Was sich in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren in Sachen Börsengängen abgespielt hat, ist nichts anderes als eine faustdicke Enttäuschung. Eine Enttäuschung für alle Akteure – Investoren, Banken und Unternehmen. Und eine Enttäuschung, die durch die übliche rhetorische Folklore aller Beteiligten, der Markt komme künftig ganz bestimmt demnächst in Fahrt, benötige nur einen Eisbrecher oder stünde kurz vor prominenten Transaktionen inzwischen skurrile Züge annimmt.
Doch alles Gesundquatschen hilft nichts: Seit Anfang vergangenen Jahres ist die Stimmung an den Aktienmärkten hervorragend – und dennoch gab es bezogen auf das Emissionsvolumen im vergangenen Jahr selbst in Thailand, Neuseeland und Mexiko mehr Börsengänge als in Deutschland. Im laufenden Jahr hat es überhaupt noch keine ernst zu nehmende Platzierung gegeben, obwohl der Markt weltweit mit Emissionen im Volumen von bislang 32 Mrd. Euro brummt.
Woran liegt das – und ist das überhaupt ein Grund zur Klage?
Die vermutlich gelassenste Haltung in diesem immerwährenden Pokerspiel zwischen Firmen, Banken und den Investoren haben die Unternehmen. Sie sind ganz offensichtlich nicht auf den Kapitalmarkt als Quelle zur Eigenkapitalbeschaffung angewiesen. Warum auch? Geld fluktuiert zur Genüge, liegt oft thesauriert in der Kasse. Finanzinvestoren haben wieder Appetit auf Übernahmen, die Bilanzen haben sich immer weiter verbessert.
Viele Firmen verspüren daher wenig Lust auf die Kosten und – noch wichtiger - auf die Transparenz in Sachen Geschäftsverlauf, Vergütungen und Strategie, zu der sie eine Börsennotiz zwingt. Das gilt auch für kleine und wachstumsstarke Firmen, die auf kurze Wege, schnelle Entscheidungsprozesse und den Schutz des geistigen Eigentums angewiesen sind.
Flaute tut Banken weh
Weniger entspannt sind da schon die Banken. Denn die Mandate für Börsengänge sind lukrativ, je nach Unternehmensgröße sind ein bis fünf Prozent des Emissionsvolumens als Provision plus die Perspektive auf Folgegeschäfte drin. Eine Flaute tut ihnen weh. Spricht man mit Investmentbankern über den Markt für Börsengänge in Deutschland, mischt sich mit dem seit Jahren üblichen Gerede vom bald durchstartenden Markt inzwischen schon ein gehöriges Maß an Verärgerung. Dass der deutsche Markt trotz der sehr starken Aktienmarktentwicklung seit Jahren international kaum eine Rolle spielt, hat sie dünnhäutiger gemacht. Die zynische Berichterstattung sei mit Schuld, und überhaupt fielen gerade deutsche Großanleger in Sachen Börsengänge durch Bräsigkeit und provinzielles Gebaren auf, jammern manche.
Und da wären noch die Investoren. Wenn sie auch die Lust auf Börsengänge „Made in Germany“ verloren haben, verwundert das nicht – die Bilanz der Börsengänge fällt jedenfalls seit der Lehman-Pleite 2008 furchtbar aus. Mehr als die Hälfte der 36 Börsengänge der letzten fünf Jahre brachte den Anlegern gegenüber dem Emissionspreis Verluste ein – und das in einem Umfeld ständig steigender Aktienkurse. Knapp zwei Drittel schnitten ab dem Tag der Emission schlechter ab als etwa zum MDax-Index für mittelgroße Aktien im gleichen Zeitraum. Im Schnitt liefen die Neulinge ab dem Tag der Emission bis heute um 51 Prozent schlechter ab. Einen einfachen Indexfonds zu kaufen, statt die Börsenneulinge wäre erheblich rentabler gewesen. Die Statistik fällt auch nur dann leicht besser aus, wenn man das knappe Dutzend chinesischer Börsenneulinge weglässt, die jedes Vorurteil bestätigten und Zeichnern Verluste bis zu 90 Prozent bescherten.
Da kommt nichts mehr
Positiv stechen aus dem Sammelsurium an Enttäuschungen lediglich einige Neuemissionen des Jahrgangs 2013 hervor – hier lieferten der Gabelstaplerhersteller Kion, der Immobilienkonzern Deutsche Annington und der Sender RTL Anlegern absolut wie relativ ansehnliche Zuwächse. Auch die Platzierungen von Finanzinvestoren überraschten oft positiv: Kabel Deutschland, der Chemielogistiker Brenntag, GSW Immobilien und der Schlauchhersteller Norma gehören zu den wenigen durch und durch erfolgreichen Platzierungen, sind indes auch schon drei oder gar vier Jahre her.
Machen wir uns aber nichts vor: Der Bullenmarkt an der Börse geht nunmehr ins sechste Jahr, und es wäre vermessen anzunehmen, der Optimismus der Investoren weltweit (unter denen der typischerweise skeptische Deutsche Anleger eine Ausnahmeerscheinung ist) hielte nun noch weitere zwei oder drei Jahre an. Da aber auch schon kleinere Böen dazu geführt haben, Börsenpläne wegen angeblichen „Verwerfungen an den Kapitalmärkten“ teils in letzter Minute abzublasen, gehört wenig Mut zur Prognose: Viel erwarten in Sachen Börsengänge dürfen wir im laufenden Börsenzyklus nicht mehr.
Mit allen Vorteilen, die die deutsche Statistenrolle im Markt für Börsengänge mit sich bringt: Gibt es wenige Börsengänge, trifft schließlich das Interesse potenzieller Investoren am Aktienmarkt auf ein begrenztes Angebot an Aktien - und profitieren bereits am Markt investierte Anleger. Wie das am anderen Ende der Euphorieskala aussieht, ließ sich gut im Markt für Technologie- und Medienaktien im Jahr 2000 oder in China in den Jahren ab 2006 beobachten: Eine regelrechte Flut an Börsengängen würgt verlässlich jeden Bullenmarkt ab.
Aber eben auch mit allen Nachteilen: Langfristig ist es nicht von Vorteil, wenn ein Aktienmarkt nur ein schiefes Bild seiner Volkswirtschaft zeichnet – schief im Sinne der Unternehmensgrößen und schief im Sinne seiner Branchen. Und langfristig ist es auch nicht von Vorteil, wenn man einerseits will, dass Banken schrumpfen und weniger Macht bekommen – und andererseits stillschweigend oder gar hämisch akzeptiert, wenn die kapitalmarktbasierte Eigenkapitalbeschaffung allmählich ausstirbt.