Die Bundesregierung hat in der Corona-Krise im vergangenen Jahr fast 80 Mio. Euro für Berater ausgegeben. Das geht aus einer Aufstellung des Gesundheitsministeriums für die Linksfraktion im Bundestag hervor, die Capital vorliegt. Bei den Ausgaben handelt es sich um sogenannte Beratungs- und Unterstützungsleistungen, die die Bundesministerien zur Bewältigung der Corona-Pandemie eingekauft haben.
Die Aufträge reichen von der Beratung bei der Beschaffung von Schutzmasken bis zu Analysen für den Corona-Rettungsfonds WSF. Insgesamt hat der Bund im Jahr 2020 Verträge mit einem Gesamtvolumen von 103 Mio. Euro mit externen Dienstleistern abgeschlossen, die im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Pandemie stehen. Von dieser Summe flossen bis zum 31. Dezember bereits 78,4 Mio. Euro.
Damit hat der Bund mehr als doppelt so viel für Corona-Beratung ausgegeben wie bisher angegeben: Noch im Dezember hatte die Bundesregierung die ihr bekannten Ausgaben mit lediglich 33 Mio. Euro beziffert. Zudem hatte sie sich über Monate geweigert, konkrete Auftragnehmer und Auftragswerte öffentlich zu benennen und dies mit dem Schutz von Betriebsgeheimnissen der Unternehmen begründet.
Gesundheits- und Wirtschaftsministerium vorne
Auf die erneute Anfrage des Linken-Finanzexperten Fabio De Masi liegt nun erstmals ein vollständiger Überblick über die Corona-bedingten Beraterausgaben vor. Demnach entfielen weit mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben auf das Wirtschafts- und das Gesundheitsministerium. So überwies allein das Ressort von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im vergangenen Jahr 34 Mio. Euro für externe Unterstützung. Das Gesundheitsministerium gab 2020 mehr als 28 Mio. Euro aus. Insgesamt schloss das Haus von Jens Spahn (CDU) 2020 Verträge in einem Volumen von 41,3 Mio. Euro ab, bei denen es um Beratung bei der Bewältigung der Corona-Krise geht.
Mit weitem Abstand dahinter liegen Innenministerium (12,5 Mio. Euro beauftragtes Vertragsvolumen), Finanzministerium (10,3 Mio. Euro) und Auswärtiges Amt (2,2 Mio. Euro). Fünf weitere Ressorts haben Beraterkosten von je unter 1 Mio. Euro gemeldet. Nicht berücksichtigt wurden laut Bundesregierung Verträge, bei denen es um die reine Erstellung von Software geht, etwa im Fall der Corona-Warnapp.
Wie aus der aktuellen Aufstellung für die Linksfraktion weiter hervor geht, betrifft das teuerste Einzelprojekt die Beratung und Vertragsabwicklung beim Einkauf von Schutzmasken und anderer Schutzausrüstung. Dafür hat das Gesundheitsministerium mehrere Verträge mit der Prüf- und Beratungsfirma EY in einer Gesamthöhe von 37,1 Mio. Euro abgeschlossen. Bereits im April 2020 schaltete Spahns Ministerium EY ohne Ausschreibung ein, um die aus dem Ruder gelaufene Beschaffungsoffensive von Masken in den Griff zu bekommen. In der Folge übernahm die Beraterfirma ebenfalls per freihändiger Vergabe die Betriebsführung und die komplette Abwicklung der Maskenaufträge. Inklusive Rechtsberatung umfasste das Vertragsvolumen mit EY bis November 2020 insgesamt 24,8 Mio. Euro. Ende 2020 erhielt EY dann auch im Zuge einer Ausschreibung den Zuschlag für den Anschlussauftrag bis November 2021. Auftragswert: 12,3 Mio. Euro.
Mit einem Gesamtvolumen von fast 40 Mio. Euro ist ausgerechnet der Prüf- und Beratungsriese EY, der aktuell wegen seiner Rolle im Wirecard-Skandal massiv in der Kritik steht, damit der wichtigste Corona-Berater des Bundes. Neben den Großaufträgen von Spahns Ressort kam EY auch bei zwei kleineren Aufträgen des Wirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) für zusammen rund 140.000 Euro zum Zuge. Das Verkehrsministerium beauftragte die Firma für 110.000 Euro mit einer Studie, in der es um Modelle zur Kompensation von Corona-bedingten Einnahmeausfällen im öffentlichen Personennahverkehr ging.
Als zweitgrößter Empfänger von Corona-Beratungsausgaben des Bundes erhielt der IT-Dienstleister Init 29,3 Mio. Euro aus dem Etat des Bundeswirtschaftsministeriums. Dabei ging es um die Erstellung und den Betrieb eines IT-Auftragsmanagementsystems für die Corona-Hilfszahlungen des Bundes, die die Folgen des Lockdowns bei den betroffenen Firmen abfedern sollen. Bei der Software kam es jedoch zu massiven Verzögerungen und Problemen, sodass etwa die sogenannten Novemberhilfen erst verspätet komplett fließen konnten. Ungeachtet dessen schloss Altmaiers Ministerium gerade Anfang Februar einen neuen Vertrag mit Init in Höhe von 60 Mio. Euro.
Scharfe Kritik an der Auftragspolitik der Bundesregierung äußerte Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi, vor allem mit Blick auf das Gesundheitsministerium. Minister Spahn habe „mitten im Maskenchaos einen goldenen Vertrag an EY ohne Ausschreibung vergeben“, sagte er. Dabei habe EY im Wirecard-Skandal „kläglich versagt und scheinbar Bilanzen mit verbundenen Augen geprüft“. De Masi fügte hinzu, es sei zwar legitim, dass sich ein Ministerium in Notlagen Unterstützung ins Haus hole. „Es ist aber nicht legitim, wenn das für lange Zeiträume ohne Ausschreibung geschieht und die gebotene Distanz zwischen Beratern und Ministerien verloren geht. Das weckt ungute Erinnerungen an den Beraterfilz aus dem Verteidigungsministerium“, sagte er. Zudem schaffe es Misstrauen, wenn die Bundesregierung Fragen von Abgeordneten zunächst nur unvollständig beantworte und für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage ganze zwei Monate brauche.
Noch 83 Streitfälle aus Masken-Verfahren
Bis heute sind Berater und Anwälte von EY auch damit beschäftigt, die Folgen eines chaotischen Einkaufsverfahrens für Schutzmasken aus dem Frühjahr 2020 zu bereinigen. Damals hatte Spahns Ministerium ein sogenanntes Open-House-Verfahren gestartet, in dem Lieferanten ein fester Abnahmepreis von 4,50 Euro netto pro FFP2-Maske garantiert worden war. Die Konditionen lockten so viele Anbieter an, dass mehr als 700 Zuschläge mit einem Gesamtvolumen von 6,4 Mrd. Euro erteilt wurden – ein Vielfaches mehr als im Haushalt eingeplant. Allerdings konnten zahlreiche Lieferanten die Lieferbedingungen später nicht erfüllen. Darüber hinaus trat das Ministerium von Dutzenden Verträgen zurück, vor allem wegen angeblich mangelhafter Qualität der Masken.
Einige Lieferanten wehren sich gegen die Vorwürfe mangelhafter Leistungen und pochen auf Erfüllung der Verträge. Laut Gerichtsunterlagen des Ministeriums, die Capital vorliegen, gab es mit Stand Ende Januar noch 133 „offene Rechtsfälle“, also nicht geklärte Verträge. 28 davon stufen die EY-Anwälte als „potenzielle Vergleichsfälle“ ein. Die Zahl der „Streitfälle“ beziffern sie auf 83 mit einem dahinter stehenden Vertragsvolumen von rund 240 Mio. Euro. Dabei inbegriffen sind 62 bereits anhängige Klagen mit einem Streitwert von rund 160 Mio. Euro. Bei den weiteren Fällen halten die Anwälte Klagen für möglich. Insgesamt rechnet EY – je nach Ausgang der Vergleichsverhandlungen und Klagen – mit Gesamtausgaben für das Open-House-Verfahren von 1,4 bis 1,7 Mrd. Euro. Bis Ende Januar hatte der Bund rund 1,1 Mrd. Euro an Open-House-Lieferanten ausgezahlt.
Grundsätzliche Kritik an der Einschaltung von EY im April 2020 und den Folgeaufträgen formulierte auch der Vergaberechtsexperte Harald Nickel. Auch zu Beginn der Corona-Krise im vergangenen Frühjahr habe es „keinen sachlichen Grund für eine externe Beauftragung“ gegeben, sagte der Hanauer Anwalt Capital. Die Aufgaben der Berater und Anwälte von EY hätte auch die Bundesverwaltung selbst übernehmen können, fügte er hinzu. Zudem sei durch die ersten beiden EY-Aufträge ohne Ausschreibung Vergaberecht gebrochen worden. Derzeit klagt Nickel gegen die Vergabe des Masken-Mandates an EY. In diesem Verfahren steht im April ein Termin am Oberlandesgericht Düsseldorf an.
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