 Jahren Transparency International aus? Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen?
Ich denke das können wir sein. Schauen sie sich an, wie das Anti-Korruptionsdenken Teil des Mainstreams geworden ist. Die Wut der Öffentlichkeit auf die Korruption nimmt zu. Ausländische Korruption wird in vielen Ländern bestraft – auch in Deutschland. Eine Bewusstseinsänderung macht sich auch in den Institutionen bemerkbar. Die Weltbank ist mittlerweile dabei, die Uno hat eigene Konventionen aufgelegt. Die meisten großen Unternehmen haben Compliance-Abteilungen, um sich vor korrupten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schützen. Dennoch haben wir noch viel vor der Brust, denn Korruption geschieht auch heute noch im großen Stil und unsere Aufgabe ist es, Schritt für Schritt ein Gegengewicht darzustellen.