Wer etwas von globaler Verantwortung hält, sieht es kritisch. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, UN-Generalsekretär Antonio Guterres oder der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Ghebreyesus warnen vor „Impfnationalismus“. Es dürfe in der nur global zu lösenden Pandemie keine Monopolisierung der Versorgung mit Impfstoffen geben. Fakt ist jedoch: Rund um den Globus haben sich Staaten bereits vorsorglich große Mengen Impfdosen gesichert, die nach der Zulassung vor Covid-19 schützen sollen.
Eine beispiellose Mobilisierung von Ressourcen hat es inzwischen wahrscheinlich gemacht, dass Impfstoffe gegen das Coronavirus in absehbarer Zeit verfügbar sein werden. Vorbereitungen für die Serienproduktion laufen auf Hochtouren – ebenso wie diplomatische Bemühungen, dass nicht einige wenige Staaten die erfolgreichen Impfstoffe schnell und teuer abgreifen. Eine gerechte Verteilung ist das Ziel. Angefangen bei den USA, Großbritannien, der EU und Japan, haben aber bereits Milliarden Impfdosen für sich reserviert.
So hat die Kampagnenorganisation Oxfam basierend auf Angaben über voraussichtliche Serienkapazitäten aus dem Analysehaus für Gesundheitsdaten Airfinity errechnet , dass von den absehbar verfügbaren 5,9 Milliarden Dosen der fünf führenden Impfstoffkandidaten (Astra Zeneca, Gamaleya/Sputnik, Moderna, Pfizer und Sinovac) der größte Teil bereits vertraglich vergeben sei: Etwas mehr als die Hälfte habe sich eine kleine Gruppe wohlhabender Länder und Regionen gesichert, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachten. Der Rest sei Schwellen- und Entwicklungsländern zugesagt.
Gegen die Monopolisierung
Gegen diesen Vorverteilungstrend will die Initiative Covax auch ärmeren Staaten so früh wie möglich den Start einer Immunisierung ermöglichen. Koordinator ist die WHO, die um Unterstützung für das unter ihrem Dach geschaffene Projekt ACT wirbt – kurz für Access to Covid-19 Tools. Es soll die faire Verteilung von Tests, Medikamenten und Impfstoffen sicherstellen. Um letzteres kümmert sich konkret die Allianz Covax, angeführt von der Impfallianz Gavi und der Forschungsallianz CEPI.
Sie will zwei Milliarden Dosen einkaufen und zum Beispiel auch Pflege- und Arztpersonal in Afrika vorrangig versorgen. Jedes der 180 Länder soll zunächst nur so viele Dosen bekommen, um 20 Prozent seiner Bevölkerung zu immunisieren, bis alle beteiligten Länder mit diesen Mengen versorgt sind.
Die Bill und Melinda Gates-Stiftung hat sogar eine Studie über die Nutzen einer gerechten globalen Verteilung von Covid-19-Impfstoffen in Auftrag geben. Die Northeastern University in Boston verglich darin das Szenario eines Monopols von rund 50 wohlhabenden Ländern auf zwei Milliarden Impfdosen mit einem Modell der anteiligen Verteilung nach Bevölkerungsgröße ohne Rücksicht auf die Kaufkraft. Laut dem Ergebnis könnten im zweiten "gerechten" Rechenmodell 61 Prozent Todesfälle verhindert werden, gegenüber 33 Prozent im ersten.
Nach Einschätzung von Experten müssen rund 70 Prozent der Weltbevölkerung oder 5,6 Milliarden Menschen wahrscheinlich zweimal geimpft werden, damit Herdenimmunität erreicht wird und dem Virus die Ansteckungsherde ausgehen. Airfinity hält eine Impfstoffproduktion in Milliardenhöhe frühestens 2022 für möglich, der indische Großhersteller Serum Institute of India (SII) sieht eine ausreichende Versorgung für die ganze Welt erst im Jahr 2024.
Dies sind die Länder, die sich vorsorglich die größten Impfstoffmengen gesichert haben. Die Angaben beruhen auf Auswertungen der Organisation ONE, die das Verhalten von Staaten und Firmen zugunsten einer gerechten Verteilung nachverfolgt.
Corona-Impfstoff: Reservierungen
Die Hoffnung von Präsident Donald Trump auf einen Impfstoff vor den US-Wahlen haben sich nicht erfüllt. Doch sind die USA ein Paradebeispiel für „Impfnationalismus“, wie er von WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilt wird. Washington hat sich mindestens 800 Millionen Impfdosen für die eigene Bevölkerung gesichert – mit der Option auf weitere 900 Millionen und breit gestreut auf die Frontrunner in der Impfstoffentwicklung: Astra Zeneca, Johnsen&Johnsen, Moderna, Novavax, Pfizer/Biontec und Sanofi/Glaxo Smith Kline. Trumps Herausforderer Joe Biden verspricht den Amerikanern Gratis-Impfungen gegen den Covid-19-Erreger.
Die EU-Kommissare Schinas und Kyriakides stellen der Presse in Brüssel die Impfstrategie der EU in der Coronakrise vor. Nachdem EU-Mitgliedsstaaten begonnen hatten, sich einzeln Zugang zu größtmöglichen Impfstoffkontingenten zu sichern, preschte die EU-Kommission mit einem eigenen Plan vor. Mehr als eine Milliarde Dosen sind bei Astra Zeneca, Sanofi/GSK und Johnson & Johnson vorbestellt. Gemeinsam sei man besser gegen ein Scheitern gefeit und könne sich Vorteile sichern, hieß es in Brüssel. Man müsse Risiken streuen und Investitionen bündeln. Deutschland hat Vertragsverhandlungen mit Impfstoffherstellern an Brüssel übergeben. „Wir wollen eine Produktion in Europa, aber zum Nutzen für Europa und den Rest der Welt“, heißt es in einem Kommissionspapier.
Als erstes hatte der äthiopische WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus im August vor Impfnationalismus gewarnt. Die WHO leitet mit den öffentlich-privaten Impfallianzen Gavi und Cepi, die zum Teil von der Stiftung von Bill und Melinda Gates finanziert werden, das Projekt Covax. Es scheint bislang Abmachungen für 500 Millionen Dosen geschlossen zu haben. Ziel ist es, bis Ende 2021 zwei Milliarden Impfdosen zu kaufen. Teilnehmende Länder können Impfstoffe von Covax kaufen oder bei Bedarf kostenlos bekommen. Es sollen rund 90 Industrie- und Schwellenländer sowie 92 einkommensschwache Staaten mitmachen und Zuteilungen erhalten können.
Auf dem Londoner Trafalgar Square protestieren Impfgegner und Corona-Skeptiker. Die meisten Impfdosen pro Einwohner gegen das Coronavirus hat sich die britische Regierung reserviert – nun in der Krise außerhalb der EU auf sich gestellt: Mit 340 Millionen Einheiten sind das fünf pro Einwohner. Auch London hat sich breit aufgestellt und Vereinbarungen mit sechs verschiedenen Herstellern geschlossen, darunter dem amerikanischen Impfstoffentwickler Novavax und dem belgischen Hersteller Janssen, einer Tochter des US-Konzerns Johnson & Johnson.
Die japanische Regierung fördert mit Millionensummen eine heimische Impfstoffentwicklung unter der Führung der Universität Osaka. Zugleich sichert sie sich aber im Ausland ab und hat bei drei potenziellen Siegern des Rennens um einen Impfstoff knapp 300 Millionen Impfdosen reserviert: Astra Zeneca, Pfizer und Moderna. Mit Hilfe einer rechtzeitigen Immunisierung der Bevölkerung erhofft sich die Regierung, die auf 2021 verschobenen Olympischen Sommerspiele abhalten und Gäste aus aller Welt begrüßen zu können. Im Bild das für die Spiele gebaute Tokyo Aquatics Centre.
Demonstranten in Mexiko City unterstützen ihren in der Corona-Krise angeschlagenen Präsidenten Andres Manuel Lopez Obrador (AMLO). Mexikos Präsident und der argentinische Kollege Alberto Fernandez haben mit Astra Zeneca vereinbart, in Argentinien für die Region bei der Biotechnologiefirma mAbxience der INSUD-Gruppe 150 Millionen Impfdosen gegen den Covid-19-Erreger zu fertigen – mit einer Option auf 400 Millionen zusätzlich. Die Stiftung des mexikanischen Unternehmers und Milliardärs Carlos Slim hat offenbar dafür gespendet. In der Region Lateinamerika und Karibik ist die Corona-Todesrate weltweit am höchsten.
Dozenten in Sao Paolo protestieren gegen Vorlesungen ohne Impfung. Brasilien ist mit mehr als fünf Millionen erfassten Erkrankungen das nach den USA und Indien am schwersten von der Corona-Krise getroffene Land. Die Bundesregierung hat inzwischen eine Vereinbarung über 46 Millionen Dosen der chinesischen Impfstoffentwicklung CoronaVac getroffen, die im eigenen Land getestet wird. Präsident Bolsonaro scheint darüber nicht ganz glücklich zu sein. Er twitterte, Brasilianer seien niemandens Versuchskaninchen. Für sein Immunisierungsprogramm verhandelt das Land parallel auch mit Astra Zeneca und hat sich Covax angeschlossen.
Auf der internationalen Handelsmesse CIFTIS in Peking wurde schon im September das chinesische Produkt von Sinovac Biotech präsentiert. Es sind aber noch andere Impfstoffkandidaten im Rennen weit vorne. China hat seitdem angekündigt, es werde der internationalen Covax-Initiative beitreten, ihr Kontingente zusichern, und sich somit für eine weltweit gerechte Verteilung vor allem an Entwicklungsländer einsetzen. Zuvor hatte Präsident Xi Jinping verkündet, die Volksrepublik werde den Impfstoff zu einem öffentlichen globalen Gut erklären und – nach der Immunisierung der eigenen Bevölkerungen – in Afrika verteilen.
Australiens Premierminister Scott Morrison hat sich beim Pharmariesen Astra Zeneca mehr als 40 Millionen Impfdosen gesichert, sobald die entscheidenden klinischen Testreihen in Großbritannien, den USA, Brasilien und Südafrika erfolgreich abgeschlossen sind. Der Konzern hat eine Niederlassung in Sydney, die das Land ab 2021 in großen Mengen versorgen soll. Auch die Biotechnologiefirma CSL soll Millionen Impfdosen herstellen, wobei viele Hoffnungen auf der Entwicklung der University of Queensland ruhen. Vorsorglich hat Australien sich auch der Covax-Initiative angeschlossen, die mit verschiedenen Impfstoffkandidaten Vorvereinbarungen trifft.